Kevin Li im Gespräch über die Arbeitsbedingungen in der chinesischen Industrie

»Im Endeffekt sind alle Marken böse«

Kevin Li ist einer der Gründer der Organisation Globalization Monitor, die sich von Hongkong aus für Umweltschutz und Arbeitnehmerrechte einsetzt, insbesondere in China. 2004 betreute Globalization Monitor den Fall chinesischer Arbeiter, die in den Fabriken des Batterieproduzenten Gold Peak Kadmiumvergiftungen erlitten. Anfang Dezember besuchte Li Deutschland, um europäische Konsumenten über die Arbeitsbedingungen in der chinesischen Industrie zu informieren.

Ihre Organisation Globalization Monitor wurde 1999 in Zusammenhang mit dem WTO-Gipfel in Seattle gegründet. In der globalisierungskritischen Bewegung, die damals ihren ersten großen Auftritt hatte, spielt die Situation in China aber meist keine prominente Rolle. Fehlt es da an Aufmerksamkeit?

Ein großer Teil der chinesischen Industrie gehört auf die eine oder andere Weise der Regierung, insofern scheinen die Probleme in chinesischen Fabriken auf den ersten Blick eher auf das Handeln der Regierung zurückzugehen und nicht auf den Freihandel, auf dessen Kritik sich die globalisierungskritische Bewegung konzentriert. Aber viele wissen nicht, dass das unternehmerische und wirtschaftspolitische Handeln der chinesischen Regierung durchaus im Zusammenhang mit Freihandelsabkommen steht.

Die chinesische Regierung ist sehr stolz auf das Wachstum, das mit diesem Modell erwirtschaftet wird. Sie dürfte kein Interesse daran haben, dass Sie nach Europa reisen, um hier auf die Probleme in China aufmerksam zu machen.

Ich lebe in Hongkong. Hongkong ist liberaler, daher ist es ungefährlicher, sich von dort aus für Arbeitnehmerrechte in China einzusetzen. Wer selbst aus China kommt und im Ausland über schlechte Arbeitsverhältnisse berichtet, könnte Ärger bekommen.

Gibt es in China unabhängige Gewerkschaften?

Nicht wirklich. Die Arbeiter haben noch immer nicht das Recht, unabhängige Gewerkschaften zu gründen. In vielen Fabriken gibt es zwar Gewerkschaften, aber die sind nicht demokratisch, sie werden von den Unternehmen organisiert und von der Kommunistischen Partei kontrolliert. Die wenigen Arbeiter, die in die Gewerkschaftskomitees gewählt werden können, haben keine Macht, um mit den Unternehmen irgendetwas auszuhandeln.

Heißt das, dass sich die Unternehmen selbst die Gewerkschaften organisieren, die sie haben wollen?

Das kann man teilweise so sagen. Das hängt natürlich auch mit der Kommunistischen Partei zusammen, die seit 60 Jahren beansprucht, die Interessen der Arbeiter zu vertreten. Also sagt die Regierung: »China ist ein kommunistisches Land – wozu braucht es da unabhängige Gewerkschaften?«

Gibt es denn Proteste von Arbeitern in China? Wir bekommen hier in den Medien davon jedenfalls so gut wie nichts mit.

Nachrichten von Streiks oder Protesten werden schlicht kaum übersetzt und erscheinen hier nur selten in den Medien. Es gibt leider nur einige Websites wie das »China Labour Bulletin«, die über die Situation in der chinesischen Industrie oder über Arbeitskämpfe berichten. Und es gibt viele Streiks und Proteste, viele richten sich gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen, andere etwa gegen Privatisierungen von staatseigenen Betrieben.

Wenn chinesische Arbeitnehmer gegen Privatisierungen demonstrieren – heißt das, dass die Staatsbetriebe immer noch bessere Arbeitsbedingungen bieten als die privaten Unternehmen?

Die Arbeitsbedingungen in Staatsbetrieben sind meist besser. Die Arbeiter fürchten, dass sich die Bedingungen durch eine Privatisierung verschlechtern, also protestieren sie. Die Arbeiter sind oft sehr wütend, sie stürmen die Verwaltung und knöpfen sich die Manager vor. Vor allem in der Stahlindustrie sind die Proteste sehr, sehr heftig, im Juli wurde etwa ein Manager von Arbeitern totgeschlagen.

Hat sich die Situation der chinesischen Arbeiter im Zuge der Wirtschaftkrise verschlechtert?

Für die Arbeitnehmer spielen die unmittelbaren Auswirkungen der Krise auch eine Rolle, aber mehr Einfluss auf ihre Situation haben die langfristigen politischen Programme der Weltbank oder des IWF, weil sie zu Privatisierungen führen. Selbst wenn die Finanzkrise also keine großen Auswirkungen mehr nach sich ziehen sollte, wird es Privatisierungen und damit Arbeitskämpfe geben.

Wenn wir hierzulande etwas über Arbeiter in China erfahren, geht es meist um so genannte Wanderarbeiter.

Es gibt sehr viele Wanderarbeiter in China, die meisten kommen aus den ländlichen Gebieten in die Küstenstädte, um dort in der Industrie zu arbeiten. Die meisten von ihnen stammen aus ärmsten Verhältnissen, also sind sie gezwungen, sehr schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen, sie opfern ihre Rechte, um einen Job zu bekommen, das ist ein großes Problem. Jetzt versucht die Regierung, in den ländlichen Provinzen im Landesinneren Industrie anzusiedeln.

Tut die Regierung dies, um die Situation der Wanderarbeiter zu verbessern?

Nein, ich glaube, die Regierung tut das eher im Dienste der Unternehmen, die sich stets nach billigeren Arbeitskräften umsehen. Und im Landesinneren können sie noch weniger zahlen als in den Küstenprovinzen. Aber natürlich geht es auch darum, Probleme zu lösen, die die Wanderarbeiter in die industriell entwickelte Küstenregion tragen: soziale Probleme, Kriminalität, mangelnde Bildungsmöglichkeiten. Die Wanderarbeiter haben keine Chance auf ein normales Leben mit einer Familie oder dergleichen.

Gegenwärtig sind Sie hier, um in Deutschland und anderen europäischen Ländern auf die Situation von Arbeitern in China aufmerksam zu machen, die die Produkte herstellen, die wir hier konsumieren. Glauben Sie, dass Sie Europäer oder Amerikaner davon überzeugen können, mehr Geld für Produkte aus China auszugeben, damit diese unter weniger katastrophalen Arbeitsbedingungen hergestellt werden?

Vielleicht sind unter ethisch vertretbareren Bedingungen hergestellte Produkte teurer. Aber es ist die Entscheidung der Konsumenten, welche Produkte sie kaufen, und unter ethischen Gesichtspunkten ist es nicht zu viel verlangt, dass sie etwas mehr Geld ausgeben für Produkte, die unter erträglicheren Arbeitsbedingungen hergestellt werden.

Wenn deutsche Arbeiter mehr Lohn fordern, hält man ihnen gern vor, dass ihre Fabrik einfach nach China gehen wird. Interessanterweise denken viele deutsche Arbeiter, da nehme ein feindliches »China« ihnen Arbeitsplätze weg.

Darum ist es so wichtig, dass deutsche oder europäische Arbeitnehmer die Situation der chinesischen Arbeitnehmer verstehen, die sich nicht an so guten Lebensverhältnissen erfreuen wie die in Deutschland. Die Arbeitnehmer in Europa sollten sich im eigenen Interesse mit den Arbeitern in China solidarisch zeigen und sie unterstützen, denn wenn wir in China bessere Verhältnisse hätten, gäbe es keine chinesische Billigarbeit mehr, die die Europäer als Konkurrenz fürchten müssen.

China ist eines der Länder, in denen am allerbilligsten produziert wird. Glauben Sie, dass erfolgreiche Arbeitskämpfe in China weltweit Auswirkungen auf den globalen Arbeitsmarkt haben könnten?

Es gibt Leute, die behaupten, die Investoren würden dann etwa nach Afrika gehen, aber mich überzeugt dieses Argument nicht. Zum einen sind billige Arbeitskosten nur ein Standortfaktor neben anderen, zum anderen sollte man sich durch solche Argumente nicht erpressen lassen. Die Hersteller sollten sich darauf konzentrieren, ihr Markenimage zu verbessern, statt die Arbeitskosten weiter zu senken. Wir wollen erreichen, das die Markenhersteller von Computern und Handys in Europa sich klar machen, dass sie für die Arbeitsbedingungen in China mitverantwortlich sind.

Sie sprechen über Markenunternehmen, die ihre Produkte in China herstellen lassen. Gibt es Markenunternehmen, die sich besonders durch die Kollaboration mit chinesischen Sweatshops hervortun und deren Produkte man besser gar nicht kaufen sollte?

Ich denke nicht, dass es da gute und böse Marken gibt, im Endeffekt sind alle böse (lacht). Es lohnt sich nicht, einzelne Marken zu beschuldigen, man muss das Verhalten der gesamten Industrie thematisieren.

Etwa bei der Produktion von Computern weiß oft niemand recht, welches Teil nun woher stammt. Ist es ein Problem für Ihre Arbeit, dass die Produktionsketten so intransparent sind und man daher kaum jemanden verantwortlich machen kann?

Deshalb müssen wir etwa identifizieren, dass dieses oder jenes Teil aus einer bestimmten Fabrik stammt – etwa im Fall der Firma Wintek, die in China Touchpads für Handys und Laptops produziert. In der chinesischen Wintek-Fabrik gab es Proteste, unter anderem wegen schlechter Verpflegung, Gehaltskürzungen und Überstunden, die nicht bezahlt wurden. Die Arbeiter in solchen Fabriken wissen nicht, ob das von ihnen produzierte Teil für Nokia, Apple oder für eine andere Marke bestimmt ist. Es ist aber wichtig, diese Fabrik mit den von ihr belieferten Marken in Verbindung zu bringen, damit die Konsumenten wissen, unter welchen Bedingungen die Einzelteile ihrer Handys produziert werden. Die Konsumenten sollen bei den Markenherstellern nachfragen, wie es um die Arbeitsbedingungen ihrer Fabriken in China oder anderswo steht.

Ist es denn effektiver, in Europa auf das Bewusstsein der Konsumenten einzuwirken, als einen Streik in China zu organisieren?

Streiks finden in China ständig statt. Wir brauchen beides: Arbeitskämpfe in China und einen Bewusstseinswandel auf Seiten der Konsumenten. Wir versuchen, mit der NGO Weed in Deutschland die öffentliche Hand dazu zu bringen, ethische Standards für die Beschaffung von Computern zu entwickeln, sodass Behörden beim Einkauf von Computern die Hersteller fragen müssen, unter welchen Bedingungen die Computer produziert wurden.

Haben Sie denn gute Erfahrungen mit der Strategie, Marken unter Druck zu setzen?

Es gibt eine chinesische Marke, die auch Panels von Wintek nutzt, die auf Druck einer NGO beschloss, die Bestellungen bei Wintek zu stornieren. Das trifft aber auch die Arbeiter bei Wintek, die dann eventuell ihren Arbeitsplatz verlieren. Die beste Lösung ist daher, dass die Zulieferer dazu gebracht werden, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, anstatt dass einfach die Bestellung storniert wird.

Sie engagieren sich seit 1999 für Arbeitnehmerrechte in China. Wenn Sie sich diese zehn Jahre ansehen – wohin geht der Trend?

In der Zivilgesellschaft gibt es viele Bemühungen, die Probleme der Arbeiter in die Medien zu bringen und die Unternehmen und auch die Regierung zu beeinflussen. Wir haben ein paar Erfolge erzielt, zumindest manche Arbeiter, die etwa in der Batterie-Industrie Kadmiumvergiftungen erlitten haben, bekommen jetzt Entschädigungen und medizinische Behandlung. Wir haben also kleinere Teilerfolge, aber es steht noch immer aus, dass die lokalen Regierungen endlich Arbeitnehmerrechte durchsetzen und dass die Marken, die in Europa, in Japan oder den USA hinter den Fabriken in China stehen, dort für bessere Arbeitsbedingungen sorgen.