Verhaftungen von türkischen Militärs

Kampf an zwei Fronten

Die Festnahme von türkischen Offizieren wegen eines mutmaßlichen Putschversuchs zeigt die Schwächung des Militärs. Die türkische Regierung geht derzeit auch gegen die Justiz vor und lässt Staatsanwälte verhaften.

In der Geschichte der Türkei wurden bislang zwei Staatsanwälte aus dem Dienst entlassen. Der erste hatte eine Untersuchung gegen Kenan Evren eröffnet, den General, unter dessen Führung der Militärputsch 1980 stattfand und der später zum Staatspräsident wurde. Der zweite Staatsanwalt hatte im Zusammenhang mit einem Anschlag auf einen kurdischen Buchladen gegen den späteren Generalstabschef Yasar Büyükanit ermittelt.
Die Zeiten haben sich geändert. Nun sind es ehemalige Militärs und Generäle, die dutzendweise festgenommen werden. Vergangene Woche wurden 49 Offiziere festgenommen, 31 von ihnen befinden sich in Untersuchungshaft. Ihnen wird vorgeworfen, sich 2003 an einem Putschplan unter dem Codenamen »Vorschlaghammer« beteiligt zu haben, mit dem Ziel, die von der konservativ-islamischen Partei AKP geführte Regierung zu stürzen.
Der Machtkampf zwischen der Armee, die sich in der Türkei als Hüterin der säkularen Republik versteht, und der konservativen Regierung von Recep Tayyip Erdogan, der eine Islamisierung der Türkei vorgeworfen wird, scheint erneut zu eskalieren. Dabei offenbaren die jüngsten Festnahmen die Schwächung des Militärs.
Die Armee tritt weiterhin als geschlossene Institution auf, aber sie kann sich nicht mehr wehren. Was helfen Panzer und Kanonen, wenn alle geheimen Pläne mit nachrichtendienstlichen Methoden ausgeforscht und veröffentlicht werden, ehe man zur Tat schreiten kann? Das Umfeld für einen Putsch war in den vergangenen Jahren ohnehin nicht günstig. Die Regierung der AKP wurde von den USA und Europa unterstützt, und die wirtschaftliche Lage begann sich zu stabilisieren.
Die Demontage des Militärs wird von vielen Seiten begrüßt und als wichtig für die Entwicklung der Demokratie interpretiert.
Doch es gibt noch eine weitere Front im Machtkampf zwischen den Institutionen des türkischen Staats. Es handelt sich um den Kampf der Regierung gegen die Justiz. Einen Staatsanwalt kann die Regierung noch nicht einfach entlassen, sonst wäre Ilhan Cihaner mit Sicherheit der dritte Fall in der Geschichte der Türkei. Stattdessen wurde Cihaner im ostanatolischen Erzincan Mitte Februar verhaftet. Der überzeugte Kemalist hatte es gewagt, Ermittlungen gegen islamische Bruderschaften – die mutmaßlich Verbindungen zur Regierung haben – wegen »illegaler Machenschaften« einzuleiten. Ein mit Sondervollmachten ausgestatteter Staatsanwalt wurde daraufhin eingeschaltet und übernahm die Ermittlungen. Gegen Cihaner wurden zwei Verfahren eröffnet. Ihm wird die Beteiligung an einem Komplott des Militärs gegen die Regierung vorgeworfen.
Nicht nur die Juristen, auch alle Medien, die nicht schreiben, wie es Erdogan gefällt, treffen auf Widerstand. Viele Richter und Staatsanwälte solidarisierten sich mit Cihaner. Viele politische Beobachter reden von einer Staatskrise, die durch die politische Einflussnahme auf die Justiz ausgelöst werden könnte. Doch Erdogan will davon nichts hören. Er sieht in den gegenwärtigen Ereignissen vielmehr »die Schritte der kommenden Demokratie«. Es ist wohl eher so, dass das übermächtige Militär von einer Regierung abgelöst wird, die jede Kontrolle abgestreift hat.