Soldaten gegen die Inflation in Venezuela

Alle Preise stillgestanden!

Eigentlich wünscht sich Hugo Chávez eine regionale Währung. Zunächst aber musste der Präsident den venezolanischen Bolívar abwerten. Soldaten sollen nun die Inflation bekämpfen.

»Spekulanten, zittert, denn das Volk wird gewinnen!« Unter diesem Motto wurden am Donnerstag der vergangenen Woche in Caracas neue Freiwillige des Indepabis, des venezolanischen Nationalen Instituts zur Verteidigung der Personen beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, für den »Kampf gegen die Spekulation« einberufen. Sie schworen, dass sie die Bevölkerung schützen und die Spekulanten besiegen würden. Diese Freiwilligen werden Beschwerden der Bevölkerung über »Spekulation und Wucher« aufnehmen und sollen dagegen mit allen legalen Mitteln vorgehen. Das Indepabis ist mit etlichen Vollmachten ausgestattet, um Preise zu regulieren. Werden diese als »Wucher« eingestuft, drohen dem Unternehmen Sanktionen wie zum Beispiel eine vorübergehende Zwangsschließung.
Die neuen Freiwilligen werden in den nächsten Wochen wohl alle Hände voll zu tun haben. Denn nach der Abwertung des Bolívars, der Währung Venezuelas, erwarten alle deutliche Preissteigerungen. Seit März 2005 war der Kurs auf 2,15 Bolívar für einen Dollar festgesetzt, seit dem 10. Januar kostet ein Dollar 2,6 Bolívar, wenn man damit »essentielle Güter« kaufen will. Damit sind nach der Verordnung der Regierung Lebensmittel und Medikamente gemeint. Will man dagegen »nichtessentielle Güter« wie etwa Kosmetika oder Elektronikartikel kaufen, zahlt man sogar 4,3 Bolívar.

Da beim legalen Währungstausch hohe Abgaben fällig werden, blüht in Venezuela seit Jahrzehnten der Schwarzmarkt für Dollars. Auf diesem stieg der Preis der US-Währung um 18 Prozent auf 6,5 Bolívar. Die enorme Bedeutung des Schwarzmarkts macht es schwierig, die Konsequenzen dieser Regierungsmaßnahme einzuschätzen.
Die unmittelbare Folge der Abwertung war jedenfalls ein Ansturm auf Geschäfte, die Importwaren verkaufen. Fernseher, DVD-Spieler und Kosmetikwaren standen ganz oben auf den Einkaufslisten der Venezolaner, die nun aus Angst vor einer noch höheren Inflation in die Warenhäuser rannten. Die fast ausschließlich vom Erdölsektor abhängige venezolanische Wirtschaft ist sehr stark auf Importe angewiesen, und mit dem neuen Dollarkurs werden sich diese nun erheblich verteuern. Wer weiß schon, was in drei Monaten ein Fernseher in Maracaibo kosten wird?
Einen Tag nach der Währungsabwertung versprach Präsident Hugo Chávez, der Inflation Einhalt zu gebieten, »wenn es sein muss, mit Hilfe des Militärs«. So zogen am vorvergangenen Wochenende Soldaten durch die Supermärkte, um zu schauen, ob die Preisschildchen auch das Richtige ausweisen. Die Freiwilligen des Indepabis sollen dabei behilflich sein. Bereits über 70 Geschäfte ließ die staatliche Behörde für 24 Stunden schließen. Betroffen waren unter anderem Supermarktketten kolumbianischer und französischer Eigner.

Ob dieses martialische Vorgehen helfen wird, ist jedoch mehr als fraglich. Venezuela hat mit 25 Prozent bereits eine der höchsten Inflationsraten des Kontinents. Domingo Maza, ein ehemaliger Direktor der Zentralbank, glaubt, dass die jetzige Abwertung die Inflation auf 50 Prozent erhöhen könnte, wie er dem venezolanischen Sender Union Radio erzählte. Doch andere Experten halten diese Einschätzung für zu pessimistisch.
Seit geraumer Zeit hatten venezolanische Wirtschaftsfachleute eine Abwertung verlangt. Der überbewertete Bolívar hemme die Exportwirtschaft, argumentierten sie. »Wir müssen aus dieser auf Ölrenten basierenden Wirtschaft herauskommen«, sagte Präsident Chávez. »Dieses Jahr werden wir einen großen Schritt in diese Richtung gehen. Immer mit einem Ziel: Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen, mit einer sozialen Funktion.« Die Abwertung der Währung soll die einheimische Industrie stärken und so die Diversifizierung vorantreiben. Doch innerhalb weniger Monate wird in Venezuela sicher keine blühende Industrie für Elektronikartikel entstehen.
Außerdem ist fraglich, ob in Zeiten der Rezession viel Kapital in venezolanische Fabriken investiert werden wird.
Es gibt aber wohl noch einen anderen Grund, der aus Sicht der Regierung für die Abwertung spricht. Da die Ölausfuhren des Landes weiter in Dollar bezahlt werden, entlastet der neue Kurs den staatlichen Haushalt. Einige Ökonomen gehen davon aus, dass sich das Haushaltsdefizit nun halbieren wird. So bleibt mehr Geld übrig, um die venezolanischen Staatsschulden zu bedienen. Auch für ausländische Erdölunternehmen, die in Venezuela über Konzessionen verfügen, dürfte die Abwertung der Währung vorteilhaft sein.
Doch ohne Risiken ist diese Maßnahme nicht. Bereits am 18. Februar 1983, als Hugo Chávez noch ein unbekannter Offizier der Fallschirmjäger war, wurde ein mehrstufiger Dollarwechselkurs eingeführt. Dieser Tag ging als »Schwarzer Freitag« in die Annalen ein, weil ein wirtschaftlischer Zusammenbruch die Folge war. Über korrupte Netzwerke bereicherten sich viele an den verschiedenen Wechselkursen, schätzungsweise 60 Milliarden Dollar wurden so veruntreut. Die Regierung wiegelt nun ab, mit den Kapitalkon­trollen, die im Jahr 2003 eingeführt wurden, sei ein solcher Missbrauch unmöglich. »Die Analysten der Konterrevolution verlangten immer eine Anpassung des Kurses, nun haben wir sie durchgeführt und sie sind immer noch unzufrieden«, beschwerte sich Chávez.

Ohne Zweifel könnte die Wirtschaft des Landes Auftrieb gebrauchen. Eine außergewöhnliche Dürre macht der Landwirtschaft zu schaffen, der Wassermangel bedroht auch die Industrie. Der Stausee von El Guri ist beinahe leer, in den angeschlossenen Wasserkraftwerken werden etwa 70 Prozent des Stroms für das Land erzeugt. Um Wasser und Strom zu sparen, ließ die Regierung einige staatliche Aluminium- und Stahlwerke zeitweise schließen. Im öffentlichen Dienst Beschäftigte müssen nur noch fünf Stunden am Tag arbeiten, und in Caracas wurde vergangene Woche für einige Tage der Strom rationiert. Diese Maßnahme war allerdings schlecht geplant und führte zu einem Verkehrschaos, Chávez feuerte seinen Energieminister und nahm die Stromrationierung für die Hauptstadt zurück. Der »Sozialismus des 21.Jahrhunderts« ist immer noch sehr anfällig für Probleme, die auch kapitalistischen Ökonomien zu schaffen machen.
Doch Chávez hat weiter gehende Pläne. In diesem Jahr soll die regionale Währung Sucre eingeführt werden. Der Name ist sowohl eine Hommage an den Freiheitskämpfer und Freund von Simon Bolívar, António José de Sucre, als auch die spanische Abkürzung für »vereinheitlichtes Ausgleichsystem«. Es handelt sich vorerst um eine virtuelle Währung, sie soll, ähnlich dem 1979 in der Europäischen Gemeinschaft eingeführten Ecu, nur im Handel zwischen den Mitgliedern des von Venezuela geförderten Staatenbündnisses Alba (Bolívarianische Alternative für die Völker Amerikas) gelten und wird durch die nationalen Währungen gedeckt.
Da bislang noch nicht ausreichend Geld für die Währung hinterlegt wurde, ist sie derzeit nur für ausgewählte Handelsverträge vorgesehen. So sollen in diesem Jahr venezolanische Reisexporte nach Kuba in Sucre verrechnet werden, ebenso wie die venezolanischen Importe von Asphalt aus Bolivien. Die Theoretiker der »bolivarischen Revolution« hoffen, dass so langfristig der regionale Handel gestärkt und die Abhängigkeit von den Industrieländern verringert werden kann. Doch Plasmabildschirme wird man wohl noch sehr lange in Dollar bezahlen müssen, auch innerhalb der Alba.