In Frankfurt sollen sich Studenten nach dem Bildungsstreik zu »Gewaltlosigkeit« bekennen

Konsens mit Zwang

An der Frankfurter Universität sollen Studierende, die während des Bildungsstreiks an einer Besetzung teilgenommen haben, ein Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit ablegen.

So kann man sich täuschen. Nach seinem Amtsantritt wurde der Präsident der Frankfurter Universität, Werner Müller-Esterl, aufgrund seiner Ankündigung, einen »Dialog« mit den Studierenden führen zu wollen, noch als »Kuschelpräsident« bezeichnet. Ein halbes Jahr später ist davon nichts mehr zu spüren. Zuerst ließ das Präsidium das im Rahmen des Bildungsstreiks im November besetzte Casino auf dem IG-Farben-Campus räumen, weil dort Parolen an die Wände gemalt wurden. Dabei wurden mehrere Menschen von der Polizei verletzt (Jungle World 50/2009). Im Februar hat das Präsidium nun den 176 Personen, deren Personalien im Zuge der Räumung aufgenommen wurden, ein umstrittenes Angebot unterbreitet. Demnach werden die Anzeigen wegen Hausfriedensbruch zurückgezogen, wenn die Betroffenen bis zum 31. März eine Erklärung unterzeichnen, die »Gewalt gegen Personen, Sachbeschädigungen und Hausfriedensbruch nicht als legitime Mittel des universitären Diskurses« bezeichnet.
Das Präsidium rechtfertigt sein Vorgehen damit, dass die Betroffenen zwar möglicherweise nicht selbst für die »Sachbeschädigungen« im Casino verantwortlich seien. Sie hätten diese aber durch ihre Weigerung, das Gebäude nach der Aufforderung des Präsidenten zu verlassen, zumindest indirekt gebilligt. Den ungewöhnlichen Versuch, einen Konsens über legitime Protestformen gegen die eigene Politik notfalls mit Hilfe des Strafrechts zu erzwingen, flankiert das Präsidium mit der Einrichtung von »Bologna-Werkstätten«. Sie sollen ein offenes Forum für die Kritik vieler Studierender an den Bachelor- und Masterstudiengängen darstellen. Allerdings haben sie nur eine beratende Funktion.

Der Präsident bekam für sein von ihm selbst sogenanntes »Entgegenkommen« bisher wenig Verständnis. Der Senat der Goethe-Universität sprach die Empfehlung aus, die Anzeigen bedingungslos fallen zu lassen, und 118 Dozenten forderten dies in einem offenen Brief ebenfalls. Auch die Mehrheit der Besetzer lehnt es bisher ab, sich von sich selbst zu distanzieren. In ihrer Erklärung heißt es: »Solange in dieser Universität keine effektiven Mitbestimmungsmöglichkeiten bestehen, bleiben Besetzungen und ziviler Ungehorsam legitime und notwendige Protestformen.« Inzwischen haben sich die Dekane mehrerer Fachbereiche als Vermittler angeboten. Im Gespräch mit der Jungle World blieb das Präsidium jedoch bei seiner Linie. Nur nach einem persönlichen Bekenntnis zur »Gewaltlosigkeit« sollen die Anzeigen zurückgenommen werden. Wie viele Menschen dieses Angebot bisher angenommen haben, möchte das Präsidium mit dem Hinweis auf das »laufende Verfahren« nicht angeben.

Das Protestplenum der Studierenden wertet das Vorgehen des Präsidiums als Teil einer Entwicklung zur »autoritären Hochschule«. Dazu passt, dass die Leitung der Universität die Einrichtung einer Kommission angekündigt hat, die einen verbindlichen Verhaltenskodex für alle Universitätsangehörigen ausarbeiten soll. Damit könnte die Möglichkeit zur Exmatrikulation bei »Störung des Hochschulbetriebes«, wie im hessischen Hochschulgesetz bereits vorgesehen, eine Verfahrensgrundlage erhalten. Die Struktur der Stiftungsuniversität Frankfurt, die den Gremien der universitären Mitbestimmung nur noch beratende Funktion und dafür dem vom hessischen Wissenschaftsministerium eingesetzten Hochschulrat wesentliche Entscheidungsbefugnisse einräumt, würde damit festgeschrieben. Im Hochschulrat sitzen unter anderem ein ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, der Präsident der Deutschen Bundesbank und der Vorsitzende der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
So klar die Ablehnung des Vorgehens der Hochschulleitung zumindest bei den protestierenden Studenten scheint, so unklar ist, wie es einzuordnen ist. Auf einer Demonstration Ende Januar in Frankfurt war an dem Lautsprecherwagen ein Transparent befestigt, das den Universitätspräsidenten als Herrscher mit Königskrone zeigte. Als Refeudalisierung kann die Entwicklung zur autoritären Hochschule jedoch nicht begriffen werden. Auch im demokratischen Kapitalismus findet die »Republik des Marktes« ihre Schranke an der »Despotie der Fabrik« (Marx). In der »unternehmerischen Hochschule« bekommt man dies bereits während der Ausbildung zu spüren.