Gummistiefel reichen nicht. Hollands Anpassung an den Klimawandel

Beim Anpassen sehr vorbildlich

Wenn alle Versuche, den Klimawandel zu stoppen, nicht fruchten, hilft nur noch eins: Anpassung an die neuen Bedingungen. Die Niederlande, schon allein wegen der geographischen Lage ein Hochrisikogebiet, haben sich mit ambitionierter Technologie zur Notfall-Avantgarde gemausert.

»Ehrgeiziger Vorreiter und Brückenbauer«, so formulierte das niederländische Umweltministerium kurz vor der Klimakonferenz in Kopenhagen seine dort angestrebte Rolle. Eine Selbsteinschätzung, die nicht von ungefähr kommt, genießt das Land doch weithin den Ruf als fortschrittsfreundliches Labor für neue Ideen und Technologien. Das gilt nicht ausschließlich, aber im besonderen Maß für den Grenzbereich von Wissenschaft und Klimapolitik. Oft genug werden im »Polderland« Verfahren und Methoden erstmals getestet, die später in größerem Rahmen angewendet werden.

Zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit belegen das. Im November löste ein Gesetzentwurf der Regierung zur Radikalreform der KFZ- Steuer internationale Diskussionen aus. Belastet werden soll demnach ab 2012 nicht mehr der Besitz, sondern die Benutzung eines PKW – und zwar gestaffelt nach Spritverbrauch und Schadstoffausstoß. Zehn Prozent der CO2-Emissionen will man damit vermeiden. Aufsehen erregte auch eine Initiative, die vorige Woche in Kopenhagen ins Leben gerufen wurde: das »Delta Alliance« genannte internationale Netzwerk zum Schutz von Flussmündungen, die für die Folgen des Klimawandels besonders anfällig sind. Federführend bei dem Programm, an dem sich auch Indonesien, der US-Bundesstaat Kalifornien und Vietnam beteiligen, sind nicht zuletzt niederländische Wissenschaftler. Präsentiert wurde es folglich auch im »Holland Climate Couse« in Kopenhagen.
Beides zeigt, dass Klimapolitik in den Niederlanden ein duales System ist, das wie selbstverständlich auf den Prinzipien der Mitigation und Adaption basiert. Erstgenannte hat die Reduktion der Treibhausgase zum Ziel, um eine Erderwärmung noch zu verhindern oder zu verlangsamen. Die zweite versucht dagegen, das Leben an deren unausweichliche Folgen anzupassen. Auf EU-Ebene wurde dies im April durch ein »Weißbuch zur Anpassung an den Klimawandel« erstmals zu koordinieren versucht. Die Niederlande gehörten 2007 zu den ersten Mitgliedsstaaten, die eine solche Adaptionsstrategie verabschiedeten. »Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass der Klimawandel nicht verhindert werden kann, auch nicht mit aller guten Absicht und Maßnahmen der Mitigation«, hieß es damals in der Einleitung des Konzepts. »Darum werden wir lernen müssen, mit den Konsequenzen zu leben.«

Der Grund für diese Nüchternheit liegt auf der Hand. Wo schon immer die Hälfte des Landes höchstens einen Meter über dem Meeresspiegel liegt und ein weiteres Viertel gar darunter, macht man sich wohl besser Gedanken darüber, wie auf einen Anstieg des Meeresspiegels zu ­reagieren wäre. Nicht allein dieser offensicht­liche Aspekt macht klar, dass man sich der eigenen Gefährdung bewusst ist. Dazu kommt im Südwesten des Landes die Deltaregion der drei großen Flüsse Rhein, Maas und Schelde mit zahlreichen Nebenarmen. Wegen der zunehmenden Niederschläge werden diese größere Was­sermassen in Richtung Nordsee abführen, wodurch die Wahrscheinlichkeit von Überschwemmungen steigt.
Ein nicht zu unterschätzender Nebenaspekt ist, dass dieses Delta eines der am dichtesten bevölkerten in Europa ist. Der prognostizierte Klimawandel wird hier also die Frage nach Raumordnung und -nutzung mit einer eigenen Vehemenz stellen. Damit geht auch die Suche nach alternativen Konzepten einher. Gelegentlich äußert sie sich in Gedankenspielen wie dem Aufschütten einer künstlichen Insel in der Nordsee, die gleichzeitig dem Küstenschutz dienen könnte. »Die Problematik ist dringend«, bilanziert denn auch das von der Regierung geförderte Programm »Wissen für das Klima« und mahnt zur Eile, um Anpassungsmaßnahmen zu entwickeln und zu ergreifen. Auch die eingangs erwähnte ambitionierte Selbsteinschätzung findet sich hier. Durch eine erfolgreiche Adaption nämlich könnten die Niederlande zu einem »internationalen Vorläufer« werden.
Der Weg in diese Richtung ist bereits eingeschlagen. Gestützt auf international renommierte Einrichtungen wie die Technische Universität Delft, die auf den Umweltbereich spezialisierte Universität Wageningen, das Amsterdamer Institut für Umweltfragen (IVM) oder das meteorologische Institut KNMI, wurde im laufenden Jahrzehnt eine Vielzahl von Initiativen und Forschungsprojekten ins Leben gerufen. Diese sollen zunächst die wissenschaftlichen Grundlagen dafür schaffen, die Effekte der erwarteten Veränderungen gerade an den klimatischen Brennpunkten abzumildern. Neben dem Küstenschutz und dem Delta geht es dabei auch um das Wattenmeer, die zukünftige Bewässerung der Landwirtschaft und den Flughafen Schiphol, ein Drehkreuz im internationalen Luftverkehr, der von einem komplexen System von Wasserläufen umgeben ist und zudem noch mit Bodensenkung zu kämpfen hat.
Auch auf einem anderen Gebiet waren die Niederlande bereits international tonangebend, als sich über einen globalen Klimawandel höchstens Fachleute Gedanken machten. Nicht nur die einst dem Meer abgerungenen und eingedeichten Polder untermauern dies, auch der Küstenschutz durch Deiche von insgesamt etwa 3 000 Kilometern Länge. Für diese umfassenden Maßnahmen hat unter anderem ein niederländisches Trauma gesorgt: die verheerende Flutkatastrophe von 1953, bei der es fast 2 000 Todesopfer gab. Die Deltawerke waren auch eine monumentale Aufarbeitung dieses Traumas. Die Kombination von abschließbaren Dämmen und Flutwehren, errichtet zwischen 1958 und 1997, sichert seither Küste und Hinterland im Südwesten.
Gerade in den vergangenen Jahren wurden weitere Anstrengungen unternommen, um sich auf diesem Gebiet den sich verändernden Umweltbedingungen anzupassen. Bereits im Jahr 2000 veröffentlichte die »Kommission Wasserverwaltung 21. Jahrhundert« ihren Abschlussbericht. Auf diesen stützt sich heute das Verfahren, Überschwemmungen nicht nur mit höheren Flussdeichen vorzubeugen, sondern auch, indem Flussbetten verbreitert und Deiche verlegt werden. Zudem sollen im Krisenfall so genannte Notüberlaufgebiete kontrolliert geflutet werden, um Katastrophen zu verhindern. Noch ausdrücklicher im Zeichen des Klimawandels stand die Neuauflage der von der Regierung beauftragten Deltakommission, die 2008 ihren Bericht vorlegte. Darauf basiert das neue »Deltaprogramm« zum Hochwasser- und Küstenschutz bis zum Jahr 2100. Der »Deltakommissar« genannte Leiter Wim Kuiken beschreibt den Grundgedanken so: »Typisch ist, dass wir voraus schauen. Früher handelten wir erst, als es schief gegangen war.« Die Prävention ist nicht billig: Zwei Milliarden Euro kosten die Schutzmaßnahmen pro Jahr. Ab 2020 soll das Budget auf drei Milliarden erhöht werden.

Auf den Ruf der Niederlande als »Wasser-Expertin« bezieht sich auch der Anpassungsplan der Regierung, die sehr wohl weiß, dass dieser dem Land eine hervorragende Stellung im Wettbewerb um neue Technologien verschafft. Das Beispiel der in Kopenhagen lancierten »Delta Alliance« zeigt, dass diese Rechnung aufgeht. Langfristig sollen dort alle betroffenen Länder Wissen und Lösungen austauschen. Treibende Kraft dahinter ist das niederländische Forschungsinstitut Deltares, das auf Deltatechnologie spezialisiert ist.
Florrie de Pater vom Institut für Umweltfragen (IVM) der Freien Universität Amsterdam bestätigt, dass die Niederlande vor allem wegen ihrer Lage früh zum Handeln gezwungen waren. Die Hochwasser an Maas, Rhein und Waal 1993 und vor allem 1995 hätten dies vor nicht allzu langer Zeit gezeigt. In Kombination mit den finanziellen Mitteln zur Förderung neuer Ansätze wurde daraus ein Wirtschaftszweig, der in Zukunft noch wichtiger werden dürfte. Für Aufsehen sorgen dabei gerade Verknüpfungen mit anderen Gebieten, auf denen die Niederlande internationale Anerkennung finden. Die 2008 begonnene Erweiterung von Europas größtem Hafen in Rotterdam findet auf 2 000 Hektar Land statt, das dem Meer abgerungen wurde. Und im nahe gelegenen Delft entwickelt die dortige Technische Universität ihr Raumnutzungs-Modellkonzept der floating city. Dieses beinhaltet auf dem Wasser treibende Häuser, die fünf Meter mit dem Pegel steigen können. Daneben wurden Gebäude entworfen, die im Trockenen stehen, bei Überflutung aber auf der Oberfläche schwimmen. Im südniederländischen Maasbommel bestehen bereits einige Einheiten. Die Projektbeschreibung feiert dies als »zusammenhängendes Exportprodukt der niederländischen Kerngebiete Wassermanagement, Architektur und Bautechnologie«.
Weniger beeindruckend fällt jedoch auch für die Niederlande die Zwischenbilanz bei den eigenen Klimazielen aus. Zwar sieht sich die Regierung auch auf dem konventionellen Gebiet der Mitigation in Zukunft als »eines der saubersten und sparsamsten Energieländer Europas«. Doch NGO wie die Stiftung Natur und Umwelt zeigten bereits zu Jahresbeginn auf, dass bestenfalls die Hälfte der vorgesehenen Minderung des CO2-Ausstoßes um 30 Prozent erreicht werde. Vielleicht ein weiteres Argument dafür, die Adaptionsstrategien zu verstärken.