Über schwarze Löcher

Wenn die Erde zur Erdnuss schrumpft

Ohne schwarze Löcher gäbe es uns mög­licherweise gar nicht. Doch Kritikerinnen und Kritiker der Experimente des Cern fürchten, dass es uns bald nicht mehr gibt, wenn der Teilchenbeschleuniger ein schwarzes Loch produziert.

Der alte Mann mit den spitzen Ohren schaut wehmütig gen Himmel, er weiß, dass er seinen Heimatplaneten zum letzten Mal sieht. Die Oberfläche des Planeten verschwimmt, langsam erscheinen schwarze Wirbel. Dann geht alles ganz schnell. Die Kruste zerbricht, der Planet schrumpft und sackt schließlich völlig in sich zusammen. Übrig bleibt die Dunkelheit.
Der elfte Spielfilm der Star-Trek-Reihe zeigt, wie es aussehen könnte, wenn sich die Befürchtungen einiger Kritikerinnen und Kritiker bewahrheiten und der neue Teilchenbeschleuniger des Conseil Européen pour la Recherche Nu­cléaire (Cern) tatsächlich winzige schwarze Löcher produziert, die in den Erdkern wandern, dort wachsen und unseren Planeten von innen heraus zerstören.
Schwarze Löcher regen die Fantasie an und sind wohl das populärste Thema der modernen Physik. Sie sind »schlafende Schwerkraftmonster« (Welt), »rotierende Staubsauger« (Spiegel) oder gar der »Schlund des Universums« (BBC). Alles, was ihnen zu nahekommt, verschwindet. Nur wohin? Glaubt man Science-Fiction-Filmen, ist von Zeitreisen bis zu einem direkten Übergang in die Hölle alles möglich. Trotz aller Geheimnisse, eine Eigenart schwarzer Löcher lässt sich recht einfach nachvollziehen, nämlich die Tatsache, dass man sie nicht sehen kann.

Wenn man einen Baseball in die Luft wirft, fliegt er eine Weile und landet aufgrund der Schwerkraft wieder auf dem Boden. Wirft man den Ball mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 300 km/h, tritt er eine lange Reise in die Tiefen des Weltalls an. Gut, er verglüht zuvor, aber gäbe es keinen Luftwiderstand, könnte ihn nach einigen Milliarden Jahren ein außerirdischer Catcher auffangen.
Dieses für das Überwinden der Schwerkraft nötige Tempo wird als Fluchtgeschwindigkeit bezeichnet und kann mithilfe der von Isaac Newton im Jahr 1687 veröffentlichten Formeln für jeden Himmelskörper berechnet werden. Beim gleichen Experiment auf der Oberfläche der Sonne müsste der Ball bereits eine Fluchtgeschwindigkeit von über zwei Millionen km/h erreichen. Um aber aus dem Gravitationsfeld eines sonnenähnlichen Sterns zu entkommen, der im Radius 500mal größer ist als unsere Sonne, ist nicht weniger als die Lichtgeschwindigkeit erforderlich.
Was geschieht, wenn selbst das Licht nicht mehr schnell genug ist, um aus dem Gravitationsfeld eines Himmelskörpers zu entkommen? Diese Frage hat sich der englische Wissenschaftler John Michell bereits 1783 gestellt und gemutmaßt, dass es Sterne geben könnte, die wegen ihrer starken Gravitation kein Licht aussenden können, dunkle Sterne oder eben schwarze Löcher. Dieser Gedanke war der Zeit allerdings so weit voraus, dass er mehr als 130 Jahre lang in Vergessenheit geriet. Wie sich die Schwerkraft auf das Licht auswirkt, war sehr umstritten, bis Albert Einstein 1915 mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie eine ganz neue Sicht auf die Gravitation präsentierte.
Aus Raum und Zeit wurde eine von der Materie im Universum verkrümmte Raumzeit, und die Gravitationsfelder der Himmelskörper sollten Einsteins Feldgleichungen zufolge nicht nur die Bahnen des Lichts, sondern auch den Verlauf der Zeit beeinflussen. Allerdings mussten diese Gleichungen erst einmal gelöst werden. Nur kurze Zeit später hatte der jüdisch-deutsche Physiker Karl Schwarzschild in der Sowjetunion damit Erfolg. Seine Lösungen beschreiben die Wirkung der Gravitation in der Umgebung einer nicht rotierenden kugel- oder punktförmigen Masse.
Das mag sich realitätsfern anhören, denn im Universum dreht sich vermutlich alles um sich selbst, aber in Hinblick auf die Existenz schwarzer Löcher haben Schwarzschilds Berechnungen dennoch große Bedeutung erlangt. Er hat gezeigt, dass schwarze Löcher innerhalb der Relativitätstheorie eine echte Möglichkeit sind; jeder Masse im Universum kann heute ein so genannter Schwarzschildradius zugeordnet werden. Ist die Masse vollständig innerhalb einer Kugel mit einem solchen Radius konzentriert, hat man es mit einem schwarzen Loch zu tun. Für unseren Planeten beträgt der Schwarzschildradius nur neun Millimeter, man müsste die Erde also auf die Größe einer Erdnuss verkleinern, um sie in ein schwarzes Loch zu verwandeln. Bei der Sonne sind es gerade mal drei Kilometer.

Dennoch wollten Einstein und viele seiner Kolleginnen und Kollegen nicht an die Existenz schwarzer Löcher glauben, man hielt sie eher für eine mathematische Finesse, zum Teil, weil manche ihrer Eigenschaften einfach zu extrem erschienen. Beispielsweise ist Schwarzschilds Lösung zufolge im Innern eines schwarzen Lochs die Raumzeit so stark gekrümmt, dass alle Materie in einen einzigen Punkt zusammenfällt. Zeit und Raum existieren dann nicht mehr und die Gesetze der Physik verlieren ihre Gültigkeit. Und das mögen sich vor allem altgediente Physikerinnen und Physiker nicht so recht vorstellen.
Bereits in den dreißiger Jahren lieferte die Quantenphysik neue Einsichten, denen zufolge sich jeder sehr große Stern nach Verbrauch seines Fusionsbrennstoffs in ein schwarzes Loch verwandelt, jedenfalls dann, wenn nach einer explosionsartigen Übergangsphase mehr als die dreifache Masse unserer Sonne verbleibt. Demnach müsste das Universum voller schwarzer Löcher sein.
Von diesen Erkenntnissen angespornt, machten sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts daran, schwarze Löcher genauer zu untersuchen, unter ihnen der britische Physiker Stephen Hawking. Dieser widmete sich der Thermodynamik schwarzer Löcher und wollte zeigen, dass es sich bei ihnen um kalte Objekte handelt, bis er von seinen Ergebnissen überrascht wurde. Sie besagten, dass schwarze Löcher eine Temperatur über dem absoluten Nullpunkt aufweisen und demnach Wärme in Form von Strahlung an ihre Umgebung abgeben.
Durch diese so genannte Hawking-Strahlung müssten schwarze Löcher Energie verlieren, bis sie ganz verschwunden sind. Allerdings nimmt die Temperatur dieser Strahlung mit zunehmender Masse ab, und darüber hinaus werden schwarze Löcher ständig mit neuer Energie versorgt. Schuld daran ist die kosmische Hintergrundstrahlung, die als Überbleibsel des Urknalls mit einer Temperatur von 2,7 Kelvin überall im Universum zu finden ist. Sobald ein schwarzes Loch auch nur ein Prozent der Masse der Erde enthält, gewinnt es durch die Hintergrundstrahlung mehr Energie, als es durch die Hawking-Strahlung abgibt.
Parallel zu diesen Überlegungen begannen viele Forscherinnen und Forscher damit, schwarze Löcher tatsächlich aufzuspüren. Zwar lassen sie sich nicht direkt beobachten, aber ihre Wirkung auf Sterne in der Umgebung kann auch mit einem Teleskop untersucht werden. Bewegen sich Sterne sehr schnell auf einer Bahn um einen scheinbar leeren Bereich, lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Auf diese Weise wurden sehr viele schwarze Löcher gefunden.
Mit am spektakulärsten sind sicherlich die riesigen schwarzen Löcher im Zentrum der Galaxien. Auch im Zentrum der Milchstraße befindet sich solch ein schwarzes Loch mit einer Masse von mehr als vier Millionen Sonnen. Derzeit gehen viele Physikerinnen und Physiker davon aus, dass schwarze Löcher eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Galaxien gespielt haben, möglicherweise gäbe es uns ohne schwarze Löcher also gar nicht.
Was aber hat es mit den winzigen schwarzen Löchern auf sich, die vielleicht im Large Hadron Collider (LHC) des Cern produziert werden und die eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um den Tübinger Chaosforscher Otto E. Rössler und viele Youtube-User in Angst und Schrecken versetzen? Schwarze Löcher müssen nicht riesig sein, es genügt, ausreichend Materie oder Energie auf sehr engem Raum zu konzentrieren, und am LHC werden sehr große Energiedichten erzeugt. Bei den Experimenten werden Protonen, also Kerne von Wasserstoffatomen, in zwei kreisförmigen Röhren annähernd auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, um sie dann frontal aufeinanderprallen zu lassen.

Vor einer Woche hat der LHC alle Rekorde gebrochen und ist nun der Teilchenbeschleuniger mit der höchsten Kollisionsenergie. Im Verlauf der Experimente soll diese Energie noch weiter gesteigert werden und schließlich 14 Teraelektronenvolt erreichen. Das hört sich nach viel an, aber Wasser kochen kann man damit nicht: Auf der Cern-Webseite lässt sich nachlesen, dass die maximale Energie eines Protons vor dem Zusammenprall etwa der Energie eines Moskitos im Flug entspricht. Allen anerkannten Theorien zufolge reicht das nicht aus, um ein schwarzes Loch zu erzeugen, dazu wäre über eine Billiarde mal mehr Energie erforderlich.
Die Idee, dass der LHC in der Lage sein könnte, schwarze Löcher zu erzeugen, stützt sich auf Varianten der noch sehr spekulativen Stringtheorie. Dieser Theorie zufolge ist der Raum nicht nur dreidimensional, sondern verfügt über eine Reihe zusätzlicher Dimensionen, die nur auf sehr kurze Entfernungen sichtbar sind. Auf diesen minimalen Distanzen entfaltet die Gravitation eine stärkere Wirkung. Wenn es tatsächlich gelingt, mit dem LHC winzige schwarze Löcher zu erzeugen, werden bei vielen Anhängerinnen und Anhängern der Stringtheorie die Sektkorken knallen, große Sorgen machen sich dort offenbar wenige. Der Stringtheoretiker Michio Kaku etwa verweist in seinen Fernsehauftritten gerne achselzuckend auf die Hawking-Strahlung und ist sich sicher, dass diese schwarzen Löcher zerfallen, bevor sie Schaden anrichten können.
Otto E. Rössler hingegen pocht darauf, dass die Hawking-Strahlung bis heute nicht experimentell nachgewiesen wurde. Ende 2007 hatte er eine Theorie präsentiert, derzufolge auch mikroskopisch kleine schwarze Löcher stabil bleiben und so zu einer Gefahr für die Erde werden könnten. Diese Theorie wurde von vielen Forscherinnen und Forschern geprüft, unter anderem von Mitgliedern des deutschen Komitees für Elementarteilchenphysik. In ihrer Stellungnahme heißt es, dass Rösslers Behauptungen auf »grundlegenden Missverständnissen der Einsteinschen Theorie« beruhten und er sich selbst widerspreche, weil aus seinen Annahmen folge, »dass überhaupt keine schwarzen Löcher produziert werden« könnten. Rössler sieht das anders und kontert mit dem Vorwurf eines »Maoismus in der Wissenschaft«, unter anderem weil die Menschen »heutzutage nicht mehr an die Originalität einzelner Menschen oder kleiner Gruppen glauben«.
Die Debatte über die Frage, ob die Experimente am LHC sicher sind, füllt mittlerweile viele Aktenordner. Eine Klage der Kritikerinnen und Kritiker wurde 2008 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zurückgewiesen, seit dem 20. November liegt dem Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen eine Beschwerde vor, die die Experimente doch noch stoppen soll.
Aber auch das wird vermutlich erfolglos bleiben. Sehr viel wahrscheinlicher als der Weltuntergang erscheint die Möglichkeit, dass am LHC sozusagen doch nur zwei Moskitos zusammenstoßen und die Experimente überhaupt keine sensationellen Ergebnisse liefern. Dann könnten Otto E. Rössler und wir alle erleichtert aufatmen, und die beteiligten Forscherinnen und Forscher müssten sich mit den Worten des charismatischen Begründers der Quantenelektrodynamik, Richard Feynman, trösten: »Physik ist wie Sex. Sicher, manchmal gibt es brauchbare Resultate, aber darum geht es nicht.«

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