Das neue Versammlungsgesetz in Sachsen

Ein Grundrecht für die Obrigkeit

Anlässlich des 13. Februars hat der sächsische Landtag ein neues Versammlungsgesetz geschaffen, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auszuhebeln droht.

Die Worte des Grünen-Abgeordneten und rechtspolitischen Sprechers Johannes Lichdi in der Landtagsdebatte um das neue Versammlungsgesetz klingen verzweifelt. »Dieses Gesetz atmet einen Geist der Unfreiheit. Offenbar hält man hier die Versammlungsfreiheit des Grundgesetzes für zu weit geraten. Man möchte mehr Verbote und Einschränkungen. Zwischen den Zeilen ist dies die überdeutliche Botschaft an die sächsischen Versammlungsbehörden.«
Das neue Gesetz, so die Redner der CDU-FDP-Koalition, diene dazu, gegen gewalttätige Demons­trationen um den 13. Februar vorzugehen. »Denen, die der Meinung sind, Dresden für Randale, Demolierung von Polizeifahrzeugen und privaten PKW wie im Jahr 2009 zu missbrauchen, kann ich nur sagen, bleiben Sie ruhig zu Hause, lesen Sie ein Buch und lassen Sie diese Landeshauptstadt endlich in Ruhe«, so der rechtspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Marko Schiemann. »Den Dresdnern kann ich nur zurufen, lassen sie sich das Gedenken an die Opfer der Bombennächte, des Krieges und des Nationalsozialismus nicht kaputtmachen.«
Um nicht nur für die Dresdner Frauenkirche und die Altstadt, sondern auch am Leipziger Völkerschlachtdenkmal Demonstrationsverbote zu zu ermöglichen, heißt es in der Begründung zum neuen Versammlungsgesetz: »Baugeschichtlich reflektiert das Völkerschlachtdenkmal am Vorabend des Ersten Weltkriegs das nationale Pathos und die Heldenhaftigkeit soldatischen Sterbens.« Das zeigt, dass es hierbei um anderes geht, als Or­te mit Bezügen zum Nationalsozialismus rechten Geschichtsverdrehern zu entziehen. Zudem fällt die Parallelisierung des DDR- und des NS-Regimes ins Auge. Unter anderem will das Gesetz unterbin­den, dass Vertreter der »nationalsozialistischen oder kommunistischen Gewaltherrschaft« als »vor­bildlich und ehrenhaft« dargestellt werden.

Doch ist der Gesetzestext nicht nur ideologisch, sondern auch juristisch problematisch: Durch ei­ne Vielzahl von Öffnungsklauseln, schwammigen Begriffen und Ermessensspielräumen ermöglicht es den Behörden, verschärft mit Auflagen und Verboten gegen Demonstrationen vorzugehen. Die Konsequenzen für die Rechtspraxis sind nicht absehbar. Viele Experten hatten sich vergeblich gegen das Gesetz ausgesprochen.
Durch die neue Geschäftsordnung des Landtages, die mit den Stimmen der CDU- und der FDP-Koalition beschlossen wurde, war ein bisher beispielloses Schnellgesetzgebungsverfahren möglich. Es ging »holterdipolter«, so Klaus Bartl, rechts­politischer Sprecher der Linksfraktion, gegenüber der Jungle World. Ohne eine erste Debatte über­wies der Landtagspräsident den Gesetzentwurf gleich in den Rechtsausschuss, nach einer Expertenanhörung am 25. November wurde eilig die Ausschusssitzung einberufen und das Gesetz dem Landtag vorgelegt. »Das ist das erste Mal in 19 Jahren, dass ein Gesetz auf solche Weise zu Stande gekommen ist. Die Abgeordneten haben das Gesetz nie zu Gesicht bekommen«, so Bartl. Vorgelegt wurde in der Landtagsdebatte am 20. Ja­nuar nur das Gesetz, das die Änderungen gegenüber dem Bundesversammlungsgesetz enthielt, nicht aber der komplette Text des nun geltenden Versammlungsgesetzes. Bereits zwei Tage später, am 22. Januar, lag das Gesetz gedruckt als Verordnungsblatt vor. Seit Dienstag ist es in Kraft.

Die rechtspolitischen Sprecher von Grünen, SPD, und Linken planen nun eine gemeinsame Klage vor dem Landesverfassungsgericht. Die juristische Brisanz des Gesetzes erhöht auch der Umstand, dass bei der Gesetzgebung der Koalition anscheinend »ein elementarer Fauxpas unterlaufen« ist, so der Leipziger Verfassungsrechtler Jochen Rozek. Dresden könne die Neonazi-Aufmärsche zum Jahrestag der Luftangriffe für die gesamte nördliche Altstadt und die südliche innere Neustadt gar nicht verbieten, weil die Stadt nach dem neuen Versammlungsgesetz nicht zuständig sei, sagte Rozek vergangene Woche den Dresdner Neuesten Nachrichten. Es fehle »jedwede Regelung der sachlichen und örtlichen Behördenzuständigkeit«. Der Landtag habe den Begriff »zuständige Behörde« aus dem Bundesgesetz übernommen, doch die Landesverfassung schreibe ausdrücklich vor, dass die Behördenzuständigkeitsfragen gesetzlich exakt zu regeln sind.
In der Landtagsdebatte versuchte Lichdi, Kritik am Opfermythos zu formulieren. Das Gesetz sei erinnerungspolitisch verhängnisvoll. Es handle sich um eine »Grenzüberschreitung, wie sie eigentlich für Diktaturen typisch ist«. Aber es entspreche der Mentalität der Dresdner, so Lichdi gegenüber der Jungle World. »Da ist derzeit aber keine Debatte möglich.« Dresden sei auf seine Opferrolle fixiert und versuche, das Gedenken per Versammlungsgesetz zu schützen. »Nur klappt das nicht, das wird man die nächsten Jahre mitbekom­men, die Erkenntnisprozesse sind aber eben leider manchmal langsam.« Mit der Aufnahme der »Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft« entspreche das jetzige Gesetz einer »allgemeinen Tendenz« der Gleichsetzung von NS- und SED-Regime, sagt Lichdi.
Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im November 2009 zum Verbot von Naziaufmärschen im bayerischen Wunsiedel müs­se aber auch der sächsischen Koalition klar geworden sein, dass sie mit der Idee, die Totalitarismustheorie im Versammlungsgesetz zu verankern, nicht durchkommen wird, meinte Klaus Bartl, der rechtspolitische Sprecher der Fraktion »Die Linke« im Gespräch mit der Jungle World. In diesem Beschluss hatte das Bundesverfassungsgericht die Unvergleichbarkeit der Verbrechen des Nationalsozialismus herausgestellt und da­raus die absolute Ausnahme zur Beschränkung des Versammlungsrechts hergeleitet.

»Es geht nicht nur um die antikommunistische Ideologie«, so Bartl. »Die eigentlich sensible Bestimmung« sei der Versuch, die Beweislast für die Rechtfertigung von Eingriffen in die Versammlungsfreiheit umzudrehen. »Eine Gefährdung«, die ein Verbot oder Auflagen rechtfertige, ist dem neuen Gesetz nach festzustellen, wenn die Ver­samm­lung einen Bezug zu gefährlichen früheren Versammlungen aufweise oder »durch besondere tatsächliche Umstände die Annahme« gerechtfertigt sei, dass Gefahr drohe. »Diese Ausweitung des Paragrafen ist die eigentliche extensive und restriktive Ausweitung der Eingriffsmöglichkeiten«, griff Bartl die Koalition in der Landtagsdebat­te an. Das Gesetz stelle »das bisherige Grundrechtsverständnis auf den Kopf«, denn Teilnehmer einer Veranstaltung müssten der Staatsgewalt ihre friedlichen Absichten beweisen.
Sachsen ist das zweite Bundesland, in dem deut­liche Verschärfungen des Versammlungsgesetzes durchgesetzt werden sollen, nachdem im Rahmen der Föderalismusreform das Versammlungsrecht der Länderhoheit unterstellt wurde. Bayern legte bereits ein eigenes Versammlungsgesetz vor, gegen das eine Vielzahl von Klagen beim Verfassungsgericht anhängig sind, einzelne Paragrafen des bayrischen Gesetzes wurden durch das Bundesverfassungsgericht vorläufig außer Kraft gesetzt. Sachsen zieht jetzt nach, Baden-Württemberg plant ebenfalls ein eigenes Versammlungsgesetz. Die Übergabe des Versammlungsrechts in die Länderhoheit sei eine »Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für das Verfassungsgericht«, hatte die Bundestagsfraktion der Linken 2006 zur Föderalismusreform erklärt. Die Mehrzahl der Experten hatten damals erhebliche Bedenken gegen die Übergabe. Es drohe eine »Rechtszersplitterung«, so der Staatsrechtler Martin Kutscha Berlin im Mai 2006.
Der Wille der Koalition in Dresden, einen eigenen »sächsischen Weg« zu beschreiten, ist stark. Gleichzeitig flankiert die Staatsregierung die bundespolitischen Pläne, das Strafrecht bei Gewalt gegen Polizisten zu verschärfen. Am Freitag berief sie eine Sondersitzung zu diesem Thema im Landtag ein.

Insbesondere die Rolle des Justizministers Jürgen Martens (FDP) erfüllt die Oppositionspolitiker mit Zorn. Martens sei »sicher der intelligenteste FDP-Politiker«, sagt Lichdi, er wisse, was er tue. »Er weiß es, und er macht trotzdem mit, das ist noch verwerflicher.« Die Entgleisung im Landtag, den Gegnern des Gesetzes vorzuwerfen, sie machten den Nazis den Weg frei, zeige »die Unsicherheit, zeigt, wie sehr er da intellektuell belastet ist«. »Ein obrigkeitliches, autoritäres Staats­verständnis« komme in dem Versammlungsgesetz zum Ausdruck, sagt Lichdi. Laut Bartl habe die linke Opposition nun die Verantwortung, zivilgesellschaftlichen Protest zu organisieren und zu artikulieren. Denn die Staatsregierung habe sich auch nach unzähligen anderen Normenkon­trollklagen nicht bewegt. Nun müsse den Leuten klar werden: »Jetzt geht es um die Grundrechte.«