Der 13. Februar in Dresden

Ziel erreicht

Müde Antifas, enttäuschte Nazis, Trauerkerzen für die deutschen Opfer, Ball spielende Polizisten. Unsere Reporter berichten über den 13. Februar in Dresden.

»Wir sind ein Fest!« Die Antifa
»Alle Leute, die schon eine Karte haben, gehen bitte mal nach hinten! Sonst ist das Durcheinander hier einfach groß!« Der junge Mann, der in das Megafon schreit, ist ziemlich gestresst. Die O2-Arena und einige Straßenlaternen sind die einzigen Lichtquellen. Die Leute mit den verschlafenen Gesichtern, die sich an diesem Samstag um fünf Uhr früh an der O2-Arena in Berlin versammelt haben, stehen nicht an, um Tickets für das »Frühlingsfest der Volksmusik« zu kaufen, sondern um in einen Bus nach Dresden zu steigen.
Einige Leute befinden sich geistig offenbar noch in der Tiefschlafphase, andere unterhalten sich bereits angeregt. Gegen halb sechs haben alle ihren Platz in den verschiedenen Bussen gefunden und der Konvoi kann endlich abreisen. Im Bus ist es laut und anstrengend. Neben Heldengeschichten von vergangenen Demonstrationen werden vermeintliche Witze erzählt, die etwa so anfangen: »Deine Mutter ist so fett, dass …«
Um acht Uhr ist es dann so weit. Eine Frau schnappt sich das Mikro und kündigt an: »Also, wir sind jetzt gleich da! Wenn wir ankommen, stürmt ihr alle sofort aus den Bussen. Zieht euch schon mal an! Wir wollen den Bullen keine Möglichkeit bieten, uns durch überlange Kontrollen aufzuhalten.« Die Stadtpläne, die vorher im Bus verteilt wurden, und eine blau-rote Flagge sollen den Berlinerinnen und Berlinern den Weg zu ihrem Blockadepunkt weisen. Wir machen uns auf dem Weg. Bereits nach 300 Meter ist die erste mit Helmen und Pfefferspray ausgestattete Menschenkette zu erkennen, die mit dem Sprechchor begrüßt wird: »BRD – Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt!« Nach einer Weile gelingt es einigen wenigen, die Kette zu durchbrechen und den Blockadepunkt zu erreichen. Die Polizei setzt sofort die Knüppel ein. Eine junge Frau mit roter Jacke und Mütze bricht in Tränen aus, sie wurde im Gesicht erwischt und verlässt die vorderen Reihen. Ein übereifriger Polizist empfindet selbst einen Baum auf dem Mittelstreifen der Straße als störend und verpasst ihm links und rechts eine.
Wenig später ist die Sperrung aufgehoben. Am Blockadepunkt an der Hansastraße stehen bereits Hunderte Menschen. Einige lungern auf Stahlträgern, andere vertreiben sich die Zeit mit Schneeballwürfen auf die Polizei, der Rest versucht, Kälte und Müdigkeit zu ignorieren.
Aus dem Megafon ertönt eine Durchsage: »Wir brauchen noch Verstärkung! Aber wenn wir es bis 14 Uhr aushalten, haben wir gewonnen! Wir sind ein Fest!« Zwei Helikopter kreisen permanent über dem Blockadepunkt, während eine Gruppe von Trommlern mit rosafarbenen Glitzerkostümen und riesigen Puppen für Stimmung sorgen soll. Nicht bei allen kommen sie gut an: »Die Figuren sind hässlich, und das Getrommel kotzt mich an! Und dann noch dieser Hubschrauberlärm!« beschwert sich jemand.
Wenig später ändert sich die Stimmung: »Also, wenn du Bock auf Action hast, komm mit in Richtung Albertplatz!« ruft ein etwa 16jähriger, der an mir vorbeirennt, euphorisch. Zu meiner Rechten entwickelt sich dichter Qualm, zu meiner Linken liegt ein umgeworfenes Auto, an der Heckscheibe pappt ein NPD-Aufkleber. Angeblich soll der Albertplatz geräumt werden, viele Demonstranten ziehen sich schon mal sorgfältig den Schal über die Nase. Auf der Höhe des Dammwegs brennt eine Barrikade, einige posieren triumphierend mit erhobenen Armen für die Pressefotografen.
Einige Anhänger der Gewerkschaft Verdi finden die Barrikaden gar nicht cool. »Wir sind friedlich, was seid ihr?« rufen sie erzürnt. Die Polizei beginnt nach und nach, den Dammweg zu räumen und drängt die Menschen unter Einsatz von Pfefferspray und Knüppeln von der Kreuzung. Ein Mann mit einem Welpen auf dem Arm stellt sich direkt vor die Polizei und fragt: »Können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren?« Er bekommt seine Antwort in flüssiger Form.
Einige hundert Meter weiter rennen etwa 200 Nazis auf linke Demonstranten zu. Ein Sanitäter und eine junge Frau werden mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Nach kurzer Zeit trifft die Polizei ein. Zu diesem Zeitpunkt ist längst klar: Die Nazidemonstration wird nicht stattfinden. Das war das Ziel des Tages. Es gehen noch einige Scheiben zu Bruch, Barrikaden brennen und Verletzte werden von Sanitätern behandelt.
Um 17.30 Uhr findet eine spontane Demonstration statt, die von der Hansastraße bis zum Sammeltreffpunkt geht, wo die Busse für die Rückkehr warten. Allmählich entspannt sich die Situation, die Masse feiert sich selbst. Nur die Polizei, die die Marienbrücke und somit den Weg zu den Bussen versperrt, schmälert den Spaß.
Zwei Stunden später erreicht auch der letzte Bus den Sammeltreffpunkt. Ein junger Mann mit Wodkaflasche sorgt noch einmal für Ärger und wird gebeten, den Bus zu verlassen: »Dann geh ich eben! Ich geh’ einfach zum anderen Bus, der Busfahrer ist auch besoffen!«
Anna Goldschmidt

Ein Herz für Dresden. Die Bürger
An der Frauenkirche empfängt mich das untrügliche Zeichen öffentlicher deutscher Geselligkeit: der Geruch von Bratwurst. In Sichtweite der Fressstände befindet sich eine Reihe händchenhaltender Menschen, die sich quer über den Platz neben der Frauenkirche zieht. Es ist die erste große Veranstaltung im Rahmen der offiziellen Gedenkfeierlichkeiten zum 65. Jahrestag der Bombardierung Dresdens: die »Menschenkette für Frieden, Demokratie und Menschenrechte«. Ein begeisterter Teilnehmer fasst den Zweck des Ganzen mit den treffenden Worten zusammen: »Es geht um ein stilles Gar-nichts-Tun.« Hierin ist er sich vermutlich einig mit den Pfadfindern für die Freiheit, die einige Meter weiter ihr Transparent hochhalten, und vielleicht auch mit Amnesty International und dem DGB nebenan. Obwohl die deutlich sichtbaren Gewerkschaftsfahnen für ihn eigentlich schon den Rahmen sprengen: »Politische Transparente sind hier fehl am Platz.« Das klingt logisch, schließlich stellt die Menschenkette in der Altstadt die Alternative zu den »extremistischen« Protesten gegen den Naziaufmarsch in der Neustadt dar. Hier, kilometerweit entfernt von der Naziroute, ist also alles möglich: Engagement gegen Nazis zeigen, der deutschen Opfer gedenken und gleichzeitig ein Volksfest feiern. Und alles selbstverständlich in guter bürgerlicher Manier, ganz und gar unpolitisch.
Eine kleine Gruppe ist der Einladung der Gesellschaft zur Förderung der Frauenkirche zum Spaziergang entlang »authentischer Orte« in der Dresdener Innenstadt gefolgt. Es ist eine Handvoll Leute, obwohl Gunther Emmerlich, einst Entertainer in der DDR, durchs Programm führt. Ältere Christdemokraten in gediegener Kleidung legen im Gänsemarsch und von der Polizei eskortiert den Weg von der vierten zur fünften Station des »Gedenkwegs« zurück. Vor dem Denkmal, das an die 1945 zerstörte Sophienkirche erinnert, bleiben sie stehen. Die Schuld an dem nicht erfolgten Wiederaufbau trägt praktischerweise die SED, und so hat Gunther Emmerlich die Gelegenheit, »an die Toten in der verwüsteten Stadt, an den Missbrauch der Macht« durch »zwei politischen Systeme« zu erinnern. Das Publikum nickt blöd. Im Hintergrund sind Rufe zu hören: »Deutsche Täter sind keine Opfer!« Sofort drängen Polizeibeamte die Demonstranten in einen Hofeingang, die Irritation über die Störung ist augenblicklich vergessen. Auf dem Weg zur nächsten Station erzählt ein altes Ehepaar: »Gedenken kann man schon mal. Vor allem in Zeiten der Krise. Da rücken alle ein bisschen zusammen.«
Diejenigen, die gegen Abend zu der Gedenkveranstaltung »Wahrhaftig erinnern – versöhnt leben« an der Frauenkirche kommen, wirken so, als ginge es für sie an diesem Tag tatsächlich nur um die Erinnerung an die Bombardierung und um das Betrauern der Deutschen als Opfer. Die Stimmung ist ernst, viele Leute tragen Kerzen oder Grablichter, auf der Bühne singt der Kammerchor der Frauenkirche. Dann beginnen die Ansprachen. Und hier zeigt sich, dass sich doch etwas verändert hat in Dresden. Die Zeitzeugen, die von ihrem Leiden berichten, und die Oberbürgermeisterin Helma Orosz verweisen jeweils deutlich darauf, dass die Bombardierung der Stadt eine Folge des deutschen Angriffs- und Vernichtungskriegs war. Als einige wenige Linke, die sich in der Menge verteilt haben, anfangen, mit Sprechchören und Taschenalarm zu stören, wird es unruhig. Der Slogan »Deutsche Täter sind keine Opfer« stößt hier nicht gerade auf Begeisterung und veranlasst einige aufrechte Bürger zu wüsten Beschimpfungen der Störenfriede. Aber deutlich wird trotzdem: Für eine wirklich treffende Kritik muss sich die Linke den modernisierten bürgerlichen Gedenkdiskurs erst noch erschließen.
Tanja Röckemann

»Jetzt erst recht!« Die Neonazis
»Ruhm und Ehre der Waffen-SS« dröhnt laut durch den Neustädter Bahnhof. »Nationaler Sozialismus, jetzt, jetzt, jetzt!« rufen die Rechtsextremen. Das Gebrüll im Bahnhof des Dresdener Stadtteils kann ihre Enttäuschung aber nicht übertönen.
Der »Trauermarsch« an der Elbe, den die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) verantwortet, findet an diesem Samstag nicht statt. Leise sagt ein Kamerad einer Kameradin am Rande der brüllenden Gesinnungsfreunde: »So änna vordammde Scheiße hieor.« Zustimmend meint sie: »Ja, des iss waa.« Keine 30 Minuten zuvor skandierten rund 6400 Neonazis auf dem Schlesischen Platz vor dem Bahnhof: »Die Straße frei der deutschen Jugend«, doch die letzte Ansage der Polizei war bereits erfolgt: »Sie werden nicht marschieren. Für die Sicherheit der Teilnehmer kann nicht garantiert werden.« Holzstöcke, Flaschen und Böller fliegen auf Polizisten und Journalisten. Vereinzelt versuchen Neonazis, die Polizeigitter zu überwinden. Nur mit Mühe können die Ordner der JLO ihre Kameraden zurückdrängen. Über die Lautsprecheranlage schimpft der stellvertretende Bundesvorsitzende der JLO, Björn Clemens: »Eine Polizeiarmee missachtet unser vor Gericht erstrittenes Recht zu demons­trieren.« Recht muss Recht bleiben, meint der Düsseldorfer Rechtsanwalt, der zuvor noch Straffreiheit für den Holocaust-Leugner Horst Mahler gefordert hatte. Vom »Bombenholocaust« spricht Kai Pfürstinger, der sächsische Chef der JLO, unter nicht minder großem Applaus, bevor auch er anfängt, über die Gegendemonstranten und die Polizei zu klagen. Auf dem Platz kommt keine gute Stimmung auf. Da hilft es auch nichts, dass Kameraden an einer Theke warme Getränke und heißes Essen anbieten. Die NPD-Prominenz – Holger Apfel, Udo Pastörs, Uwe Meenen und Peter Marx – steht verstimmt herum. Enttäuscht warten Autonome Nationalisten neben völkischen Kameraden. Nicht zufrieden schauen auch die Initiatoren des neurechten Instituts für Staatspolitik Götz Kubitscheck und Ellen Kositza drein.
Kurze Freude kommt aber unter den Teilnehmern auf – von denen einige aus Schweden, Dänemark, der Slowakei, Österreich und Frankreich angereist sind –, als sie erfahren, dass »Kameraden sich den Weg zu uns erkämpft haben«. Von der Straßenbahnhaltestelle Wilder Mann sind über 3 000 Neonazis zum Schlesischen Platz gezogen. Der Gegenprotest zwingt sie, ihre Busse stehen zu lassen. Auf der Route zur Kundgebung greifen die Rechten allerdings immer wieder Demons­tranten an. Sie selbst sprechen später von »Notwehr«. »Bitte gehen Sie einfach, wir kriegen das nicht hin«, sagt hingegen ein Polizeibeamter warnend zu Journalisten. Einer, der in diesem Trupp mitmarschiert, das NPD-Bundesvorstandsmitglied Thomas Wulff, droht am Ende der Kundgebung: »Um 18 Uhr fahren unsere Busse ab. Wenn man uns nicht zu ihnen durchlässt, werden unsere Kameraden ausschwärmen und dafür sorgen, dass die Polizei in Dresden heute Nacht keine Ruhe hat.« Um die Abreise muss er sich aber keine Sorgen machen, denn per Bahn dürfen die Neonazis gemeinsam von der Neustadt zu einem Abfahrtspunkt fahren. Wulffs Worte dürften dennoch einige ermuntert haben. Am Abend ziehen 400 Rechtsextreme in Pirna durch die Stadt und greifen ein Bürgerbüro der SPD an. In Gera nimmt die Polizei 183 Rechte fest, die dort aufgelaufen sind. In Leipzig und Elterwerda sollen Rückreisende ebenso spontan aufmarschiert sein.
Siegesgerede kommt nach der Niederlage an der Elbe bisher aber nicht auf. Auf der Website der JLO heißt es knapp: »Wir bedanken uns bei allen Teilnehmern für ihren beispiellosen Einsatz und ihr diszipliniertes Auftreten.« Der Presse erklärt Pfürstinger, rechtliche Schritte zu erwägen, räumt jedoch auch ein, über einen Strategiewechsel nachzudenken. Er versichert aber: »Wir werden Dresden nicht als Aufmarsch in Frage stellen.« Bis 2015 stehen die Anmeldungen. Apfel, dessen sächsische Landtagsfraktion den »Trauermarsch« massiv unterstützte, verspricht auch: »Keiner soll allerdings glauben, dass sich nationale Deutsche durch die diesjährige Behinderung einschüchtern lassen.« »Jetzt erst recht« sei das neue Motto. Doch der NPD-Fraktionschef erklärt sogleich, dass der »Vorbereitungskreis über neue Formen der Durchführung« nachdenken müsse.
Andreas Speit

Überfordert. Die Polizei
Etwa 7 400 Polizisten waren am Wochenende in Dresden im Einsatz. Nach der staatlichen Repression gegen das Bündnis »Dresden nazifrei« in den vergangenen Wochen und der Ankündigung des sächsischen Innenministers Markus Ulbig (CDU), gegen »Extremisten« konsequent vorzugehen, hatten viele ordentlich Rambazamba erwartet. Justizminister Jürgen Martens (FDP) meinte, dass die Stadt »kein Tummelplatz für linke Chaoten« werden dürfe, und ließ vorsorglich 80 Zellen in der Dresdner JVA leerräumen. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) meldete sich in den Tagen vor den Protesten zu Wort, um Warnungen an die »Extremisten von links und rechts« auszusprechen. Auch die brutalen Angriffe der Polizei auf die Antifa-Demonstration im vorigen Jahr vermittelten den Eindruck, dass man in Sachsen mit Antifaschisten nicht zimperlich umgeht.
Umso überraschender stellte sich der Einsatz der Polizei am Samstag in Dresden dar. An den drei großen Blockadepunkten war die Lage den ganzen Tag über entspannt. Bei der Blockade auf der Eisenbahnstraße spielte eine Polizeieinheit Fußball mit den Demonstranten. An anderer Stelle wippten behelmte Einheiten im Rhythmus der Musik. Einzelne Demonstranten ließen sich gemeinsam mit Polizeibeamten fotografieren. Auch die Zahlen von nur 21 Festnahmen und zwölf Verletzten auf linker Seite weisen auf eine deeskalierende Taktik hin. Ernsthaft sauer wurden die Beamten nur, wenn sie attackiert wurden oder wenn einzelne Antifaschisten die direkte Konfrontation mit den Neonazis suchten. So kam es auch zum Einsatz von Schlagstöcken und einem Wasserwerfer.
Wollte die Polizei den Aufmarsch der Neonazis nicht durchsetzen oder konnte sie es einfach nicht? »Die Lage war zum Teil sehr unübersichtlich und hat uns viel Kraft gekostet«, sagte Polizeipräsident Dieter Hanitsch. Tatsächlich hatte man an vielen Stellen den Eindruck, dass verschiedene Polizeieinheiten sich gegenseitig im Weg standen oder einfach nicht wussten, was ihre Aufgabe an einem bestimmten Ort war. Die Polizei wirkte unkoordiniert. Am frühen Samstagmorgen waren die Beamten vom schnellen, entschlossenen Handeln der anreisenden Anti­faschisten, die zum Teil aus ihren Bussen sprangen, um wichtige Straßen zu blockieren, schlichtweg überrascht. Auch gelang es der Polizei nicht, die An- und Abreise der Nazis sinnvoll zu kontrollieren. Mehrere hundert Rechtsextreme versammelten sich nach dem gescheiterten Aufmarsch in Pirna. Marodierend zogen sie durch die Innenstadt, warfen Scheiben eines Bürgerbüros der SPD ein und skandierten Drohungen gegen ihnen bekannte Antifaschisten aus der Sächsischen Schweiz. Die Polizei unternahm nichts, um sie daran zu hindern. Aus ordnungsstaatlicher Sicht war dieser 13. Februar ein Desaster: Die vorangegangene Repression hat am Ende zum Erfolg der Protestaufrufe der Antifa beigetragen, was wiederum dazu führte, dass die Polizei mit der großen Anzahl entschlossener Menschen an diesem Tag überfordert war.
Michael Bergmann

Inglourious Basterds
Es gibt Szenelinke, die uns abfällig als »Sportgruppe« bezeichnen. Aber das stimmt nicht. Was wir machen, hat nichts mit Sport oder gar sportlicher Fairness zu tun. Im Gegenteil, wir greifen maskiert und ohne Vorwarnung aus dem Hinterhalt an. Allgemein wird so etwas als »unehrenhaft« oder als »feige« bezeichnet. Zugegeben, ein gewisser Pragmatismus ist uns zu eigen, aber im Unterschied zu Hooligans oder irgendwelchen Straßenschlägern arbeiten wir ergebnisorientiert. Unser Ziel ist ganz simpel: Wir wollen den Nazis weh tun.
Wichtig ist uns vor allem dabei, dass es die richtigen trifft, und nur die richtigen. Kollateralschäden nehmen wir nicht in Kauf. Zumeist lauern wir einzelnen oder kleinen Gruppen von bekannten oder deutlich erkennbaren Neonazis auf. Wir folgen ihnen unauffällig und überwältigen sie dann in einem günstigen Moment. Alles muss dann schnell gehen. Wenn die Gegner weglaufen, um Hilfe schreien oder zurückschlagen, dann haben wir etwas falsch gemacht. Manchmal nehmen wir ihnen dabei auch die Buttons ab oder reißen ihre Nazi-Shirts kaputt. Früher haben wir die einfach als Trophäen mitgenommen. Das machen wir nicht mehr, weil solche Beweisstücke für uns Serientäter gefährlich sein könnten.
Der 13. Februar ist seit Jahren ein Pflichttermin für uns. Schon auf dem Weg nach Dresden treffen wir auf einer Autobahnraststätte eine Horde Dorfnazis. Es sind zu viele, um sie direkt anzugreifen. Also begnügen wir uns damit, heimlich die Reifen ihrer Autos zu zerstechen, und fahren dann weiter.
Dresden ist an diesem Tag eigentlich nichts für notorische Leisetreter wie uns, sondern eher eine Spielwiese für autonome Hasskappen-Fetischisten, die, im Gegensatz zu uns, die offene Konfrontation mit den Bullen oder dem Nazimob suchen. Problematisch ist, dass sich Nazis und Linke nur noch schwer an der Kleidung unterscheiden lassen und man fast ausschließlich an große Gruppen gerät. Ob die Gruppe Halbvermummter, die einem da entgegenkommt, Antifas, Nazis oder gar Zivis sind, weiß man erst, wenn man sich direkt gegenüber steht. Wir begegnen mehrfach aggressiven Nazigruppen, die auf der Jagd nach Linken sind, uns aber nicht als Antifaschisten erkennen. Unser modus operandi funktioniert hier nicht, wir konzentrieren uns lieber darauf, Autos und Busse von Nazis zu beschädigen.
Später fahren wir in eine ostdeutsche Kleinstadt. Am Bahnhof lauern wir mehrere Stunden vergebens auf Nazis, die aus Dresden zurückkommen. Unsere Geduld wird nach einer Weile mit einer zufällig vorbeikommenden Gestalt belohnt, die einen Pullover der Marke Consdaple trägt. Hierbei handelt es sich um Texilien, die von Nazis für Nazis gemacht werden und die das Parteikürzel NSDAP mit dem englischen Wort »constable« verbinden. Uns ist klar, dass dem Bedürfnis, andere zu verletzen oder zu bestrafen, nichts Emanzipatorisches innewohnt. Was wir machen, wird als »politisch unbedeutend«, bestenfalls als »Gegenterror« kritisiert werden. Das wissen wir. Wir machen es trotzdem. Wenig später geht ein völlig überraschter Neonazi schwer angeschlagen zu Boden und verwandelt sich dort in ein wimmerndes Häuflein Elend. Ziel erreicht – wir fahren nach Hause.
Aldo Regen