Neonazis im sächsischen Limbach-Oberfrohna

Ignorieren auf hohem Niveau

In der sächsischen Stadt Limbach-Oberfrohna will man nichts davon wissen, dass der Ort ein Zentrum für die Aktivitäten von Neonazis ist.

Überregionale Schlagzeilen machte die Große Kreisstadt Limbach-Oberfrohna bei Chemnitz im Januar vorigen Jahres, als ein Autofahrer mit seinem Wagen 35 Meter durch die Luft flog und das Fahrzeug im Dach der evangelischen Stadtkirche landete. Der Pfarrer sprach von einem »Wunder Gottes«. Zwei Polizeibeamte kamen tagelang in der Presse zu Wort, Stunt-Experten berichteten, wie außergewöhnlich der Vorfall sei.
Weniger gesprächig als bei spektakulären Verkehrsunfällen geben sich die offiziellen Stimmen in Limbach-Oberfrohna, wenn es um die Aktivitäten von Neonazis in der Region geht. »Es gibt kein rechtes Problem in der Stadt«, so der Vorsitzende der CDU-Stadtratsfraktion, Jürgen Zöllner. Der Polizeirevierleiter Mathias Urbansky sagte in einem Gespräch mit dem Amtsblatt Stadtspiegel: »In der Stadt Limbach-Oberfrohna herrscht eine ruhige Lage. (…) Man darf und sollte eine Gefährlichkeit auch nicht herbeireden.« Im selben Blatt fanden sich im vorigen November Beschwerden über »linke« Schmierereien, die an den Hauswänden in der Stadt zu lesen seien. Gemeint waren Graffiti wie »NS-Revolution« und »Autonomia nationalista«.

Was einige wenige in Limbach-Oberfrohna besorgt, ist die massive Gewalt von Neonazis gegen junge Menschen, die sich den Neonazis nicht anpassen wollen oder es wagen, sich ihnen entgegenzustellen. Ein Höhepunkt der Gewaltausbrüche war der Überfall von etwa 30 Neonazis auf eine Gruppe junger Punks. Der Angriff ereignete sich am Rande des Stadtparkfestes im Juli 2009, drei Opfer erlitten Gehirnerschütterungen. Ein beliebtes Ziel neonazistischer Anschläge war auch ein von der »Sozialen und Politischen Bildungsvereinigung e.V.« gemietetes Gebäude. Nachdem dessen Scheiben wiederholt eingeschlagen worden waren, kündigte der Vermieter den Vertrag. Allein in der Nacht zum 3. Oktober vorigen Jahres gab es auf das Haus drei Angriffe, die von einer Gruppe von etwa 25 Neonazis ausgingen. Als der Vereinsvorsitzende unmittelbar nach dem Nazi-Angriff versuchte, ein beschädigtes Fenster zu reparieren, erstattete die örtliche Polizei gegen ihn eine Anzeige wegen Ruhestörung.

Die Liste der rechten Übergriffe in Limbach-Oberfrohna ist umfangreich. Als Antwort auf eine Kleine Anfrage der »Linken« im Sächsischen Landtag listete die Staatsregierung vor wenigen Wochen mehr als 70 rechte Straftaten auf. Inzwischen ist auch die NPD auf das Potential dieser Stadt aufmerksam geworden und organisierte dort im vergangenen Jahr mehrfach Veranstaltungen, mit beachtlichen Teilnehmerzahlen. Die NPD-Landtagsabgeordnete Gitta Schüßler, die im Ort wohnt, agiert dabei vornehmlich im Hintergrund. Im März 2009 organisierte das »Freie Netz Nordsachsen« ein Gespräch zwischen den NPD-Funktionären Udo Pastörs und Udo Voigt in Limbach-Oberfrohna. Für den musikalischen Rahmen war der Nazibarde Frank Rennicke zuständig, an der Veranstaltung nahmen mindestens 200 Personen teil. Auch der vorige NPD-Landesparteitag fand hier statt.
In den vergangenen Monaten ist eine zunehmende Organisierung in der ursprünglich eher strukturlosen Neonazi-Szene zu beobachten. Als Treffpunkt hat mehrfach die Gaststätte »Stadt Mannheim« fungiert. Ihr Inhaber Reimund Flohr wirbt im Branchenverzeichnis der offiziellen Homepage der Stadt für seine regionale deutsche Küche und diverse Veranstaltungen. Der Faschingsverein NCC Niederfrohna feiert dort alljährlich seine traditionellen Faschingspartys. Für die nächste Feier im Februar werden Eintrittskarten zum Preis von 8,88 Euro pro Person angeboten. Die Zahl 88 steht im Zeichencode der Nazis für »Heil Hitler«. Im Unterschied zu anderen Orten, die ebenfalls mit Gewalt und zunehmender Organisation von Neonazis konfrontiert sind, gelingt es in Limbach-Oberfrohna trotz zivilgesellschaftlicher Initiativen nicht, eine Auseinandersetzung jenseits des Verharmlosens zu führen.

Im Stadtrat forderte die »Linke« die Einführung eines öffentlichen »Runden Tisches«, der sich mit neonazistischer Gewalt im Ort beschäftigen solle. Die Mehrheit der Abgeordneten lehnte den Antrag ab. Man verweist stattdessen auf den Präventiven Rat der Stadt, der jedoch unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagt. »Da es sich um ein Organ der Polizei handelt, ist es nicht möglich, über Themen und Inhalte zu informieren.« Das erklärte Lothar Hohnfeld, der Erste Bürgermeister für Bau und öffentliche Ordnung, auf Nachfrage in einer Stadtratssitzung.
Verabschiedet wurde hingegen im Dezember eine gemeinsame Erklärung des Oberbürgermeisters Hans-Christian Rickauer (CDU) und der Stadtratsfraktionen gegen »jede Art von Gewalt sowie politischen und anderen Extremismus«. Es blieb völlig offen, was der Anlass für die Erklärung war. Als einen Monat später in der Bürgerfragestunde konkret gefragt wurde, wie die Erklärung zu verstehen sei und ob man die Bürger an den Diskussionen beteiligen wolle, blieben Antworten aus. Die CDU müsse solche Vorschläge erst in der Fraktion besprechen, erklärte deren Vorsitzender. Auch zwei Wochen nach der Sitzung konnte das Büro des Oberbürgermeisters der Jungle World keine Auskunft darüber geben, wie die Stadt mit den Sorgen der Einwohner umgehen möchte. Eine Initiative, die vorrangig von Eltern der Jugendlichen gegründet wurde, die von Neonazis bedroht oder angegriffen wurden, bemüht sich schon länger um eine öffentliche Debatte. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Frank Löbel, sagte der Jungle World, dass es der Stil des Oberbürgermeisters sei, Probleme auszusitzen. Die SPD im Ort spricht sich zwar für einen »Runden Tisch« aus, aber lediglich als Forum gegen Gewalt im Allgemeinen. Am Wochenende fand eine Demonstration der Initiative »Buntes Limbach« gegen ein Neonazi-Treffen statt, etwa 100 Menschen nahmen daran teil. Vor der Demonstration wurde das städtische Albert-Schweitzer-Gymnasium mit Hakenkreuzen und Schriftzügen wie »Kein Sex mit Zecken« und »Eine Jugend in Aktion – Anti-Antifa« beschmiert. Es werde untersucht, ob »ein politischer Hintergrund vorliege«, so Polizeisprecherin Heidi Henning. Die regionale Tageszeitung Freie Presse vermutete, dass es sich um »Trittbrettfahrer« handele, »weil es momentan in ist, in Limbach-Oberfrohna rechte oder linke Parolen an öffentliche Gebäude zu schmieren«.