Über Nick Caves »Der Tod des Bunny Munro«

Die Klitoris von Avril Lavigne

Nick Cave schildert in seinem Roman »Der Tod des Bunny Munro« einen Sexbesessenen. Klaus Bittermann findet den Mann schwer erträglich. Dabei hätte das Buch das Zeug zum Meisterwerk gehabt.

An manchen Stellen ist die Lektüre von Nick Caves neuem Buch »Der Tod des Bunny Munro« schwer zu ertragen. Für einige mag das ein Qualitätssiegel sein, ein Hinweis auf den literarischen Wert des Buches, aber wenn ich mich zu fragen beginne, warum ich mich eigentlich durch einen Roman quäle, von dem ich weiß, dass er bei mir eine Leere zurücklässt, die sehr schnell ins vollständige Vergessen führt, höre ich lieber auf. Dabei ist das Buch nicht einfach langweilig. Auch wenn es keinen Spannungsbogen gibt, will man irgendwie wissen, wie es weitergeht, weil man von Anfang an weiß, dass der Protagonist zielsicher auf sein Ende zusteuert. Es ist auch nicht schlecht geschrieben, manchmal sogar mit einem po­etischen Flow, auf jeder Seite metapherngewittert es gewaltig, und wenn man von den passagenweise banalen Dialogen absieht, mit denen sich irgendein beliebiges Drehbuch füllen ließe, dann hat die Geschichte des Bunny Munro durchaus etwas für sich.
Bunny Munro ist Vertreter für Kosmetik, er ist sexbesessen und trinkt sich ständig an den Rand der Bewusstlosigkeit. Er ist eine Art Karikatur eines Machos, wie er in Männermagazinen und Boulevardzeitungen sein unverwüst­liches Dasein fristet, wobei Nick Caves Figur anfänglich mehr Macho als Karikatur ist, denn Bunny Munro legt die Frauen reihenweise und nach Belieben flach. Er hat selbst auf großer Distanz einen Riecher dafür, welche Frau nur darauf wartet, von ihm penetriert zu werden.
Leider gelingt es Nick Cave nicht wirklich, eine Erzählweise zu finden, die sich von der Sprache des Boulevards und seiner Vorstellungswelt unterscheidet. Das ganze kleine Universum, in dem sich Bunny Munro bewegt, ist sexuell aufgeladen, und man bekommt den Eindruck, als würden sich die Frauen ihm nur so an den Hals werfen. Die meisten Machos brüsten sich damit, ungeheuer potente Macker zu sein, deren Kompass der erigierte Penis ist. Dahinter steckt meist ein armes Würstchen. Nicht, dass diese Typen nicht existieren würden, und vielleicht treiben ja mehr Bunny Munros ihr Unwesen auf der Welt, als man glaubt, aber diese Welt gibt nicht wirklich viel her, jedenfalls nicht für jemanden, der ein bisschen mehr wissen will als das, was Bunny Munro durch die leere Birne rauscht, wenn der nächste Frauenarsch an ihm vorbeiwackelt.
Interessant wird Bunny Munro höchstens als Karikatur eines Sexmonsters, also dort, wo er scheitert. Zum Beispiel wenn ihn sein Instinkt im Stich lässt und er auf Frauen trifft, die ihm nicht zu Willen sind, sondern ihm die Nase brechen, weil er zu aufdringlich ist.
Aber der Witz, der sich aus diesem Scheitern unwillkürlich ergibt, ist schal und ähnelt dem Lachen, das ein Clown hervorruft, wenn er ständig gegen die Wand rennt, ein schadenfrohes Lachen also, aber auch eins, das von schlichtem Gemüt zeugt, denn schlicht muss man schon sein, um sich darüber amüsieren zu können, wenn jemand auf die Schnauze fällt. Inzwischen ist das Niveau des Humors selbst in Deutschland ein wenig gestiegen. Und einfach zu schreiben, Bunny Munro träume von der ­Klitoris Avril Lavignes, und Spaß dabei zu empfinden, ist nicht gerade besonders originell.
Bunny Munro hat zwar seine Abgründe, aber psychologisch ist er einfach gestrickt. Das Interesse, das man an seiner Person haben kann, ist begrenzt, seine sexbesessene Aufdringlichkeit ist eindimensional und wirkt schnell öde. Und warum auch sollte man einem Mann seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, der intellektuell in der Welt des Boulevards und des Seite-Eins-Girls zu Hause ist. Diesen Mann über 300 Seiten durch den Roman zu schleppen, ist in gewisser Weise eine Leistung, denn es ist ein trostloser Ritt durch ein trostloses Ambiente.
Nick Cave meinte in einem Interview, dass »die Welt krank geworden« sei. »Was das Fernsehen, die Werbung und die Medien zeigen, hat eine massive Wirkung auf die Kultur, und was sie zeigen, ist zunehmend gestört. Bunny Munro ist für mich ein Produkt davon.« Und das ist genau das Problem. In dieser schlichten Kausalität ist kein Raum für Widersprüchliches, für Brüche, Überraschungen, weil die Figur gefangen ist von einer Sicht auf die Welt, die jemand gewinnt, der gebannt auf den Fernseher starrt und durch ihn die Kultur in Gefahr sieht. Der Anspruch, »einen monsterhaften Charakter zu schaffen, in dem man etwas von sich entdecken kann«, wirkt aufgesetzt. Dabei will ich nicht leugnen, dass jedem auch eine dunkle Seite innewohnt, aber gerade die ist nicht nur stumpf oder einfach gestrickt und zeigt sich in der Öffentlichkeit auch nicht unbedingt pur und unverfälscht.
Und so rumpelt das Monster durch die Geschichte: Vergeblich versucht Bunny Munro, am Telefon seine depressive Frau zu beschwichtigen, als die mitbekommt, was sie schon vermutet: dass er gerade wieder mit einer Frau zugange ist. Zum Glück versucht Nick Cave erst gar nicht, den Beischlaf zu beschreiben. Das muss man ihm hoch anrechnen, denn die meisten Autoren, die sich darin versucht haben, sind gescheitert und haben höchstens den Stuss zustande gebracht, den man auch im Playboy finden kann. Am nächsten Morgen »nagelt« er noch schnell ein Zimmermädchen, von dem er sofort weiß, dass es die Chance wittert, auf diese Weise ihrem Trott zu entkommen, bevor er nach Hause fährt und dort seine Frau erhängt vorfindet.
Das Begräbnis gehört zu den tollen Szenen des Buches: Seine Schwiegereltern machen ihn für den Tod ihrer Tochter verantwortlich und überschütten ihn mit Hass. Noch während der Zeremonie holt er sich einen runter, und beim anschließenden Besäufnis mit seinen Kumpels, die alle so drauf sind wie er, macht er sich über die Braut seines Kollegen her. Dummerweise ist da noch sein kleiner Junge, und weil er nichts mit sich und mit dem Jungen anzufangen weiß, packt er kurzentschlossen seinen Sohn ins Auto und macht sich wieder auf die Vertretertour, auf der sich alles immer mehr zuspitzt.
Unerträglich wird der Roman auch dadurch, dass der Sohn seinem Vater Zuneigung und Bewunderung entgegenbringt, während Bunny Munro überhaupt nicht in der Lage ist, darauf zu reagieren, und auch sonst keinen Plan hat, außer so zu tun, als sei er der große Zampano mit dem großen Durchblick, eine Fassade, die immer mehr Risse bekommt. Die Vater-Sohn-Beziehung macht die innere Spannung des Romans aus, aber die Lektüre ist dennoch eine zähe Angelegenheit. Es ging mir damit ähnlich wie mit den meisten Songs von Nick Cave. Sicher, es gibt löbliche Ausnahmen, wie z.B. die unglaublich intensive Mörder-Ballade »O’Malley’s Bar«, in der jemand ein Blutbad in einer Kneipe anrichtet und sich dann von der heranrückenden Polizei verhaften lässt. Der Song dauert 15 Minuten. Für ein Musikstück ist das viel. Würde aber die Lektüre des Buches eine Viertelstunde in Anspruch nehmen, wäre das wenig, und der Roman hätte sogar ein kleines Kunstwerk sein können.

Nick Cave: Der Tod des Bunny Munro. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 320 Seiten, 19,90 Euro