Französische Überseedepartements lehnen weiter gehende Autonomie ab

Autonomie ist zu teuer

In einem Referendum lehnten die Bewohner der französischen Überseedepartments La Martinique und Französisch-Guyana eine erweiterte Autonomie ab.

Eigentlich möchte ja jeder unabhängiger sein. Vor allem von diskriminierten Bevölkerungsgruppen wird erwartet, dass sie einer erweiterten Autonomie zustimmen. Doch auf La Martinique und in Französisch-Guyana lehnte die Mehrheit der Bevölkerung den Vorschlag der Regierung ab, erweiterte politische Rechte zu erhalten.
Die Karibikinsel La Martinique und Französisch-Guyana zählen zu den französischen Überseedepartments, sie sind weitestgehend Verwaltungsbezirken in Frankreich gleichgestellt. Dies schließt theoretisch das Prinzip der »republikanischen Gleichheit« ein, aber eigene Vollmachten zur Gesetzgebung grundsätzlich aus. Zur Abstimmung stand am vorvergangenen Wochenende nun, ob La Martinique und Französisch-Guyana ihren bisherigen Status beibehalten oder eine erweiterte »Autonomie« übernehmen, die eigene Gesetzgebungsrechte einschließt. Knapp 70 Prozent der Abstimmenden in Guyana und 79 Prozent auf La Martinique entschieden sich bei einer Beteiligung von 48 bzw. 55 Prozent gegen die größere Autonomie.
Das Autonomiestatut scheint auf den ersten Blick ein bürokratisches Problem zu sein, über das allenfalls unter Juristen und Verwaltungsfachleuten zu debattieren wäre. Doch die Diskussion hatte sich stark politisiert, als Präsident Nicolas Sarkozy im Juni vergangenen Jahres auf La Martinique eine Rede hielt und eine Abstimmung zum Thema »Autonomie« ankündigte. Sein damaliger Auftritt war mit großer Spannung erwartet worden, da ihm in den ersten drei Monaten des Jahres ein Generalstreik auf Guadeloupe (Jungle World 9/09) und kurz darauf auch auf La Martinique vorausgegangen waren.

Die Streikenden protestierten gegen die wirtschaftliche Benachteiligung der Karibikbewohner. Die Inseln sind von Importen aus dem europäischen Frankreich ökonomisch abhängig, und es gibt Einfuhr- und Ausfuhrmonopole. Sie liegen fest in den Händen der kleinen Bevölkerungsgruppe der Béké, der Nachfahren der früheren weißen Sklavenhalteroligarchie.
Sarkozy reagierte mit Zugeständnissen, unter anderem wurden die Löhne erhöht. Als er dann im Juni 2009 auf die Antillen reiste, propagierte er eine »institutionelle Lösung« als Antwort auf die Beschwerden über elende Lebensbedingungen. Wenn die Einwohner der Karibikinseln unzufrieden seien, sollten sie einfach mehr Autonomie fordern, keinesfalls allerdings die Unabhängigkeit, die Sarkozy kategorisch ausschloss.
Der Präsident hoffte, mit der Abstimmung über erweiterte Autonomierechte den Unmut dämpfen zu können. Allerdings hatte er auch präzisiert: »Je autonomer eine Gemeinschaft ist, desto mehr muss sie selbst in die Hand nehmen und desto mehr Verantwortung werden ihre Mandatsträger für ihre Weichenstellungen haben.« Dies war eine kaum verklausulierte Ankündigung, dass der Staat künftig weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stellen werde, während sich an der Abhängigkeitsstrukturen und den politischen Machtverhältnissen nichts ändern sollte. Wohl vor allem deshalb stimmte die Mehrheit gegen den Vorschlag Sarkozys. Nationalistische Rechte lehnen die Autonomiepläne allerdings ab, weil sie sie als eine Einschränkung der Staatsautorität betrachten.

Die Unzufriedenheit ist kaum geringer als im vergangenen Jahr. Auf der Insel Guadeloupe wurde nicht abgestimmt, dort bereitete das LKP (Kollektiv gegen Ausbeutung) mit seinen rund 60 Mitgliedsvereinigungen Anfang Januar einen neuen Generalstreik vor. Der Ausstand sollte am 20. Januar beginnen. Denn die Preise steigen wieder, viele Unternehmen umgehen das Abkommen vom vorigen Jahr, das eine Lohnerhöhung um 300 Euro pro Monat garantiert. Doch es gibt in der Protestbewegung Streit zwischen den Befürwortern einer Unabhängigkeit und jenen, die überwiegend soziale Forderungen erheben wollen. Überdies ist wegen der Wirtschaftkrise die Arbeitslosigkeit auf den Antillen im vorigen Jahr stark angestiegen. Viele Unternehmer drohen mit Entlassungen, falls sie 300 Euro mehr Lohn zahlen müssen. Nachdem eine Demonstration in der ersten Januarwoche mit wohl weniger als 10 000 Teilnehmern die Erwartungen enttäuschte, sagte das LKP den Generalstreik wieder ab.