Wie die Regierung »Extremismus« bekämpfen will

Wenn der Verfassungsschutz anruft

Die von der schwarz-gelben Koalition forcierte Extremismusdiskussion hat schon jetzt konkrete Folgen. Antifaschistischen Initiativen wird in der politischen Bildungsarbeit das Leben schwer gemacht.

An dem Vorsatz der Bundesregierung, alle »verfassungsfeindlichen« Tendenzen zu bekämpfen, kann kein Zweifel bestehen. Zwei Millionen Euro hat die schwarz-gelbe Koalition für die Bekämpfung des linken und islamischen Extremismus schon bereitgestellt (Jungle World 05/2010). Vorerst wurde zwar darauf verzichtet, diese in einen gemeinsamen Fond mit den Mitteln zur Bekämpfung des Rechtsextremismus zu überführen. Das ändert jedoch nichts daran, dass der Extremismusbegriff als kleinster gemeinsamer Nenner eingesetzt wird, und zwar ganz unabhängig von Motivation und Zielsetzung. »Eine Unterscheidung zwischen bösen und guten Extremisten ist absurd.« Diese Feststellung machte Kristina Schröder (vormals Köhler) im Oktober vorigen Jahres, als sie noch für die CDU und CSU als Berichterstatterin über Extremismus arbeitete. Einen Monat später wurde sie Bundesfamilienministerin, und dieses Ministerium verwaltet das Budget, das für die Extremismusprävention vorgesehen ist.

Nicht erst seit dem Amtsantritt von Kristina Schröder (CDU) wird antifaschistischen Initiativen und Projekten das Leben schwer gemacht. Im Zuge der Extremismusdiskussion versuchen Landesregierungen und Behörden vielerorts, Linke aus der politischen Bildungsarbeit heraus zu drängen. Ein Beispiel dafür ist die mehrfach mit Preisen ausgezeichnete und seit 1990 tätige Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (Aida). Im April vergangenen Jahres wurde sie aus dem bayerischen Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus ausgeschlossen. Das Netzwerk untersteht der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus (LKS), die im Rahmen des 2007 ins Leben gerufenen Bundesprogramms »Kompetent. Für Demokratie« entstanden war. »Wir nahmen auf Einladung der LKS an dem Netzwerk teil und engagierten uns dort anderthalb Jahre, bis Aida plötzlich im bayerischen Verfassungsschutzbericht unter der eigens geschaffenen Rubrik ›sonstige Linksextremisten‹ auftauchte«, erzählt der Vorsitzende Marcus Buschmüller im Gespräch mit der Jungle World. Daraufhin flog die Organisation aus dem Zirkel, im Dezember wurde ihr rückwirkend die Gemeinnützigkeit abgesprochen. Eine Eilklage gegen die Erwähnung im VS-Bericht, für die es bisher keine offizielle Begründung gibt, ist noch anhängig. »Es ist ein Teufelskreis. Da der Verfassungsschutz als neutrale Organisation gilt, ist es schwierig, den Stempel ›linksextrem‹ wieder loszuwerden«, so Buschmüller.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung immerhin klagte 2009 in Baden-Württemberg erfolgreich gegen ihre Erwähnung im VS-Bericht. In Nordrhein-Westfalen wiederum musste ein ganzer Absatz aus dem Bericht gestrichen werden, nachdem sich die antifaschistische Zeitschrift Lotta juristisch gegen ihre Nennung gewehrt hatte. Dort hatte der Verfassungsschutz kurzerhand den Begriff »diskursorientierter Linksextremismus« erschaffen, um linke Verlage und Zeitschriften einbeziehen zu können.

Die Erwähnung von linken Projekten in VS-Berichten wird ein immer beliebteres Mittel zur Bekämpfung politischer Gegner. Es hat den Anschein, dass die »ideologischen Schützengräben des Kalten Krieges« wieder ausgehoben werden, wie es der Politologe Christoph Butterwege kürzlich formulierte. Dabei wird auf unterschiedliche Methoden zurückgegriffen. Durch die Intervention des Verfassungsschutzes wurde ein Vortrag eines Mitarbeiters im Beratungsnetzwerk der LKS verhindert. Das geschah noch vor der Erwähnung von Aida im Bericht des Verfassungsschutzes. Es passiert nicht selten, dass Mitarbeiter vom Verfassungsschutz oder des Innenministeriums im Vorfeld von Schulvorträgen oder Kommunalberatungen zum Thema Rechtsextremismus bei den Veranstaltern anrufen, um sie vor den eingeladenen »Linksextremisten« zu warnen. Referenten des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums (Apabiz) aus Berlin etwa erfahren regelmäßig von solchen verdeckten Interventionen.
Derzeit versuchen in Stuttgart vier Stadträte der CDU, mit einem Antrag eine für diesen Monat geplante Veranstaltung des Stadtjugendrings zum Thema »Rechtsrock« zu verhindern, da die eingeladene Referentin Janka Kluge Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) ist. Auch anderenorts wird die VVN-BdA angegriffen. In der Gedenkstätte Roter Ochse in Halle an der Saale, deren Stiftungsbeirat der VVN-BdA angehört, soll Ende März eine zweitägige Lehrerfortbildung zum Thema »Diktaturvergleich als Methode der Extremismusforschung« stattfinden. Unter dem Titel »VVN-BdA – Ein trojanisches Pferd für das Engagement gegen Rechtsextremismus« will dort Rudolf van Hüllen, ehemaliger Extremismusexperte beim Verfassungsschutz, einen Vortrag halten. Er wird den Pädagogen wohl erzählen, dass die VVN-BdA »für die Einführung einer stalinistischen Variante des Sozialismus und für die Abschaffung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten« eintrete, wie er im Jahr 2009 in einem gleichnamigen Artikel schrieb. Das wird nun auch von Politikern kritisiert. Der Innenstaatssekretär Rüdiger Erben (SPD) hat sich offiziell von der »Gleichsetzung von NS-Verbrechen und SED-Diktatur« und der Tagungskonzeption distanziert und kritisierte den Vortrag van Hüllens »angesichts des Leidens von Mitgliedern dieser Organisation in Konzen­trationslagern und Gefängnissen des NS-Staates«. Van Hüllen sieht das anders: Zwar verdienten VVN-Mitglieder für ihren Widerstand gegen die Nazis »Respekt«, aber »dies umfasst nur zwölf Jahre ihrer Biographie. Und nach 1945 hätte man nicht nur akzeptieren dürfen, wogegen sie stritten, sondern man musste auch kritisch fragen, wofür sie eintraten.«

Der Druck auf alles links von der SPD dürfte mit der Bundesfamilienministerin Schröder weiter zunehmen. Die Ministerin warnte bereits in der Vergangenheit unermüdlich vor einer Vernachlässigung des Linksextremismus. In der Debatte zum »Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus« kritisierte sie 2007, dass »die Frage des Rassismus in Deutschland hier allein auf die Konstellation ›Täter Deutscher, Opfer Migrant‹ heruntergebrochen« werde, und forderte die Bekämpfung des »deutschenfeindlichen Rassismus«. »Rechts- und Linksextremismus sind wie die Enden eines Hufeisens: weit auseinander und doch nah beieinander«, fasste die Ministerin ihre Sichtweise auf Twitter prägnant zusammen. Die Ministerin steht mit ihrem Hufeisen-Weltbild exemplarisch für ein sich ausbreitendes Demokratieverständnis, das antifaschistischen Projekten und emanzipatorischen Bewegungen in Zukunft vermehrt Probleme bereiten könnte. Das verstärkt wahrnehmbare und bisweilen hysterische Gerede von einer Zunahme linker Gewalt oder die voreiligen Warnungen vor linkem Terrorismus haben ein klares Ziel: die Ausgrenzung linker Menschen, Initiativen und Meinungen.
Das grundlegende Problem dieses Extremismus der Mitte besteht in der relativen Positionierung. Denn was die Mitte ist, bestimmt die Mitte selbst – unabhängig von Inhalten, Werten und Überzeugungen. Wenn nun eine extrem konservative Ministerin die Definitionshoheit darüber besitzt, werden viele Meinungen delegitimiert, die sich zuvor noch gesellschaftlich akzeptiert wurden. Und die NPD arbeitet womöglich bereits an einem Fördermittelantrag für ihr Projekt »Mehr Toleranz für Deutsche«.