Der »Sexskandal« um die nordirische First Lady

Iris Robinson, it’s me

Über den »Sexskandal« um die Ehefrau des nordirischen Premierministers und eine ungewöhnliche Gender-Konstellation.

Simon & Garfunkel dürfen sich dieser Tage über ihre Tantiemenabrechnung freuen, denn wann immer über die sogenannte Sexaffäre in Nordirland berichtet wird, wird auch ihr Song »Mrs. Robinson« angespielt. Die Vergleiche mit dem Film »Die Reifeprüfung« von 1967 liegen auf der Hand, werden jedoch meist zynisch ausgespielt. Der Film stand einmal im Kontext dessen, was sexuelle Befreiung genannt wurde. Diese mag gescheitert sein und am Ende doch nur den Männern genutzt haben, doch für einen kurzen Moment wurde sie auch als Befreiung der Frau verstanden. Dass Mrs. Robinson in »Die Reifeprüfung« so handelt, wie sie handelt, ist völlig plausibel. Über Jahre war sie nichts weiter als dekoratives Anhängsel ihres Mannes, zur Ehe gezwungen, weil sie schwanger war. Im Film ist sie nicht einfach als frustrierte, sexsüchtige Frau dargestellt, sondern sie ist in erster Linie Opfer patriarchaler Verhältnisse.
Dass es Iris Robinson an der Seite des nordirischen Ministerpräsidenten Peter Robinson ähnlich ergangen sein mag, ist bislang nicht in Erwägung gezogen worden. Die Medien begegnen der Affäre zwischen der 59jährigen und einem 19jährigen mit liberal getarnter Häme. Dass die streng katholische Politikerin Homosexualität mit Kindesmissbrauch gleichsetzte, macht ihren Seitensprung besonders delikat. So etwas nennt sich bigott. Nicht minder bigott ist es allerdings, die zweifellos dummen Aussprüche von Iris Robinson nun gegen ihr eigenes Sexleben auszuspielen und damit schlimmstenfalls zu suggerieren, dass die Affäre einer älteren Frau mit einem Teenager ähnlich illegitim sei wie schwuler Sex. Um nichts anderes als die Festschreibung von Legitimität scheint es in diesem Fall jedoch zu gehen.
Wie stark diese Gender-Konstellation die Grenzen der Legitimität verletzt und damit an gesellschaftlich tief verwurzelten Vorstellungen des Erlaubten rüttelt, machen die dramatischen Konsequenzen deutlich: Iris Robinson versuchte, sich nach der Affäre das Leben zu nehmen, und befindet sich seither in psychiatrischer Behandlung. Ganz anders verlief der Fall von Silvio Berlusconi, der einen Flirt mit einer 18jährigen beiläufig mit markigen Sprüchen abtat. Noch selbstbewusster reagierte Bill Clinton, als die Lewinsky-Affäre nicht mehr zu leugnen war: Er diskutierte erst einmal mit seinen juristischen Beratern darüber, ob Oralverkehr überhaupt als »sexuelle Beziehung« zu definieren sei, während Hillary Clinton, die sich sehr schnell vom ersten Schock erholt hatte, weiterhin als Wahlkämpferin für ihren Mann auftrat. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Bill Clinton war nach seiner Amtszeit unter anderem Sonderbeauftragter der Uno, Hillary wurde beinahe US-Präsidentschaftskandidatin. Die meiste Häme bekam am Ende nicht der Präsident, sondern die Praktikantin ab. Sie galt als zickig und geltungssüchtig.
In Nordirland ist Peter Robinson inzwischen zurückgetreten. Die Grenzüberschreitung der Frau macht selbst ihren unbeteiligten Ehemann untragbar. »Madame Bovary, das bin ich«, soll sich Gustave Flaubert einmal über die berühmteste Fremdgängerin in der Literatur geäußert haben. Ungeachtet ihrer politischen Laufbahn möchte man eine ähnliche Solidaritätsbekundung auch für Iris Robinson aussprechen. Solange ihr nicht zusteht, was bei den männlichen Kollegen fast schon zur Tagesordnung gehört, wird im Patriarchat immer noch mit zweierlei Maß gemessen.