Die restaurierte Fassung von »Metropolis«

Der große Schwamm

Über das Meisterwerk der Postmoderne.

Metropolis ist die entfesselte Mega-City, die Brutstätte der Parallelgesellschaften, in der die einzelnen Gesellschaftsschichten voneinander völlig getrennt leben. Für die rauschhaft vor sich hin lebende Oberschicht ist sie das Paradies. Im Klub der Söhne suhlt sich die junge Elite in gigantischem Luxus, während die Arbeiterkaste in den Katakomben der Stadt haust und an gigantischen Maschinen schuften muss. Gesteuert wird Metropolis von Joh Fredersen, dessen Sohn Freder sich eines Tages in die Arbeiterin Maria verliebt und dadurch mit der Höllenwelt der Armen in Kontakt kommt. Mit dem von seinem Vater entlassenen Arbeiter »11 811« will er die Ausbeutungsverhältnisse beenden.

Das ist der Plot des teuersten und aufwändigsten Films seiner Zeit: »Metropolis« von Fritz Lang.

Anlässlich der Wiederaufführung der lange Zeit verschollen geglaubten Premierenfassung zeigt das Berliner Filmmuseum die Ausstellung »The Complete Metropolis«, in der alle erhaltenen Originaldokumente, darunter Auszüge aus Langs Drehbuch, Architektur- und Kostümentwürfe und Trick-Tableaus, gezeigt werden. Die Ausstellung, die bis zum 25. April läuft, dokumentiert anhand von zirka 200 Exponaten die Produktions- und Rezeptionsgeschichte des 1927 in Berlin uraufgeführten Films.

Das restaurierte Werk wird im Rahmen der 60. Berlinale am 12. Februar aufgeführt und mit einer Open-Air-Vorstellung am Brandenburger Tor gefeiert.

Mehr als 80 Jahre nach der Entstehung von »Metropolis« scheint mit der Rekonstruktion der Ursprungsversion endlich die authentische Fassung, »The Complete Metropolis«, gefunden zu sein. Zur abenteuerlichen Produktions-, Rezeptions- und Restaurationsgeschichte des Films passt, dass die bisher verschollen geglaubten Sequenzen ausgerechnet in einem Filmarchiv in Buenos Aires entdeckt wurden. Dreißig Minuten sind Fritz Langs »Metropolis« nun zurückgegeben worden, Bilder, die aus dem Film bald nach seiner Uraufführung herausgeschnitten worden waren. Lange Zeit galt die für den US-Kinostart radikal gekürzte und nach einem Frankenstein-Plot umgearbeitete Fassung als einzig überlieferte, bis 2001 erstmals eine aufwändig restaurierte Version des Films erschien und vier Jahre später eine sogenannte Studienfassung auf DVD veröffentlicht wurde.
Auch wenn die Geschichte eines in Teilen verschollenen Werks nun der Vergangenheit angehört, wirkt Fritz Langs Stummfilmklassiker noch immer offen und unabgeschlossen. »Metro­polis« gehört zu den Filmen, die immer schon mehr waren als ein Film. Schon vor seiner Entstehung hatte das Werk die Grenzen des Genres überschritten, war ein Mythos, der sich von Legenden, Spekulationen und Superlativen nährte. Siebzehn Monate Drehzeit, spektakuläre Tricktechniken, ein enormes Aufgebot von Statisten, denen es bei den Dreharbeiten kaum besser erging als dem darzustellenden Sklavenheer, eine Hauptdarstellerin, die unter ihrem schweren Maschinenmenschenkostüm ständig kol­labierte, exorbitante Produktionskosten – alles musste hollywoodlike gigantomanisch sein, und die Ufa wäre dabei fast bankrott gegangen.
Am 10. Januar 1927 wurde »Metropolis« in Berlin uraufgeführt, der ökonomische Erfolg blieb aus, und auch bei den Kritikern fand das monumentale Klassenkampf-Epos im Science-Fiction-Gewand kaum Anhänger; sogar Lang distanzierte sich später von dem verschwurbelten Sinnspruch des Films: »Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein.«
Heute ist »Metropolis« vor allem aufgrund seiner endlosen Ansammlung von Referenzen interessant – Verweise auf andere Bildproduk­tionen, auf Stile, Themen, Diskurse. Ob man den Film nun für ein Meisterwerk hält oder nicht: »Metropolis« ist ein Film mit einer außergewöhnlich zeitübergreifenden Anschlussfähigkeit, vollgestopft mit Verweisen auf die Vergangenheit sowie die damalige Gegenwart und die Zukunft. Es ist vor allem die totalitäre, protofaschistoide Ästhetik des Films, die 1947 auch Gegenstand von Siegfried Kracauers polemischer Kritik an Langs »unbedingtem Willen« zur Ornamentalisierung der Masse wurde. Visionär ist das Werk in Hinblick auf die Darstellung der Zukunft im Science Fiction. So wirken die Szenen mit dem Maschinenmenschen in Rotwangs Labor selbst im Zeitalter von »Avatar« noch erstaunlich unverbraucht. Als Bilderreservoir hat »Metropolis« jedenfalls noch längst nicht ausgedient, bis heute bleibt der Film eine Quelle für Zitate und Aneignungen, eine gewisse Redundanz und Abgedroschenheit stellt dabei offensichtlich kein Hindernis dar.
Schon kurz nach seiner Veröffentlichung haftete dem Film das (zumindest damals) anrüchige Prädikat »eklektizistisch« an. Thea von Harbou, die Drehbuchautorin, hatte sich recht willkürlich aus verschiedenen Quellen bedient, angefangen bei Jules Verne über H.G.Wells bis hin zu expressionistischer Literatur. Aber auch ideologisch ist »Metropolis« eine ziemlich krude Mischung aus revolutionärer Politik und marxistischen Ideen (Arbeiteraufstand), dem alten Rom (Sklavengesellschaft) und bürgerlich-kapitalistischer Ideologie (die Versöhnung von Arbeiter und Unternehmer). Ebenso wie das Drehbuch waren auch Architektur, Ausstattung und Kostüme aus historisch und kulturell hybridem Material zusammengesetzt. So finden sich avantgardistische Einflüsse neben restaurativen Tendenzen, Hochkultur steht neben Massenkultur, Referenzen an die Architektur von Hans Poelzig konkurrieren mit Bezügen zu der New Yorker Skyline, Gotik, Jugendstil oder auch zu Konstruktivismus, Bauhaus, Surrealismus und Neuer Sachlichkeit.
Die Kritiker stürzten sich zumeist auf den Aspekt der Hybridität. Der Filmemacher Luis Buñuel schrieb, »Metropolis« sei nicht »ein« Film. »Metropolis« seien »zwei Filme, am Bauch aneinandergeklebt, aber mit unterschiedlichen, extrem antagonistischen geistigen Ansprüchen«. Noch despektierlicher äußerte sich der Schriftsteller H.G. Wells. Er war der Ansicht, Fritz Lang verabreiche »in ungewöhnlicher Konzentration nahezu jede überhaupt mögliche Dummheit über (...) den technischen Fortschritt; serviert mit einer Sauce von Sentimentalität, die in ihrer Art einzigartig ist«. Und ein französischer Kritiker bezeichnete den Film gar als den »Salat von einem Dorfdeppen«. Aus heutiger Sicht ist dieses Durcheinander von Referenzen aber genau das, was die spezifische Qualität von »Metropolis« ausmacht. Der Filmkritiker Thomas Elsaesser nannte das Werk einen »Schwamm, der viel ideologisches und somatisches Material aufsaugt«. Schon die Ursprungsfassung widersprach im Grunde der Idee des Originals und wirkte unauthentisch, wie kopiert.
Doch was in der Moderne der ausgehenden zwanziger Jahre mit dem Verdacht des Plagiats und des Populismus belegt wurde und deshalb die Kategorie »Kunst« verfehlte, sollte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Standard künstlerischen Arbeitens gehören. Ohne es zu wissen, hatte Lang in seinem Film also eine Aneignungspraxis vorweggenommen, die in der Postmoderne zu einer grundlegenden Methode, zuweilen auch zur Mode avancierte. In der Hochzeit der postmodernen Kultur wurde »Metropolis« selbst zu einem Referenztext, der geradezu prädestiniert war für Aneignungen, Pastiches und Projektionen verschiedenster Art, und der Film erlangte den Status eines »Urtextes der filmischen Postmoderne« (Thomas El­saesser). Unzählige Filme und Musikvideos hat »Metropolis« beeinflusst, von George Lucas’ »Krieg der Sterne« (1977) über Ridley Scotts »Blade Runner« (1982) bis hin zu Georgio Moroders pop-bombastischer »Metropolis«-Version oder Madonnas »Express Yourself«-Video. Im Zuge der Cyborg-Theorien der neunziger Jahre schien sich »Metropolis« besonders gut als Projektionsfläche für Post-Gender-Theorien anzubieten, nicht selten kam dabei auch einfach nur Subversionskitsch heraus. Erst kürzlich tauchte der Film erneut als Pop-Zitat auf, die afro-amerikanische Sängerin Janelle Monaé nannte ihr Debütalbum »Metropolis: The Chase Suite« und kreierte damit ihre ganz eigene Interpretation des Klassikers. In der Figur eines Tolle tragenden Maschinenmenschen inszeniert sie sich als Soul-Cyborg, der sich jeder Rassenzuschreibung entledigt hat. Monaés »Metropolis«-Inszenierung wird trotz des Abflauens der Postmoderne mit Sicherheit nicht die letzte Bezugnahme auf Fritz Langs Klassiker sein. Selbst wenn es noch so sehr nach einem postmodernen Klischee klingt: Auch nach der Aufführung von »The Complete Version« verspricht »Metropolis« ein Text zu bleiben, der sich selbst unaufhörlich weiterschreibt.