Jobcenter-Maßnahmen, Arbeitsvermittlungen und Zeitarbeitsfirmen

Der Kampf um die Scheine

Möchten Sie von einer Firma, die sich »Jobs & Dreams« nennt, eine Arbeitsstelle vermittelt bekommen? Nein? Dann sollten Sie besser nicht arbeitslos werden. Ein Bericht aus der Welt der Maßnahmen, Arbeitsvermittlungen, Zeitarbeitsfirmen und Bildungsträger.

Nga Ngyuen* ist erst seit kurzem arbeitslos. Während ihr Antrag auf Arbeitslosengeld I (ALG I) ­einer Sperre unterliegt, weil sie sich nicht rechtzeitig vor Ablauf ihres befristeten Arbeitsvertrags bei der Agentur für Arbeit gemeldet hatte, wurde das Jobcenter, wo sie um Aufstockung nachsuchen musste, bereits aktiv und wies sie einer so genannten Maßnahme zu. Unmittelbar nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses sitzt Nga also in einem Kurs, der sie wieder in den deutschen Arbeitsmarkt integrieren soll.
»Deutsch für den Beruf«, »Zukunft durch Arbeit« oder ähnliche Titel tragen diese vorgeblichen Qualifizierungen, die von vielen der rund 600 Bildungsträger angeboten werden, die es allein in Berlin gibt. Da diese auf privatwirtschaftlicher Basis arbeiten, ist es den Jobcentern verboten, Empfehlungen für bestimmte Unternehmen auszusprechen, denn das wäre Wettbewerbsverzerrung. Dennoch arbeiten die sogenannten Fallmanager gerne mit Trägern zusammen, die sie kennen, und lassen ihre Klienten darüber im Unklaren, dass sie die Wahl hätten. Die Unternehmer in Sachen Bildung tun also gut daran, sich gut mit den Kollegen vom Amt zu stellen, nicht zuletzt um Bildungsgutscheine zu kassieren.

Der Sinn solcher Kurse ist meist zweifelhaft. Nga beispielsweise soll ihr Deutsch verbessern, doch mangels Fachkenntnis blieb ihrem »Fallmanager« die Tatsache verborgen, dass die ehemalige Vertragsarbeiterin der DDR, die immerhin länger als 20 Jahre in Deutschland lebt, bloß die für Vietnamesen typischen Probleme mit der deutschen Phonetik hat – und die lassen sich ab einem bestimmten Alter nicht mehr so leicht beheben.
Außerdem soll Nga lernen, mit dem PC umzugehen, sie soll ihren Lebenslauf schreiben, ihren Bewerbungsunterlagen den letzten Schliff verleihen und sich mit den Möglichkeiten vertraut machen, die man für die Jobsuche hat. Doch zum einen ist der Dozent ihres Kurses chronisch überfordert, aber unterbezahlt. Für 17, 18 oder bei 19 Euro brutto auf Honorarbasis pro Stunde und bei mehreren Kursen, die er bei mehreren Trägern ableistet, hat er wenige Möglichkeiten, seinen Unterricht sorgfältig vorzubereiten oder sich intensiv um Einzelne zu kümmern. Und zum anderen ist Nga, deren Berufsabschluss in der BRD nicht anerkannt wird, auf die sogenannten Helfertätigkeiten angewiesen und sieht sich, sofern sie in der Jobbörse der Agentur für Arbeit recherchiert, fast ausschließlich mit Vermittlungsfirmen konfrontiert, die hier ihre Dienste anbieten dürfen.
Als sie sich Mitte Januar auf die Suche nach einem Job als Küchenhilfe in Berlin macht, findet sie dort ein einziges Stellenangebot von einem China-Restaurant, ansonsten stößt sie auf »Cassiopeia – Bildung, Coaching, Vermittlung für Jobsuchende OHG«, auf »ASN Concepts«, auf die »Anlora Personalberatung GmbH«, auf die »Personal- und Stellenvermittlung Raabe« und »Per Zukunft – Ihre Private Arbeitsvermittlung« sowie auf eine Vermittlungsfirma, die den klingenden Namen »Jobs & Dreams« trägt. Für Abwechslung sorgen die Personalprofis von »Allpower« und »GVO Personal GmbH«, Zeitarbeitsfirmen, die von dem kargen Lohn, den Nga nach Hause bringt, für sich noch etwas einbehalten würden.
Die »Personal- und Stellenvermittlung Raabe« wiederum sucht keine Küchenkräfte, sondern Verkäufer, und bittet schon in der Anzeige um die Einsendung einer Kopie des Vermittlungsgutscheins. Und »Cassiopeia« verspricht: »Bei Vorlage eines gültigen Vermittlungsgutscheines entstehen keine zusätzlichen Kosten, etwa für den Versand von Bewerbungsunterlagen oder für ein individuelles Bewerbungstraining«, was zweierlei bedeutet: Wenn Nga über keinen Vermittlungsgutschein verfügt, entstehen diese Kosten, und zwar für sie. Die Mitarbeiterin einer anderen Vermittlungsfirma, die nicht genannt werden soll, gibt am Telefon durchaus zu, dass sich die Vermittlungskosten, sofern sie nicht durch einen Gutschein abgedeckt sind, sondern privat getragen werden, auf 2 000 Euro belaufen. »In diesem Bereich, also wenn Sie als Küchenhilfe arbeiten, dann lohnt sich das nicht für Sie!« sagt sie. Mit besserem Gewissen löst die Firma lieber den vom Jobcenter ausgestellten Bildungsgutschein ein und kassiert nach sechs Wochen 1 000 und nach insgesamt sechs Monaten noch einmal 1 000 Euro. Vorausgesetzt, dass Nga noch immer in der ihr vermittelten Stelle arbeitet.
Sich bei der Pressestelle der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg nach der Zahl der im Vorjahr ausgestellten Vermittlungsgutscheine zu erkundigen, erweist sich als schwierig. Drei Anfragen führen zu drei recht unterschiedlichen Zahlen. Nachdem die erste zuständige Dame offenbar in der Zeile verrutscht ist und eine völlig absurde Zahl nennt, sagt die zweite, 55 880 Vermittlungsgutscheine im Wert von rund 82 Millionen Euro seien im Jahr 2009 ausgegeben worden. Wenige Tage später ist dann nur noch von 50 078 ausbezahlten Vermittlungsgutscheinen die Rede.
Sei’s drum! Während die Behörde also selber den Überblick über die von ihr ausgegebenen Vermittlungsgutscheine verloren hat, tobt um diese ein harter Konkurrenzkampf. Steuergelder flossen in die Kassen privater Firmen, die sich – wie die Bildungsträger – geschmeidig an die Hartz-Gesetze angepasst haben und untereinander um die Gutscheine streiten. Zum 1. Januar 2003 wurde der Bildungsgutschein eingeführt; die »verbesserte« Variante des Vermittlungsgutscheins soll es noch bis Ende 2010 geben.

Nga versetzt das, was sie in der Internetjobbörse der Agentur für Arbeit findet, in Panik. Sie will unbedingt wieder arbeiten, denn mit dem gesperrten ALG I und dem Antrag auf aufgestocktes Arbeitslosengeld II (ALG II) habe sie »immer Angst und den Kopf voll«, sagt sie. Aber sie will auch direkt mit einem Arbeitgeber zu tun haben, statt sich neben diesem auch noch einer Vermittlungsfirma verpflichten zu müssen. Und die Maßnahme, in der sie sitzt, ist eine Zwangsveranstaltung, die sie nicht ablehnen kann.
Darüber hinaus kann ihr noch Weiteres blühen: Da Nga Migrantin ist, kann das Jobcenter sie nachträglich zur Teilnahme an einem »Integrationskurs« verpflichten, wie er seit dem 1. Januar 2005 für alle Neuzuwandererinnen und Neuzuwanderer in die BRD obligatorisch ist. Viele der Träger, die Maßnahmen anbieten, haben daher nicht nur Berufsorientierung, Bewerbungstraining etc. im Programm, sondern eben auch diese Integrationskurse, die jedoch nicht von Arbeitsagenturen und Jobcentern, sondern vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge finanziert werden. Da es sich zwischenzeitlich bis zum Bundesamt herumgesprochen hatte, dass die Honorare der in den Integrationskursen Unterrichtenden nur noch als Dumpinghonorare bezeichnet werden konnten, sah sich die Behörde genötigt, einen Mindesthonorarsatz von 15 Euro brutto pro Unterrichtsstunde vorzugeben. Aber auch dieser Honorarsatz löst das grundsätzliche Problem nicht, dass sich die Dozenten einer großen Zahl von Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern gegenüber sehen, die sehr unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Manche sind tatsächlich gerade erst in die BRD gekommen, andere leben schon seit mehr als 20 Jahren hier, haben aber eine Zuweisung vom Jobcenter in der Tasche und langweilen sich.
Dem Träger ist das egal, denn der orientiert sich an seinem Profit. Daher gilt: Die Dozenten seien möglichst billig, die Klassen möglichst voll, und die Teilnehmer sollten immer anwesend sein, denn das Bundesamt zahlt nur dann. Aber schließlich gibt es Möglichkeiten: »Ich habe meinen Integrationskurs bei einem Träger absolviert, der auf Einwanderer aus dem russischen Sprachraum spezialisiert ist«, erzählt Elena Varda*, eine Spätaussiedlerin, die seit ihrer Einreise vor vier Jahren noch keinen Job gefunden hat und nun an einer berufsorientierenden Maßnahme teilnimmt. »Und dort musste ich meine Teilnahme im Voraus schriftlich bestätigen. Das hat mich doch sehr misstrauisch gemacht!«

Von einem Integrationskurs hätte Nga also genauso wenig wie von ihrer Maßnahme, in der man gemeinsam die Jobbörsen im Internet durchforstet, ohne allerdings auf Stellenangebote zu stoßen, die von Arbeitgebern direkt inseriert wurden. Bis sie einen neuen Job findet, kann es eine Weile dauern.
Daher wäre es für sie nicht das Schlechteste, wenn das Jobcenter sie zur Aufnahme eines Ein-Euro-Jobs nötigen würde. Das sind die sogenannten Mehraufwandsstellen (MAE-Stellen), die tatsächlich nicht mit einem, sondern mit 1,50 Euro pro Stunde vergütet werden, zusätzlich zum ALG II. Das macht die MAE-Stellen für viele attraktiv – zumindest im Vergleich. Denn, um bei Ngas Beispiel zu bleiben, »Cassiopeia« bietet 7,50 Euro brutto pro Stunde für eine Tätigkeit als Küchenhilfe. Bei 35 Stunden pro Woche kommen also 1 050 Euro brutto heraus, womit man netto ungefähr bei dem Einkommen liegt, das einem ein Ein-Euro-Job bei 30 Arbeitsstunden pro Woche garantiert.

Dies hat die Ein-Euro-Jobs auch für die linke Szene und ihre Projekte attraktiv gemacht. Man hat beizeiten erkannt, dass durch die zusätzlich geschaffenen Stellen arbeitslose Freunde oder Bekannte besser versorgt werden, auf deren Mitarbeit man sonst verzichten müsste. Dagegen ist wenig einzuwenden. So sagt Irma Weller* über ihre Tätigkeiten als MAE-Kraft: »Für mich war das absolut okay. Auf jeden Fall besser, als arbeitslos zu sein.«
Irma, die über 50 Jahre alt ist, kann auf zwei MAE- und eine ABM-Stelle in einem soziokulturellen Zentrum sowie auf eine MAE-Stelle in einem Archiv zurückblicken. Letztgenannte wurde unlängst gar in eine Stelle des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors umgewandelt. Irma kannte sich als ehemalige Sozialarbeiterin aber auch in der Projekteszene aus, wusste, wo sie vorstellig werden musste, und konnte sich dem Jobcenter gegenüber behaupten.
Für Nga, die in ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn in einer Wäscherei geschwitzt, in einem Blumenlager gefroren und in einer Imbissstube im Fettgeruch gestanden hat, gilt das nicht.

*Name von der Redaktion geändert.