Ill Till im Gespräch über XBerg Dhirty6 Cru und HipHop

»Mein Gehirn funktioniert wie ein Enddarm«

Beinahe unbemerkt ist im Jahr 2009 auf Sonig/Rough Trade ein Meisterwerk des deutschen Sprechgesangs erschienen: »Die Reime der Anderen« von der XBerg Dhirty6 Cru. Ihr virtuoser Sprechgesang wird von HipHop-Experten im stocksteifen Deutschland bequem als Persiflage abgetan. Ein Gespräch mit dem Sänger Ill Till über den unvermeidlichen Bling Bling und die Frage, wie ernst man HipHop denn überhaupt nehmen darf, um ihn weiterzuentwickeln.

Es heißt, Sie sprechen nicht gerne über die Vorgeschichte Ihrer Band. Erzählen Sie uns doch wenigstens eine kleine Anekdote zur Entstehung der Xberg Dhirty6 Cru.
Nur so viel: Wir haben uns alle im World-Of-Warcraft-Forum kennen gelernt. Im Internet haben wir im Spiel angefangen, miteinander zu rappen, und erst einige Zeit später überlegt, uns auch mal so zu treffen. Uns eint die Begeisterung für Rollenspiele.
Es gibt nicht wenige, die Ihre Musik auch eher als Rollenspiel, als Verballhornung von HipHop verstehen. Wie ernst ist es Ihnen denn mit Ihrer Musik?
Wenn man jemals einen Film wie »CB4« gesehen hat, der ja schon Anfang der neunziger Jahre das Rapmusik-Geschäft persiflierte, kann man das doch sowieso nur noch als Spiel begreifen. Und man darf nicht vergessen, dass die Leute, die heute in diesem HipHop-Geschäft am besten und am erfolgreichsten sind, ja auch wie Comic-Figuren funktionieren. Wir haben aber wohl in Deutschland nicht den Background, den ich wiederum vielleicht als schwarzer, amerikanischer Ghettorapper repräsentieren könnte.
In Amerika gelingt ein mehr oder weniger humoristischer Umgang mit dem HipHop-Klischee einigen Rappern – wie etwa den Beastie Boys oder Eminem – ja durchaus, auch ohne schwarze Hautfarbe.
Klar, aber es wäre für mich eben völlig reizlos, diese schöne, hauptsächlich »schwarze« Ghettosprache einfach ins Deutsche zu übersetzen. Wegen mir können in Deutschland die Gangsta-Rapper ja gerne weitermachen, aber es gibt eben auch ganz andere Sachen. Da muss man sich in Amerika nur mal die Diskographie der HipHop-Legende Kool Keith anhören.
Das Erstaunliche an der Xberg Dhirty6 Cru ist, dass Sie amerikanischen Vorbildern scheinbar gar nicht mehr nacheifern, sondern eine ganz eigene Form gefunden haben.
Deshalb finde ich den Persiflage-Vorwurf auch ziemlich absurd. Wir machen uns ja eher über uns selbst lustig, wenn wir aus dieser übertriebenen HipHop-Attitüde heraus über Dinge rappen. Eine Textzeile wie zum Beispiel »Hol den Maulwurf raus!« statt – wie im Gangsta-Rap üblich – »Hol deinen Schwanz raus!«: Damit machen wir uns doch nicht über HipHop lustig! Ganz im Gegenteil!
Klingt nach einer Einstellung, wie sie im Punkrock verbreitet ist.
Ich habe Punk und HipHop von der Grundhaltung immer gleichgesetzt. Diese Ansicht mag im HipHop verschwunden sein, aber das heißt ja nicht, dass man daran nicht mehr erinnern darf.
HipHop war einmal eine Subkultur mit einem eigenständigen Zeichen- und Referenzsystem. Was uns heute bleibt, ist der »Bling-Bling«-Rap von Leuten wie 50Cent auf MTV: Sex und Drogen in der eigenen Villa.
Klar, das ist ja auch der große Traum von uns! Als wir damals unser erstes Stück »Die Wichtigkeit« aufgenommen hatten, habe ich tatsächlich geweint. Ich dachte, wir hätten jetzt für immer ausgesorgt!
Kommerziell dürfte die XBerg Dhirty6 Crew allerdings keinen leichten Stand haben. Ihre Sprache übertrifft an Abstraktionsvermögen gerade jedes andere HipHop-Projekt in Deutschland. In welcher Tradition sehen Sie sich?
Nun, das Spiel mit dem für HipHop unverzichtbaren »Bling Bling« finde ich schon immer noch reizvoll. Es ist natürlich schon eine Verarschung, wenn wir dann etwa rappen: »Ein Euro ist nur noch fünfzig Pfennig wert«. Aber selbst in der »realen Welt« – also in den HipHop-Videos auf MTV – haben das Acts wie The Roots ja längst schon thematisch aufgegriffen: dass die Models in den Videos eben auch nur gemietet sind. Der Betrug im HipHop-Geschäft ist längst zum Standard geworden – und natürlich haben auch wir bei der XBerg Dhirty6 Cru sehr viel »Bling Bling« am Start.
Wenn Sie im Cover-Artwork Ihrer CD beispielsweise eine Plastik-Pralinenschachtel als Prunkstück abbilden: Was soll das für eine Art von Bling Bling sein? Kann Plastik Gold sein?
Plastik kann alles sein.
Anders gefragt: Wenn Sie HipHop aus den Charts persiflieren und dieser schon eine Persiflage seiner selbst ist, wovon lassen Sie sich wirklich inspirieren?
Wir haben ein bundesweites Internet-Überwachungssystem. So kam uns auch die Idee mit dem Album-Titel »Die Reime der Anderen«. Wir überwachen das ganze Internet, MySpace, Blogs, Podcasts usw., und lassen uns über RSS-Feeds ständig informieren. Alles landet am Ende auf meiner Festplatte.
Ihre Texte sind also Collagen anderer Leute, die Sie im Internet »überwachen«?
Nur teilweise ist es Kleptorap, teilweise sind die Texte schon noch aus unserer eigenen Feder.
Was verstehen Sie unter Kleptorap?
Ich bin ein Wort-Kleptomane, der wie ein Besessener die Wörter von anderen klaut, ohne dafür zu bezahlen. Mein Gehirn funktioniert dabei wie ein großer Enddarm.
Sind deshalb bei den Auftritten der XBerg Dhirty6 Cru fast alle Mitglieder maskiert? Oder wovor schützen Sie sich?
Nein, »Der Richter« muss das einfach machen. Er will ja tatsächlich einmal Richter in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht werden. Und er will seine bevorstehende Richterkarriere nicht mit einer vorausgegangenen HipHop-Karriere gefährden.
Sie selbst sind aber nicht maskiert.
Ja, aber es gibt auch bei mir Tendenzen zur Verhüllung. Ich mag es einfach, mich ständig an- und auszuziehen. Eigentlich hat HipHop eben auch so eine Antihaltung wie Punk, nur mit dem Unterschied, dass man hier hemmungslos konsumieren darf.
Dabei hat sich der heute verbreitete Markenfetisch im HipHop auch nur durch Zufälle ergeben: Als Run DMC zum Beispiel damals mit ihren Adidas-Klamotten aus der Second-Hand-Boutique auftraten, die die Wohlhabenden einfach nicht mehr tragen wollten …
Klar: die Marken der anderen!
Von den Markenartikeln zum Franchiseunternehmen: »XBerg« ist eine gängige Abkürzung für den Stadtteil Kreuzberg. »Dhirty6« spielt auf 36 an, den früheren Kreuzberger Postzustellbezirk. Wie beurteilen Sie die Entwicklungen dort in Ihrer »Hood«?
Ich wohne nun schon ewig dort. Ich habe die Veränderung des Stadtteils über viele Jahre also mitverfolgt. Aber das Thema Gentrifizierung ist in Kreuzberg eigentlich schon durch. Wir haben uns damit abgefunden. Ich will da jetzt keine großen Reden schwingen. Wir haben das unter anderem in dem Song »Quartiersmanege« ausgiebig behandelt. In der Nähe des Schlesischen Tors gibt es noch genügend Familienbetriebe, von denen ich weiterhin hoffe, das da so schnell kein Fusion-Food-Betrieb reinkommt. Aber am Ende ist mir die Gegend immer noch lieber als so ein nachgebautes Nürnberg am Hackeschen Markt in Berlin-Mitte.