Der Ausgangspunkt der Kritik ist die »heteronormative Matrix«

Kampf der heteronormativen Matrix!

Nur mit dem Begriff der »heteronormativen Matrix« kann die Binarität der Geschlechter als Ausgangspunkt jeder Diskriminierung ernsthaft kritisiert werden. Das »Patriarchat« ist nur eine Gabel im Besteckkasten der Matrix.

Begriffe haben es nicht leicht. Vor allem nicht, wenn an sie emanzipatorische Konzepte und damit Hoffnungen geknüpft sind. Sie sollen Realität nicht nur greifbar machen, sondern auch angreifbar, sollen beschreiben, ohne festzuschreiben, Gewohntes in Frage stellen und zugleich neue Antworten bieten. Diese Ansprüche werden an den Begriff der »heteronormativen Matrix« ebenso gestellt wie an den des »Patriarchats« und beide wollen nicht nur einen Zustand beschreiben, sondern ihn zugleich abschaffen.
Was für eine Situation hätten wir, wenn sich das Patriarchat, verstanden als männliche Herrschaft über Frauen, aus dem Staub gemacht hätte? Wir hätten Gleichberechtigung. In Zeiten, in denen Frauen in Deutschland nur 77 Prozent des Einkommens bei gleicher Arbeit verdienen, von häuslicher und sexualisierter Gewalt in weitaus höherem Maße betroffen sind und immer noch eher für Kinder und Küche den Vorstand bilden als für Großunternehmen, wäre das schon verdammt viel. Und zugleich zu wenig. Ebenso wie eine Lohnerhöhung den Kapitalismus noch nicht abschafft, sind Menschen noch nicht gleich, wenn es formale Gleichberechtigung gibt. Sie bleiben getrennt und sortiert nach zwei Kategorien. Und hier liegt das Problem. Das Leid beginnt nicht erst mit der Geschlechterhierarchie, es beginnt mit der Binarität der Geschlechter und der mit ihr verbundenen Zwangsheterosexualität.

Im Gegensatz zum Patriarchatsbegriff verstecken sich hinter den beiden Wörtern »heteronorma­tive Matrix« nämlich gleich drei weitere Begriffe, die Judith Butler in »Gender Trouble« expliziert. Die Zwangsheterosexualität, verstanden als die dominante Begehrensstruktur, erfordert die Binarität der Geschlechter: Es gibt Menschen, die Männer begehren, das sind Frauen. Und umgekehrt. Andererseits naturalisiert die Binarität der Geschlechter die Zwangsheterosexualität, das sind dann all die Märchen vom Schlüssel- und Schlossprinzip. Als dritter Begriff findet sich bei Butler der Androzentrismus, die Dominanz von naturalisierter Männlichkeit über alle anderen Geschlechter, der somit die berechtigte Kritik bewahrt, die im Patriarchatsbegriff zum Ausdruck kommen soll. So wie im Wort Besteck Messer, Gabel und Löffel schon enthalten sind, ist im Begriff der heteronormativen Matrix die Patriarchatsgabel also schon inbegriffen. Und zugleich werden damit Schwächen gebannt, die im Begriff Patriarchat liegen.
Patriarchat suggeriert, es gäbe zwei Geschlechter, seien sie nun sozial konstruiert oder natur- bzw. gottgegeben, und dann käme irgendwann, wahlweise in der Steinzeit, zu Zeiten des Ackerbaus oder mit der bürgerlichen Gesellschaft, die Hierarchie dazu. Der Begriff der heteronormativen Matrix macht mit der Kategorie des Androzentrismus aber deutlich, dass den Begriffen von Männern und Frauen eine Hierarchie bereits eingeschrieben ist. Das, was Frauen zu Frauen macht, ist, das Andere, das Gegenüber, der Rand, die Stille zu sein. Wer sich anders verhält, riskiert den Verlust der eindeutigen Geschlechtszugehörigkeit. Deshalb werden wir die Herrschaft des einen Geschlechts über das andere nur los, wenn wir uns gegen beide zur Wehr setzen.
Außerdem vergisst das Begriffsbesteck der heteronormativen Matrix nicht all jene anderen Geschlechter, die fluider sind als die klaren Silhouetten von Männer- und Frauenfiguren und damit der Patriarchatsgabel durch die Zacken gehen. Stattdessen stehen sie im Zentrum der queerfeministischen Theorie und Praxis. Das Argument, es handele sich dabei nur um Minderheiten, kann für eine emanzipatorische Gesellschaftskritik nicht gelten, weil diese von den Rändern der Gesellschaft denkt und spricht.

Nun ließe sich kritisieren, dass »heteronormative Matrix« ein viel zu komplizierter und abstrakter Begriff ist und er außer in Gender-Seminaren an der Universität keine Wirkungsmacht hat. Dagegen spricht zum einen, dass die queerfeminis­tische Bewegung in ihrer Theorie und Praxis aus konkreten Leid- und Lusterfahrungen entstanden ist. » ›Gender Trouble‹ was written in a gay bar« (Butler) – und nicht in der Unibibliothek. Zum anderen ist die scheinbare Realitätsferne des Queerfeminismus eine Stärke, keine Schwäche. Gerade die Realitätsfeindlichkeit der Begriffe unterscheidet eine radikale Gesellschaftskritik von reformistischen Konzepten. Kommunismus ist ebenso weit von unserer Gegenwart entfernt wie eine Welt, die so viele Geschlechter wie Menschen beherbergt. Aber gerade weil diese Konzepte in den meisten Fällen nicht zum Greifen nah sind, machen sie die gegenwärtigen Zustände kritisierbar. Wir wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen, sondern den ganzen, und dazu braucht es ein Begriffsbesteck, das uns nicht nur möglichst viel davon ergattern lässt, sondern auch die Gegenwart auf radikale und präzise Weise seziert.