Westerwelle will sich selbst abschaffen

Papen-Allee

Die Kritik an Guido Westerwelle ist irrational und ungerecht.

Guido Westerwelle muss verteidigt werden ge­gen die Anwürfe, er sei kalt, »ein Esel«, ranschmeißerisch, egoistisch, schlau, profilneurotisch, störrisch und was weiß ich noch alles. Selbst wenn er all das wäre, wäre das ganz gleichgültig. Westerwelle interessiert nicht als Mensch, sondern als Politiker. Als Politiker unterscheidet er sich kaum von irgendeinem anderen Politiker in Deutschland. Denn wie fast jeder andere arbeitet er an der Abschaffung seiner selbst. Er arbeitet an der Abschaffung des Staates, und ohne Staat wird es auch keine Politiker mehr geben.
Die Abschaffung des Staates fällt einem Liberalen naturgemäß leichter als einem Konservativen oder einem Sozialdemokraten. Insofern ist es auch ganz normal, dass in dieser Phase der Staatszertrümmerung die Liberalen eine so auffällige Rolle spielen. Ihrer avancierten Auffassung nach soll der Staat kein Geld mehr einnehmen, keine Subventionen und Transferzahlungen mehr ausgeben, er soll nicht mehr regulieren, ordnen, schützen – kurz, er soll verschwinden.
Dieses Ziel haben aber, mehr oder weniger verdeckt, alle westdeutschen Regierungen seit der von Helmut Kohl verfolgt; vielleicht mehr unter dem Druck der Verhältnisse denn aus Neigung. Behörden wurden im großen Stil privatisiert, die Wirtschaft erhielt immer neue, immer größere Aufgaben, aus Angestellten wurden »Ich-AGs«, aus der Sozialhilfe ein Notgroschen für verhinderte Kleinunternehmer. Seit Kohl setzt die deutsche Politik auf die systemischen Selbstordnungskräfte der Gesellschaft und der Wirtschaft, und wenn irgendwer zu besonders scharfen Maßnahmen bereit war, dann die Partei von Gerhard Schröder, die nun so tut, als hätte sie das alles nicht gewollt.
Der Gerechtigkeit halber sei hinzugefügt, dass eine antiautoritäre Minderheit in der Linken ebenfalls von jeher die Abschaffung des Staates gefordert hat. Sie vollzieht sich anders, als diese Minderheit es sich gewünscht hat, aber es berührt einen doch seltsam mitanzusehen, wie aus »Bullenschweinen« Security-Schläger werden und die BRD sich nun wirklich »BRDigt«.
Zurück zu Westerwelle: Dass, wie er sagt, nur diejenigen Leistungen erhalten sollen, die etwas leisten, ist nichts anderes als eine Blaupause der kapitalistischen Ordnung. Denn unter »Leistung« versteht er nicht eine Arbeit, auch wenn er von »Karren« spricht, die gezogen werden. Der mittelständische Unternehmer X verkauft eine Ware, das ist für Westerwelle wie für jeden Kapi­talisten die Leistung. Dass irgendwelche armen Teufel diese Ware produziert haben und dafür weniger kriegen, als sie zum Leben brauchen, braucht ihn nicht zu kümmern.
Noch viel weniger kümmert ihn, was die zum Leben brauchen, die nicht einmal zur Produktion der Ware beitragen dürfen. Diese Leute sind schlicht überflüssig. Bekanntlich kommt der Kapitalismus mit immer weniger Menschen aus. Auch der mittelständische Unternehmer X, dem Westerwelle nun das Wort redet, wird überflüssig werden, und am Ende Westerwelle selbst. Das ist seine fast tragische Mission, er ist der Franz von Papen des neoliberalen Reiches. Aber es gibt viele von Papens, eine ganze Papen-Allee, die mit Politikern gepflastert sein wird.