Von Island lernen

Icesave ist keine Initiative zu Rettung der Eisberge vor der globalen Erwärmung, vielmehr handelte es sich um eine Online-Sparkasse der isländischen »Landsbanki«. Allerdings schmolz das Vermögen der Anleger in der Finanzkrise schneller dahin als der Kokainvorrat eines Börsianers während einer Hausse. Die Regierungen Großbritanniens und der Niederlande entschädigten ihre Staatsbürger für den Verlust, nun wollen sie die 3,8 Milliarden Euro in Island wieder eintreiben. Die Regierung der Insel wollte ihnen das Geld geben, doch die Isländer rechneten sich aus, dass sie pro Kopf etwa 12 000 Euro zahlen sollten, und 60 000 von ihnen unterschrieben eine Petition. Präsident Ólafur Ragnar Grímsson will die Bevölkerung nun abstimmen lassen.
Europäische Politiker drohen mit allerlei Maßnahmen, um die Zahlungsbereitschaft der Isländer zu fördern. Doch sollten sie lieber Vorsicht walten lassen. Denn auf der Insel haben sie es mit Leuten zu tun, die traditionell herrschaftskritisch sind. Als Harald Schönhaar sich Ende des 9. Jahrhunderts in Norwegen zum König ausrief, suchten sich viele Bauern lieber eine Insel ohne Monarchen, und weil sie sich dort nicht gerne herumkommandieren lassen, gibt es bis heute keine Armee.
Ursprünglich wurden alle Entscheidungen bei öffentlichen Versammlungen getroffen, allerdings nur von freien Männern, die eine Streitaxt zu führen verstanden. Es dauerte eine Weile, bis auch Menschen ohne Streitaxt mitentscheiden durften, doch im Jahr 1975 gab es einen Frauenstreik, und nunmehr belegt die Insel auf dem Global Gender Gap Index, der die Fortschritte bei der Gleichstellung der Frauen misst, den ersten Platz. In allen Berechnungen des Lebensstandards landen die Isländer auf einem der ersten drei Plätze, denn sie sind streikfreudig, mit 554 Streiktagen pro 1 000 Beschäftigten deklassieren sie selbst die schärfsten Konkurrenten, die Spanier, die es nur auf 250 Tage bringen. Ihrer Tradition blieben die Isländer auch während der Finanzkrise treu. Während anderswo nur genörgelt wurde, stürzten sie erstmal ihre Regierung. Ihrem Präsidenten ließen sie sein Amt, doch ist Grímsson vorsichtig genug, es nicht darauf ankommen zu lassen.
Anders die europäischen Politiker und Geschäftsleute. Schließlich sind sie überall auch mit den dreistesten Maßnahmen durchgekommen. Warum sollte das ausgerechnet in Island anders sein? Die Isländer werden unterschätzt, weil sie beim Kampf für den gesellschaftlichen Fortschritt wenig Lärm machen. Man glaubt, sie seien wie Björk, exzentrisch und melancholisch, aber ungefährlich. Björk hat jedoch mehreren Paparazzi bewiesen, dass sie auch anders kann, und sie hat zur derzeitigen Krise alles Notwendige gesagt: »If you complain once more/you’ll meet an army of me.« Deutlicher noch: »Samt vid munum skjóta theim, rebba fyrir rass.« Wir werden ihnen jedenfalls den Hintern versohlen.