Über das Verbot der kurdischen Partei DTP

Weniger ist mehr

Das türkische Verfassungsgericht hat die Kurdenpartei DTP verboten. Begründet wurde die Entscheidung mit einer zu großen Nähe der Partei zur PKK. In der Tür­kei wird nun darüber diskutiert, was das Verbot für die Demokratie bedeutet.

Vor ziemlich genau zwei Monate fand im türkischen Parlament eine denkwürdige Sitzung statt. Innenminister Besir Atalay trug sein mittlerweile unter dem Namen »demokratische Öffnung« bekanntes Projekt zur Regelung der so genannten Kurden-Frage vor. Der Vortrag strotzte von eindrucksvollen Ankündigungen über eine »neue Türkei«, die allerdings mit den Lösungsvorschlägen von Atalay und Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kaum etwas zu tun hatten. Denn die »demokratische Öffnung« sieht in Wirklichkeit lediglich etwas mehr kurdisches Fernsehen vor, wofür man weiterhin eine spezielle Erlaubnis braucht, ähnlich wie bei einem Gefahrguttransport. Zur Lösung des Kurden-Konflikts ist das sicherlich zu wenig. Der einzige Kurde auf der Rednerliste war damals Ahmet Türk, der Vorsitzende der Partei für eine demokratische Gesellschaft (DTP). Zwei Monate nach dieser Sitzung, die als »historischer Schritt« zur Lösung des Kurden-Konflikts präsentiert worden war, wurde die DTP am Freitag voriger Woche vom Verfassungsgericht verboten. »Einer Partei, die mit dem Terrorismus zu tun hat, kann keine Organisationsfreiheit eingestanden werden«, begründete das Gericht das Urteil. Türk und ein zweiter Abgeordnerter verloren ihr Mandat im Parlament, ihnen und 35 weiteren Politikern der DTP wurde für fünf Jahre untersagt, öffentliche Ämter zu bekleiden.

Die Partei um Ahmet Türk präsentierte sich als gemäßigte Kraft, die auf einen Dialog zwischen der kurdischen Minderheit und der Regierung setzte. Türk ist ein erfahrener Politiker, wie sie selten sind in der kurdischen Politik, die in der Vergangenheit immer wieder durch Verbote und Morde ausgedünnt worden ist. Selbst der kemalistischen Zeitung Cumhuriyet fiel nach dem Verbot auf, dass das von den Kemalisten hochgehaltene Verfassungsgericht ausgerechnet den Vertreter einer gemäßigten Linie der Kurden aus dem Parlament ausgeschlossen hat.
Türk ist der einzige namhafte Politiker der Türkei, der sich für den Völkermord an den Armeniern und assyrischen Christen im Ersten Weltkrieg entschuldigte und dabei betonte, dass auch Kurden daran beteiligt waren. Türk ist auch der zweite Mensch in der Geschichte der Republik Türkei, der in den Räumen des türkischen Parlaments einige Worte auf Kurdisch sagte, wenn auch nur auf einer Fraktionssitzung. 1991 hatte die Abgeordnete Leyla Zana bei ihrer Vereidigung auf Kurdisch gesprochen. Auch sie verlor ihr Mandat, die Staatsanwaltschaft forderte die Todesstrafe gegen sie, und sie wurde schließlich zu 15, später 17 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach zehn Jahren Haft wurde sie aufgrund des Drucks aus der EU freigelassen.
Leyla Zanas Strafe hatte formell nichts mit ihrem Satz auf Kurdisch zu tun, und auch das Politikverbot für Ahmet Türk bezieht sich formell nicht auf seine kurdische Rede auf der Fraktionssitzung. Fakt ist, dass man durch diese Entscheidung einige der prominentesten kurdischen Politiker gezielt treffen wollte.
Auffällig ist, dass Leyla Zana, die in jüngster Zeit aus ihrer Sympathie für den gefangenen Führer der PKK Abdullah Öcalan kaum ein Hehl machte, in der Begründung des Verbots der DTP auftaucht. Sie gehört zu den 37 Personen, die mit einem fünfjährigen Politikverbot belegt wurden. Nun ist Zana sicher eine bekannte kurdische Politikerin, doch in der DTP spielte sie nie eine wichtige Rolle. Man kann sich nun fragen, ob man sie einfach daran hindern wollte, in Zukunft einer Nachfolgepartei der DTP beizutreten.
Die Wirkung des Verbots besteht neben der Einschüchterung kurdischer Politiker hauptsächlich darin, dass bestimmte Personen aus der politischen Landschaft der Türkei ausgeschlossen werden. Doch Kurden gründen sicherheitshalber immer noch eine Reserve-Partei, falls ihre Partei verboten wird. Damit hat man schließlich Erfahrung. Die Türkei hat eine lange Tradition der Parteiverbote: Seit 1950 wurden 27 Parteien verboten, darunter kurdische, linke, islamische und bürgerliche Parteien sowie die Grünen.
Die 19 Abgeordneten der DTP, deren Mandat nicht aufgehoben wurde, werden nun vermutlich zusammen mit dem unabhängigen Parlamentarier Ufuk Uras unter dem Dach einer neuen Partei eine Fraktion bilden. Parteien lassen sich ersetzen, doch einen erfahrenen Politiker wie Ahmet Türk, der die kurdische Bewegung aus dem Fahrwasser der PKK führen und die DTP zu einer echten politischen Alternative machen könnte, wird man nicht so leicht wieder finden.

Viele Beobachter, vor allem im Ausland, sind der Meinung, Erdogan sei nach diesem Parteiverbot der eigentliche Verlierer, weil seine Kurden-Politik sabotiert worden sei. Die Mehrheit der Verfassungsrichter steht Erdogan zwar nicht gerade freundlich gegenüber, doch das Urteil gegen die DTP erfolgte einstimmig und wurde vom Vorsitzenden Hasim Kilic, der Erdogans AKP nahesteht, vehement vertreten. Gerade aufgrund des Verbots kann Erdogan mit seiner Politik der vagen Versprechungen und kleinen Gnadenakte für die Kurden beruhigt fortfahren. Denn eine ernst zu nehmende kurdische Kraft, die mehr Forderungen stellt, gibt es nicht mehr.
Es wird derzeit darüber diskutiert, ob das Verbot der DTP ein »Schlag gegen die Demokratie« sei. Der Chefredakteur der Istanbuler Tageszeitung Radikal, Ismet Berkan, kommentiert dazu treffend, zwar könne ein Parteiverbot ein Schlag gegen die Demokratie sein, »aber dort, wo es keine Demokratie gibt, wird es auch kaum schaden«.