Drei Romane aus dem Iran und Pakistan

Besser als Twitter

Drei literarische Neuerscheinungen gewähren Einblicke in das Innenleben der Islamischen Republiken Iran und Pakistan. Oliver m. Piecha empfiehlt die Romane der iranischen Autoren Mahmud Doulatabadi und Amir Cheheltan und des pakistanischen Schriftstellers Mohammed Hanif.

Dr. Fattah scheint es gut zu gehen, er ist ein wohlhabender Mann, der ein wenig Fett angesetzt hat. In Teheran besitzt er eine Klinik, in deren Untergeschoss er Jungfernhäutchen »repariert«. Dr. Fattah ist ein wenig schmierig, kann sich aber, wenn’s drauf ankommt, auch ganz jovial geben. Eigentlich ist er gar kein Arzt. Ein Mal pro Woche trinkt er mit seinen Freunden in der Sauna schnell ein paar Whisky, bevor der »Hadschi« kommt, der Vorgesetzte. Dr. Fattahs eigentlicher Job und die Quelle seines Reichtums wie seines gesellschaftlichen Aufstiegs ist seine Tätigkeit als Agent des Geheimdienstes. Am Anfang, in den ersten Jahren der Islamischen Republik, hat er »Fangschüsse« im berüchtigten Evin-Gefängnis setzen müssen, nun beseitigt er vorbeugend einzelne Oppositionelle, mal demonstrativ, mal verdeckt.
Diese Geschichte wird in dem Roman »Teheran Revolutionsstraße« von Amir Hassan Cheheltan erzählt. Dr. Fattah verliebt sich in eine seiner jungen »Patientinnen«, sie erinnert ihn an seine Jugend. Er nebelt sich mit Rosenwasser ein, verspürt auch endlich wieder eine richtige Erektion, er will das Mädchen heiraten. Nachdem er die junge Frau zum Beischlaf genötigt hat, macht er ihr das Angebot, ihr Hymen wiederherzustellen. Dr. Fattah ist Repräsentant der Islamischen Republik Iran mit allen ihren Widerwärtigkeiten und Widersprüchen, ebenso wie sein Konkurrent in der Brautwerbung, der junge Mustafa, der ein aufstrebender Folterer im Evin-Gefängnis ist. Cheheltan zeichnet so anhand der Stimmen und Erinnerungen seines Romanpersonals zwei Dekaden blutiger iranischer Geschichte seit der Revolution von 1979 nach.
Etwas Ähnliches unternimmt Mahmud Doulatabadi mit seinem gleichfalls 2009 als Erstveröffentlichung auf Deutsch erschienenen Buch »Der Colonel«. Doulatabadi konzentriert sich in seinem Roman allerdings auf die Revolution selber, insofern ergänzen sich die beiden Werke sehr gut. Der Protagonist ist ein gebrochener alter Offizier des Schahs. Anhand der Biografien seiner Kinder werden verschiedene Stationen der Revolution geschildert. Ein Sohn wird als linker Aktivist in den frühen Tagen der Revolution erschossen und gilt erst als Märtyrer, dann als fehlgeleitet; ein anderer ist Kommunist und verlässt das Gefängnis des Schahregimes als gebrochener Mensch, um fortan im Keller des Hauses dahinzuvegetieren, hier wird er von seinem ehemaligen Folterer besucht und weiterhin erniedrigt.
Der jüngste Sohn fällt als »Märtyrer« im Krieg gegen den Irak, und sein Begräbnis wird vom Schwiegervater des Colonels, einem windigen Funktionär des neuen Regimes, propagandistisch groß aufgezogen. Ausführlich geschildert wird eine Regennacht, in der der alte Colonel die Leiche seiner jüngsten Tochter bei der Staatsanwaltschaft abholen muss, um sie ohne Aufsehen noch vor Morgengrauen anonym zu beerdigen.
In beiden Romanen wird eine Atmosphäre des alltäglichen Terrors und der gesellschaft­lichen und menschlichen Zerrüttung beschworen. Was von den Menschen bleibt, ist ein Kleiderbündel oder ein Massengrab an einer Landstraße oder der zerfetzte Leichnam eines Märtyrers, auf dessen Rumpf man für die Bestattung einen falschen Kopf gesetzt hat. Nimmt man Doulatabadis und Cheheltans jüngste Romane zum Maßstab, dann ist klar, dass das Fundament der Islamischen Republik unrettbar morsch geworden ist.
Es bietet sich an, die beiden beeindruckenden Bücher mit einem ebenfalls auf Deutsch erschienenen Roman zu vergleichen. Mohammed Hanifs Roman »Eine Kiste explodierender Mangos« spielt in Pakistan und schildert die Ereignisse am Rande des Attentats auf den damaligen Miliärdiktator Zia ul-Haq 1988 als eine Geschichte voller Verschwörungen, die mehr zum Verständnis des desolaten Zustands Pakistans beiträgt als die meisten Sachbücher zum Thema.
Wie im Nahen Osten mit der Islamischen Revolution von 1979 und dem folgenden Iran-Irak-Krieg (1980–1988) die Saat für die derzeitige Malaise der ganzen Region ausgebracht wurde, so wurden damals unter Zia ul-Haq in Pakistan die Weichen in Richtung Islamisierung gestellt. Grandios ist allein schon Hanifs Schilderung einer Kabinettssitzung mit dem bigotten Präsidentengeneral und seinen servilen Ministern, die sich verkatert abmühen, einander im Zitieren von Koranversen zu überbieten, um sich gleichzeitig insgeheim zu fragen, ob der Chef jetzt endgültig durchgedreht ist. Der Journalist Hanif zeigt in seinem mittlerweile preisgekrönten Roman, wie nach dem Rückzug der Sowjets aus Afghanistan und dem scheinbaren Sieg des Westens die Geschichte des Landes verpfuscht worden ist. Wobei es zum Vorzug von Hanif gehört, dass er es schafft, seiner Erzählung eine satirische Form zu geben, die tatsächlich brüllend komisch ist. Die Form der Groteske erlaubt einen genauen Blick auf gesellschaftliche Zustände, in denen Folter und Repression, aber auch permanente Sexualnot als pure Selbstverständlichkeiten erscheinen. Wie in den beiden Iran-Romanen geht es auch in »Eine Kiste explodierender Mangos« um das Fehlen der Väter. Es geht um Väter, die entweder nie für die Kinder da waren oder die versagt haben und an den Forderungen der Gesellschaft gescheitert sind. So wie die Väter scheitern auch die Söhne, die den Zerfall der Traditionen und Institutionen hilflos erleben, die so sinnlos wie elend umkommen oder gleich noch schlimmere Zustände als die vorangegangenen miterschaffen.
Was die drei angeführten Romane besonders auszeichnet, ist ihr Blick auf gesellschaftliche Zustände und Entwicklungen. Sie sind entweder unendlich düster oder fast schon heiter. Sie sprechen über verheerte Länder und unmögliche Zustände, über Heuchelei und Korruption, über Schuld und Verstrickung. Sie sind politisch so aktuell wie literarisch zeitlos.

Amir Hassan Cheheltan: Teheran Revolutionsstraße. P.-Kirchheim-Verlag, München 2009, 208 Seiten, 22 Euro
Mahmud Doulatabadi: Der Colonel. Unionsverlag, Zürich 2009, 222 Seiten, 19,90 Euro
Mohammed Hanif: Eine Kiste explodierender Mangos. A 1 Verlag, München 2009, 383 Seiten, 22,80 Euro