Die Untersuchungen in der Kunduz-Affäre

Aufpolierte Menschenjagd

Die Untersuchungen in der Kunduz-Affäre gehen weiter. PR-Profis der Bundeswehr sollen den fatalen Luftangriff gezielt schön gezeichnet haben.

Untersuchungsausschüsse sind eine feine Sache. Durch sie erfährt man etwa den Codenamen des Fliegerleitfeldwebels, der am 4. September vorigen Jahres den Luftangriff mit 142 Toten nahe der afghanischen Stadt Kunduz auf zwei Tanklaster dirigierte, die von Taliban geraubt worden waren. Der Mann nannte sich »Red Baron« – eine deutliche Anspielung, denn als »Roter Baron« firmierte im Ersten Weltkrieg der deutsche Jagdflieger Manfred Freiherr von Richthofen. Wegen seiner hohen Abschusszahlen galt Richthofen im Kaiserreich als »Held« und »Vorbild für die Jugend«. Er selbst charakterisierte sich und seine Tätigkeit sehr viel nüchterner: »Es liegt nicht jedem Menschen, im letzten Augenblick noch die volle Geistesgegenwart zu behalten, ruhig zu zielen, über Visier und Korn und Kopf aufsitzen zu lassen. Diese Art Menschenjagd muss tatsächlich geübt werden.«

Wer in Afghanistan für die gezielte Jagd auf Menschen verantwortlich ist, erfuhren die Mitglieder des Kunduz-Untersuchungsausschusses zunächst nicht von »Red Baron«, sondern aus dem Fernsehen. Anfang März berichtete das ZDF-Magazin »Frontal 21« über ein 120köpfiges Spezialkommando in Kunduz mit der Bezeichnung »Task Force 47«, dem auch »Red Baron« angehörte. Die Aufgabe der Einheit bestehe in der Gefangennahme und Tötung von Aufständischen, die sich auf den Ächtungslisten der Nato befinden, hieß es. Es verwundert daher nicht, dass »Red Baron«, der den Kontakt zu den herbeigerufenen US-Bombern hielt, im Namen seines Kommandeurs Georg Klein mehrfach Angebote der Jetbesatzungen ablehnte, die Zivilisten an den Lastern durch Tiefflüge zu warnen. Schließlich ging es darum, möglichst viele Taliban zu »vernichten«, wie es Klein später pointiert formulierte – und die wären durch die Tiefflüge eben auch gewarnt worden.
Ebenfalls zunächst aus den Medien erfuhren die Ausschussmitglieder, dass der im November vorigen Jahres geschasste Staatssekretär Peter Wichert im Verteidigungsministerium eine »Gruppe 85« implementiert hatte. Diese bestand jedoch nicht, wie bei der »Task Force 47«, aus Angehörigen des »Kommandos Spezialkräfte« der Bundeswehr, sondern aus PR-Profis.

Aufgabe der »Gruppe 85« war es, »Sprachregelungen« für den öffentlichen Umgang mit dem Massaker von Kunduz festzulegen. Wie der Spiegel berichtete, schrieb Malte Krause, Büroleiter des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Jung (CDU), kurz nach dem Luftangriff eine Mitteilung an den Presse- und Informationsstab im Ministerium. Krause empfahl, den Umstand, dass die geraubten Laster zum Zeitpunkt des Bombardements seit Stunden in einem Flussbett feststeckten, »zunächst wegzulassen«. Offiziell hieß es stattdessen, die Taliban wollten die Laster zu »rollenden Bomben« umfunktionieren. Grundsätzlich, so der Spiegel unter Berufung auf Protokolle der »Gruppe 85«, ginge es darum, ein »positives Bild« zu zeichnen – und Kritik an der Bundeswehr möglichst abzuwehren.
Wichert und der ebenfalls von Jungs Nachfolger, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), entlassene Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, bestätigten im Ausschuss am Donnerstag voriger Woche die Existenz der »Gruppe 85«. Einhellige Empörung war die Folge. Sollten der Öffentlichkeit Informationen über zivile Opfer vorenthalten worden sein, handele es sich um einen »ungeheuren Vorgang«, erklärte der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Omid Nouripour. Der Generalsekretär der CSU, Alexander Dobrindt, bezeichnete die Berichte über die »Gruppe 85« als »haarsträubend«; sie belegten, dass die Entlassung Wicherts »alternativlos« gewesen sei.
Wichert und Schneiderhan beteuerten jedoch, Guttenberg immer »vollständig informiert« zu haben. Dem Minister, der sie mit einer gegenteilig lautenden Begründung entlassen hatte, wird nun vorgeworfen, gelogen zu haben. Mit den Worten: »Das Land kann nicht einen ganzen Monat lang mit einem Verteidigungsminister dastehen, an dem der Verdacht der Lüge klebt«, forderte etwa der designierte Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, den Rücktritt Guttenbergs. Ernst erinnerte damit an den ursprünglichen Auftrag des Ausschusses: die Aufklärung von »Kommunikationspannen« im Verteidigungsministerium. Die Aufklärung des Bombardements von Kunduz selbst scheint demgegenüber nicht ganz so wichtig zu sein.