Nach dem fehlgeschlagenen Anschlag von Detroit

Chaostage bei den Geheimdiensten

Vor dem fehlgeschlagenen Attentat über Detroit lagen den US-Behörden Warnungen vor. Präsident Obama will den Sicherheitsapparat reformieren, aber auch das US-Engagement im Jemen und in Somalia verstärken.

Die Passagiere hatten Glück. Die Bombe, die Farouk Umar Abdul Mutallab in seiner Unterwäsche an Bord eines Fluges der Northwest Airlines von Amsterdam nach Detroit geschmuggelt hatte, zündete nicht. Mitreisende überwältigten den Attentäter, die Crew löschte den kleinen Brand und das Flugzeug landete problemlos.
Seit Barack Obamas Amtsantritt vor elf Monaten waren in der öffentlichen Debatte innenpolitischen Themen wie die zähen Verhandlungen über die Gesundheitsreform vorherrschend. Die meisten Amerikaner hatten mehr Angst vor den Folgen der Wirtschaftskrise als vor einem neuen Anschlag von al-Qaida. Doch der fehlgeschlagene Anschlag vom 25. Dezember dominierte die Medienberichte zwischen Weihnachten und Neujahr, und Präsident Obama gebrauchte ein seit dem Abgang seines Vorgängers George W. Bush in der Terrordebatte selten gewordenes Wort: Krieg.
»Unsere Nation ist im Krieg gegen ein weitreichendes Netzwerk der Gewalt und des Hasses«, sagte Obama in der ersten wöchentlichen Radioansprache des neuen Jahres. Von der Wiederkehr den »Kriegs gegen den Terror«, den Bush propagiert hatte, könne nicht die Rede sein, hatte Kommunikationsdirektor Dan Pfeiffer zuvor klargestellt. Denn man führe Krieg nicht gegen »den Terrorismus«, sondern gegen ein bestimmtes Terrornetzwerk.
Dennoch ist die neue Bezeichnung von Bedeutung. Nach dem gescheiterten Attentat, für das die im Jemen aktive »al-Qaida auf der arabischen Halbinsel« verantwortlich gemacht wird, sprechen viele US-Analytiker, Politiker und Journalisten von einer »dritten Front« im Kampf gegen das Terrornetzwerk. Um eine neue Front handelt es sich dabei eigentlich nicht, denn schon seit dem Sprengstoffattentat auf den US-Zerstörer Cole im Jahr 2000 im Hafen von Aden arbeiten die Regierungen des Jemen und der USA zusammen. Das Verhältnis zwischen den beiden Staaten wurde jedoch bereits 2002 erheblich getrübt. Präsident Bush hatte sich damals mit einem Raketenangriff auf ein Fahrzeug gebrüstet, bei dem führende Funktionäre von al-Qaida getötet worden waren, obwohl die jemenitische Regierung ihn eindringlich gebeten hatte, darüber diskret zu schweigen.
Seither blieben die Beziehungen angespannt, während die jemenitische Regierung wachsende Probleme mit bewaffneten Aufständischen bekam. Doch in der vergangenen Woche vereinbarten Obama und der britische Premierminister Gordon Brown die Finanzierung einer jemenitischen Polizeieinheit für die Terrorbekämpfung und Unterstützung für die Küstenwache Jemens. US-General David Petraeus, der Leiter der militärischen Stabstelle für den Nahen Osten und Zentralasien, traf sich mit dem jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh, um über eine mittelfristige gemeinsame Strategie zu beraten. Statt jährlich 70 Millionen Dollar finanzieller Unterstützung für jemenitische Anti-Terror-Aktivitäten soll nun ungefähr der doppelte Betrag fließen.

Auch über Angriffsziele für das US-Militär im Jemen selbst wurde Medienberichten zufolge gesprochen. Dass es in der Woche vor Weihnachten mehrere US-Raketenangriffe auf Trainingslager von al-Qaida gegeben habe, wurde von der US-Regierung nicht bestätigt. Ob Obama womöglich, anders als sein Vorgänger, jemenitische Bitten um Diskretion erhörte oder ob er selbst die US-Bevölkerung zur Weihnachtszeit nicht mit Nachrichten über einen potenziellen neuen Kriegsschauplatz beunruhigen wollte, ist unklar.
Auch für die Lage in Somalia bringen Obama und Brown größeres Interesse auf. Die mit al-Qaida verbündeten Jihadisten von al-Shabab haben dort an Macht gewonnen, auch diese Bewegung wird verdächtigt, Anschläge im Westen zu planen. Als failed state ohne Zentralregierung kann Somalia Terroristen als Unterschlupf dienen. Die USA und Großbritannien wollen im UN-Sicherheitsrat nun den Aufbau einer internationalen Eingreiftruppe für Somalia beantragen und eventuell in den nächsten Wochen eine Jemen-Konferenz in London veranstalten. Bislang sind jedoch alle Militärinterventionen in Somalia gescheitert, die derzeit im Land stationierten 5 000 Soldaten der Afrikanischen Union können den Vormarsch von al-Shabab nicht aufhalten.

Da weiterhin damit gerechnet werden muss, dass al-Qaida Attentäter ausbildet, konzentriert sich die innenpolitische Debatte auf die Arbeit des Sicherheitsapparats. Anders als im August 2001 gab es vor dem jüngsten Attentat zwar keine Vorwarnung an den Präsidenten. Doch wie damals hatten offenbar diverse Geheimdienste und Behörden Informationen, die sie jedoch nicht austauschten. Medienberichten zufolge war Mutallab nicht nur in der Anti-Terror-Datenbank registriert, sein eigener Vater hatte persönlich die CIA vor ihm gewarnt. Dennoch behielt Mutallab sein vom Außenministerium ausgestelltes Visum, das ihm die mehrmalige Einreise gestattete.
Obama kündigte eine intensive Aufarbeitung des institutionellen Versagens an. Die bekannten Kommunikationsdefizite zwischen den verschiedenen Geheimdiensten und Behörden sollen ebenso untersucht werden wie die Effektivität der Anti-Terror-Datenbank, die eine halbe Million Namen enthält. Auch der Senator und Vorsitzende des Heimatschutzausschusses, Joe Lieberman, kündigte Untersuchungen an: »Wir haben diesmal Glück gehabt, aber nächstes Mal könnte unser Glück ausgehen, daher müssen wir unsere Maßnahmen überdenken.«
In der Kritik steht vor allem die für die Flug­sicherheit zuständige Transportation Security Administration (TSA). Kurzfristig verschärfte die Behörde die Sicherheitsmaßnahmen, doch ist es ihr seit Jahren bekannt, dass Sprengstoff der von Mutallab benutzten Art relativ problemlos durch die Sicherheitschecks am Flughafen geschleust werden kann. Eine Lösung für dieses Problem haben offenbar weder die TSA noch das übergeordnete Department of Homeland Security noch der Präsident oder der Kongress parat. Wie in Europa wird nun vornehmlich über sogenannte Nacktscanner diskutiert. Deren flächendeckenden Einsatz forderte unter anderem Michael Chertoff, ehemals Minister für Homeland Security unter Bush und nunmehr Lobbyist für einen Hersteller von Nacktscannern.
Den Rücktritt des Leiters der TSA können die Republikaner nicht fordern. Ihr Senator Jim DeMint blockiert seit Monaten die Bestätigung des von Obama für dieses Amt nominierten Kandidaten, weil dieser eine Gewerkschaft für die TSA-Mitarbeiter befürwortet. Deshalb muss vor allem Janet Napolitano, die Ministerin für Homeland Security, als Zielscheibe konservativer Kritik herhalten. Bereits mit ihrer Befürwortung einer umfassenden Immigrationsreform und ihrer im Frühjahr 2009 ausgesprochenen Warnung vor rechtsextremen und christlich-fundamentalistischen Gewaltakten hatte Napolitano den Unwillen der Rechten auf sich gezogen. Obgleich sie ihr ursprüngliches Urteil, dass die US-Sicherheitsbehörden nicht versagt hätten, schnell revidierte, fordern eine Reihe republikanischer Kongressabgeordneter ihren Rücktritt. Napolitanos Verteidiger halten dem entgegen, dass das im Jahr 2002 von Bush und den Republikanern aufgebaute Ministerium, das 22 Behörden und Institutionen vereinigt, zu groß sei, um effektiv verwaltet zu werden.

Die rechten Medien und Politiker nutzten die Chance, Obama einmal mehr als Gefahr für die Sicherheit der USA darzustellen. Sie fordern verstärkte Überwachung und profiling von Muslimen sowie die Wiedereinführung der Folter für mutmaßliche Terroristen. Der rechte Fernsehsender Fox News etwa wiederholte mehrmals Berichte über eine Umfrage des konservativen Rasmussen-Instituts, der zufolge eine große Mehrheit die Anwendung der Foltertechnik waterboarding bei Mutallab befürwortet. Der ehemalige Vizepräsident Dick Cheney bezeichnete O­bama erneut als unpatriotischen und wirklichkeitsfremden Intellektuellen. Einem republikanischen Kongressabgeordneten hat kurz nach Weihnachten die Massenverschickung von E-Mails zum »Versagen Obamas« Hunderttausende Dollar an Spenden eingebracht.
Unmittelbare Folgen dürfte das fehlgeschlagene Attentat für die im US-Militärstützpunkt Guantánamo verbliebenen Gefangenen haben. Obama war bei dem Versuch, das Gefängnis zu schließen, bereits auf zahlreiche Hindernisse gestoßen. Dutzende Gefangene sollten in nächster Zeit in den Jemen repatriiert und anschließend die restlichen Gefangenen in einen Hochsicherheitstrakt im Bundesstaat Illinois überführt werden. Dieses Vorhaben scheint nun bis auf weiteres undurchführbar zu sein.