Der neoliberale Traum vom Glück

Das Glück der Anderen

Die Glücksforschung ist so erfolgreich, dass ihre Ergebnisse von Regierungen, der EU und den Vereinten Nationen diskutiert werden. In Deutschland hat sich die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft des Themas angenommen.

Bhutan hat das Bruttosozialglück, Großbritannien den Happy Planet Index, und in Frankreich wurde eine Kommission zur Erforschung der Lebenszufriedenheit gegründet. Die Leitung übernahmen die Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und Amartya Sen. In Deutschland sucht – und das ist nicht beglückend – die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) nach den Glücksfaktoren. Den Auftrag für die Berechnung des deutschen Glücks-Bruttoinlandsprodukts erhielt Ulrich van Suntum. Der Direktor des Centrums für angewandte Wirtschaftsforschung der Universität Münster war auch schon für die Bertelsmann-Stiftung ein zuverlässiger Datenlieferant für die gegenwärtige neoliberale Propaganda.
Die so genannte Glücksforschung, die überwiegend von Psychologen, Wirtschaftswissenschaftlern, Soziologen und mittlerweile auch von Neurologen betrieben wird, erfreut sich seit einigen Jahren großer Beliebtheit. Psychologische Ratgeber für die individuelle Glücksoptimierung landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Die Suche nach dem Glück scheint einerseits gut zur Ideologie des Selfmanagements zu passen, die sich in der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft manifestiert hat. Mit der tugendhaften Glückseligkeit, wie sie in der Nikomachischen Ethik von Aristoteles beschrieben wird, hat sie zumindest nichts mehr gemein. Andererseits gilt weiterhin, dass Geld allein nicht glücklich macht. Die ökonomische Glücksforschung orientiert sich immer noch am so genannten Easterlin-Paradox von 1974. Der amerikanische Ökonom Richard Easterlin fand damals heraus, dass die Lebenszufriedenheit in den Industrieländern stagnierte, obwohl sich deren Wohlstand stetig vermehrte. Daraus wurde gefolgert, dass es eine Sättigungsgrenze in der Beziehung zwischen Wohlstand und Glück gibt, ab einem bestimmten Jahreseinkommen produziert mehr Geld keine intensiven Glücksgefühle.

In der gegenwärtigen Wirtschaftkrise könnte die Rechnung, dass Wachstum nicht gleich Wohlbefinden ist, andere Zielsetzungen der Wirtschaftspolitik fördern. Die Kritik daran, die Lebensqualität ausschließlich am Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu messen, nimmt zumindest zu. Das BIP misst den Marktwert aller in einem bestimmten Zeitraum hergestellten Güter und Dienstleistungen, nach Naturkatastrophen und Kriegen steigt es überdurchschnittlich an, weil Zerstörung die Produktion antreibt. In die Berechnung fließen also Faktoren ein, die so ziemlich das Gegenteil von Glück bedeuten. Das BIP liefert auch keine Daten über die Einkommensverteilung, der deutliche Anstieg des Einkommens eines Milliardärs kann es durchaus in die Höhe treiben.
Die Stiglitz-Sen-Kommission lehnte in ihrem Abschlussbericht, den sie im September vorigen Jahres vorlegte, nicht nur das BIP als ungeeignetes Instrument für die Untersuchung der Lebensqualität ab. Auch die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen mit Durchschnittswerten beurteilte sie skeptisch und forderte, dass die Teilhabe der gesellschaftlichen Gruppen am Wachstum sichtbar gemacht werden müsse. Die deutsche Wirtschaftsleistung ist in den Jahren zwischen 2001 und 2008 um rund 200 Milliarden Euro gewachsen, und in dieser Zeit durften viele die Erfahrung machen, dass Wachstum nicht nur ohne Wohlbefinden, sondern auch ohne Wohlstand funktionierte. Die Reichen wurden reicher und die Armen ärmer.

In der Erasmus-Universität in Rotterdam findet man die World Database of Happyness, die der Soziologe Ruut Veenhoven aufgebaut hat. Dort sind alle relevanten Glücksstudien archiviert, die man für den internationalen Vergleich der Lebenszufriedenheit benötigt. Dass man die Ergebnisse der Glücksforschung auch neoliberal interpretieren kann, hat eine Forschungsgruppe der Deutschen Bank schon im April 2007 bewiesen. Auf der Suche nach einer Variante des glücklichen Kapitalismus verglich sie die weltweiten Zufriedenheitswerte und erklärte Erfolgsländer wie die Niederlande, die Schweiz, Norwegen, Großbritannien und die USA zur Peergroup des Glücks. Die Arbeitslosigkeit in den genannten Ländern war zum damaligen Zeitpunkt gering, das Einkommen und die individuelle Freiheit hoch, und die Bürger bekundeten eine große Zufriedenheit. Diese Glücksindikatoren reichten den Bankökonomen offenbar nicht, deswegen fügten sie ihrem Glücksrezept noch eine Empfehlung zur Abschaffung des Kündigungsschutzes hinzu. Für ihre Addition sprach nichts. An den in Rotterdam gesammelten Weltdaten des Glücks fällt im Gegenteil auf, dass die Befragten der europäischen Studien vor allem Existenzsicherheit als zentralen Faktor für ihr Glück werten.
Wirklich überraschend ist es also nicht, dass auch die Präsentation des von der INSM in Auftrag gegebenen »Glücks-BIPs« irritierende Ergebnisse hervorbrachte, die sich jedoch sehr geschmeidig den politischen Implikationen der neuen Regierung anpassen. Deren dringendste Amtshandlung war die Einführung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes. Folgerichtig wertet auch Ulrich van Suntum das Wirtschaftswachstum als wesentlichen Faktor für das Glück. »Geht es aufwärts, fühlen wir uns gut, geht es dagegen wirtschaftlich bergab, werden wir unzufrieden.« Diese Feststellung ist ebenso simpel wie unzeitgemäß. Führende Glücksökonomen wie der Brite Richard Layard sehen in ihren Studien schon lange die Entkopplung von Wachstum und Wohlergehen bestätigt. Die Diskussionen, die unter Glücksforschern um Lebensqualität geführt werden, konzentrieren sich auf den Begriff der Nachhaltigkeit.

Das Ergebnis, dass große Einkommensunterschiede die Lebenszufriedenheit steigern, bildete eine perfekte Symbiose mit der Programmatik der INSM und der schwarz-gelben Ideologie. »Eine mögliche Erklärung liegt darin, dass die Nivellierung von Einkommen nicht nur für die Wohlhabenden nachteilig ist, sondern auch die Anreize künftiger Leistungsträger reduziert.« Mit der Entdeckung der sozialen Ungleichheit als Glücksfaktor gelang van Suntum nicht nur eine prägnante Abweichung von allen bisherigen Erkenntnissen der Glücksforschung, er ermöglichte sich damit auch die Anbindung an ein sehr deutsches Phänomen, den Sozialneid von oben. Auf der Pressekonferenz musste man zwar die von Peter Sloterdijk und Thilo Sarrazin gewohnte Verve schmerzlich vermissen, als van Suntum mit mitleidheischendem Blick seine Gefühle als Steuerzahler schilderte, ging nur ein müdes Raunen durch das Publikum. Aber die glückspolitische Konsequenz zur Bekämpfung dieses Unglücksfaktors definierte er eindeutig: »Möglicherweise sind wir bei der Belastung der Leistungswilligen mit Steuern und Sozialabgaben bereits zu weit gegangen, und Neid macht eben nicht wirklich glücklich.«
Das Glück wird in dieser Studie als etwas beschrieben, das man besitzen kann. Da ist es nur naheliegend, dass vor allem Glücksbringer für Besitzende angeführt werden. Eigentum wird als Glücksfaktor eingeordnet, mit dem positiven Nebeneffekt, dass sich etwa Wohnungseigentümer stärker kommunal engagieren als Mieter. Und ehrenamtliche Tätigkeiten machen nicht nur glücklich, sie entlasten auch die Sozialausgaben. Für die Besitzlosen haben sich die INSM und ihr Botschafter aber auch ein Glückelixier einfallen lassen: Arbeit. Die Logik ist bestechend simpel, Arbeitslosigkeit macht unglücklich, deshalb bringt Arbeit Glück, egal unter welchen Bedingungen. Ein-Euro-Jobs und Kombilöhne werden favorisiert als Instrumente, die den arbeitenden Armen Glücksgefühle bescheren. Die »reine Zahlung von Arbeitslosengeld« wird abgelehnt. Die erste Ankündigung der neuen Arbeitsministerin, Ursula von der Leyen, war der verschärfte Einsatz von Sanktionen bei Hartz IV. Schauen wir mal, wie lange es noch dauert, bis solche Ankündigungen als Glücksmaßnahme verkauft werden.