Georgien, die separatistischen Regionen, Russland und die Nato

Fortsetzung folgt im Kino

Das neue Jahr begann der georgische Präsident Michail Saakaschwili mit kriege­rischer Rhetorik. Doch die separatistischen Regionen bleiben unter russischer Kontrolle – und eine Aufnahme Georgiens in die Nato bleibt unwahrscheinlich.

Mit den Repräsentanten »freundlicher Länder« wolle Michail Saakaschwili in München sprechen, berichteten georgische Medien. Der Präsident reiste am Donnerstag der vergangenen Woche zur Konferenz »Georgia at a New Crossroad«, an der Abgeordnete des Europa-Parlaments sowie Vertreter der Nato und mehrerer europäischer Staaten teilnahmen. Offenbar wollte Saakaschwili die Gelegenheit nutzen, um erneut für einen baldigen Beitritt seines Landes zur Nato zu werben. Doch die wenigsten Regierungen der »freundlichen Länder« wollen Georgien in das westliche Militärbündnis aufnehmen.
Peter Schmidt, Mitarbeiter des staatsnahen deutschen Instituts Stiftung Wissenschaft und Politik, rät in einem seiner jüngsten Beiträge von einer schnellen Aufnahme Georgiens in die Nato ab. Dies würde faktisch die Anerkennung der beiden abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien bedeuten. Zwar sei letztlich diese offizielle Anerkennung durch die EU und den gesamten Westen unvermeidlich, dabei müsse jedoch der Eindruck vermieden werden, dass man russischen Forderungen nachgebe - vor allem gegenüber Georgien.
Schmidts Beitrag fasst recht gut die in Europa vorherrschende Beschwichtigungspolitik zusammen, hat doch die EU weder vor noch nach dem Südossetienkrieg im August 2008 beabsichtigt, Russland zu isolieren. Die beste Variante ist Schmidt zufolge, Georgien zwar nicht zum sofortigen Verzicht auf ein Nato-Mitgliedschaftsgesuch zu drängen, denn das könne zu einer unerwünschten Abkehr vom Westen führen. Es entspreche jedoch den europäischen Interessen, wenn Georgien »eine Art Selbstneutralisierung« anstrebe, die faktisch unter dem außen- wie innenpolitischen Druck Russlands vollzögen würden. Man müsse jene politischen Kräfte in Georgien unterstützen, die dieser Variante zugeneigt seien.

Saakaschwili beteuert hingegen, dass man »Signale an falsche Leute« sende, wenn seinem Land der schnelle Beitritt zu Nato verwehrt wird. Seiner Regierung bemüht sich um eine Nato-Mitgliedschaft und die europäische Integration, ganz ähnlich ist auch die Opposition eingestellt. Das Reservistensystem des geschwächten Militärs wurde im vorigen Jahr reformiert. Saakaschwili entsandte Verstärkungen nach Afghanistan, wo nun 800 georgische Soldaten kämpfen. Kurz vor Neujahr wurde eine »schmerzhafte Umgruppierung« in der Armee verkündet, über 150 Kommandeure sollen von ihren Posten entfernt worden sein.
Georgien erhält zwar nach wie vor die Unterstützung der USA bei der Militärausbildung. Doch hat die Regierung Barack Obamas auf Druck Russlands die Lieferung tödlicher Waffen nach Georgien eingestellt. Nur einige republikanische Senatoren um Richard G. Lugar fordern Waffenlieferungen zur Stärkung des georgischen Militärs gegen Russland. Saakaschwilis Regierung unterhält enge Kontakte zu den Republikanern, vor allem zu John McCain, zu dem Demokraten Obama äußern sich hingegen selbst der Regierung nahestehende und proamerikanische georgische Medien bisweilen sehr ambivalent und kritisch.

Aber auch die amerikanischen Verbündeten wollten sich 2008 nicht in einen militärischen Konflikt mit Russland verwickeln lassen. Saakaschwili scheint aus dem desas­trösen Krieg mit Russland nichts gelernt zu haben. In der georgischen Diskussion werden meist die außenpolitischen Interessen der USA wie die Frage der Atomwaffen und das Bestreben, Russland als Verbündeten gegen den Iran zu gewinnen, ausgeblendet. Die Ansicht, dass »westliche Freunde« Georgien aus geopolitischen Gründen gegen Russland helfen würden, bleibt vorherrschend.
Gelegentlich, etwa an prominenter Stelle in der Fernsehansprache zu Neujahr, schwingt Saakaschwili wieder martialische Reden: »Gegen Georgien wird ein Krieg geführt.« Er schwor die Bevölkerung ein: »Jede georgische Familie, jede Straße, (…) jedes Dorf, jede Stadt (…) und jedes Haus soll zu einer Bastion des Widerstands für die Freiheit Georgiens werden.« Man habe endlich begriffen, dass »niemand unsere eigene Sache für uns machen« werde, »wenn nötig«, würden »hunderttausend Menschen, eine halbe Million, mit der Waffe in der Hand aufstehen.«
»Wir können nicht auf den guten Willen des Feindes zählen«, mahnte der Präsident. Mit einer Anspielung auf Bilder des russischen Premierministers Wladimir Putin, der angeblich einen Tiger mit einem Betäubungsgewehr erlegt hatte, schloss Saakaschwili ein Interview: »Das kommende Jahr ist das Jahr des Tigers (…) Unser Tiger ist bereit zum Sprung (…) Ob dieser dieses oder nächstes Jahr erfolgt, werden wir sehen (...)Gleich, welche Jagd man auf den Tiger ausruft, er wird sich als klüger als der Jäger erweisen. Wir kennen diesen Jäger bereits.«

Doch der »Jäger« ist weit überlegen. Ein öffent­liches Eingeständnis, dass die abtrünnigen Gebiete für die absehbare Zukunft verloren sind, ist für die Regierung wie für die politische Opposition ein Tabu. Die Orientierungslosigkeit wird oft mit Propaganda überdeckt. So begann am Montag der vorigen Woche der russischsprachige Erste Kaukasische Kanal des georgischen Fernsehens mit der Ausstrahlung seiner Sendungen, die zunächst nur im Internet übertragen werden.
Der Sender wendet sich an die russischsprachige Bevölkerung in Südossetien und Abchasien, in den übrigen kaukasischen Republiken und nicht zuletzt in Russland selbst. In Docufictions wie »1 005 Tage der Unabhängigkeit« wird die Geschichte der Annexion der unabhängigen georgischen Republik durch die sowjetrussische Rote Armee im Jahr 1921 nacherzählt. Die »investigativen Sendungen« arbeiten den stalinistischen Terror in Georgien auf, dabei verschmelzen auch die georgischen »Kollaborateure« mit dem Feindbild Russland, ganz der offiziellen Rhetorik von den »Feinden im Inneren« entsprechend. Die Botschaft selbst der Nachrichten, in denen etwa Russen vor dem orthodoxen Weihnachtsfest als alkoholsüchtig dargestellt werden, ist eindeutig. Es handelt sich um einen wahnhaften Versuch inszenierter Schuldabwehr, bei dem Russland die alleinige Verantwortung für frühere, derzeitige und präventiv auch schon für künftige »Aggressionen« zugeschrieben wird.
In diesem Jahr kommt »Georgia« in die Kinos, ein in Hollywood produzierter Film mit Andy Garcia in der Hauptrolle, als Präsident Saakasch­wili während des Kriegs. Die Deutung der Kriegsereignisse in diesem Film dürfte der des Ersten Kaukausischen Kanals ähneln: Die georgische Armee stellte Truppen und Munition an Originalschauplätzen für die Dreharbeiten bereit. Dieser Film wird so wohl das Spiegelbild des in Russland bereits 2008 produzierten und ausgestrahlten Kriegsfilms »Olympia Inferno« sein, der die Ereignisse wiederum aus der Sicht der offiziellen russischen Ideologie darstellt. Der Krieg im Kaukasus wird vorerst im Kino fortgesetzt.