Berlin Beatet Bestes, Folge 33

Wenn die Post beim Sammler klingelt

Berlin Beatet Bestes. Folge 33. »Klingende Post« 1954–1974.

Auch wenn es niemand gerne zugibt, aber wir alle sind Sammler. Ob wir uns nun selbst so nennen oder nicht, unsere Wohnungen sind voll mit tausend Dingen. Ohne ein bisschen Sammelleidenschaft würde unsere ganze Wirtschaft nicht funktionieren. Wenn wir alle nur einmal im Jahr ein Buch oder eine CD kauften, würden der Buchhandel und die Musikindustrie zusammenbrechen. Die brauchen Sammler, die sich mit Bücherregalen die Wände isolieren.
Einen interessanten Einblick in eine Zeit, in der die Veröffentlichungen der deutschen Schallplattenindustrie noch sehr überschaubar waren und das Sammeln, Horten und Anhäufen von Platten den Leuten noch richtig schwer gemacht wurden, gibt die »Klingende Post«. So hießen die Werbeplatten der Firma Teldec, die im Single-Format von 1954 bis 1974 zweimal im Jahr erschienen und an Händler verschickt wurden, um über die Neuerscheinungen von Telefunken, Decca, RCA und London zu informieren. Die »Klingende Post« wurde aber auch kostenlos an Kunden verteilt. Maximal 16 Titel wurden dabei angespielt, eingeführt von wechselnden Moderatoren, die im heiteren, leicht biederen Ton der fünfziger Jahre über die Titel plauderten.
Vier Labels, die halbjährlich lediglich 16 Songs bewarben, das ist mit der heutigen Flut an Musikveröffentlichungen nicht zu vergleichen. Genauso überschaubar waren dann auch die Schallplattensammlungen. Eine Single, damals der billigste Tonträger, kostete vier Mark. Für ­einen Teenager eine Menge Geld, da musste man sich schon gut überlegen, ob es in Elvis oder Peter Kraus investiert werden sollte. Weil das Taschengeld nicht für eine eigene umfangreiche Sammlung reichte, musste man sich die Platten, die man sich selbst nicht leisten konnte, schon bei Freunden ausleihen.
Auf dem Umschlag dieser »Klingenden Post« von 1963 zum Beispiel hat ein Teenager mit Bleistift festgehalten, welche Single von welcher Freundin ausgeliehen werden kann: Anne hat »Just like Eddie«, gesungen von dem wasserstoffblonden britischen Rock’n’Roller Heinz, Vera ist im Besitz von »Sweets For My Sweets« von den Searchers und »It’s all in the Game« von Tommy Edwards, während Marlies mit dem Beatles-Klassiker »Twist and Shout« aufwarten kann.
Anfang vorigen Jahres habe ich mir die Mühe gemacht, einen Stapel der auch grafisch interessanten Cover der »Klingenden Post« zu scannen, zu digitalisieren und mit einem kurzen Begleittext zu posten. Gern habe ich auch dem Kasseler Schallplattensammler Ralf Wenzel mit einer Ausgabe der »Klingenden Post« ausgeholfen, so dass er jetzt erstmalig eine komplette Diskografie dieser Serie erarbeitet und als DVD und Buch veröffentlicht hat. Zu bestellen unter:
Heute haben wir das Internet, so dass niemand mehr Moderatoren braucht, die über Neuerscheinungen informieren. Musikmagazine werden immer überflüssiger. Sogar der Tonträger selbst. Einzig der Fan, dem Wortstamm nach: der Fanatiker, wird nie ohne irgendein Objekt seiner Leidenschaft auskommen. Und so sehe ich vergnügt und zuversichtlich in die Zukunft und manchmal auch in die Vergangenheit.