Die Leipziger Tristesse

Das ist nicht mein Laden

Leipzig wollte sportlich immer schon hoch hinaus. Selbst für die Olympischen Spiele hatte man sich einst beworben. Das wurde zu einer Blamage. Die Stadt kämpft in Wirklichkeit vor allen Dingen gegen den Abstieg.

Es ist gleichgültig, ob man politisch oder fußballerisch über Leipzig spricht, der Befund ist immer gleich: Früher war viel los, heute ist’s trostlos. Das fängt vielleicht schon damit an, dass die Rede, der Fußball spiegele die Gesellschaft wider, beinah überall auf der Welt abgeschmackt ist – außer in Leipzig. So sehr läuft die Stadt jeder Entwicklung hinterher, dass hier sogar dieser überholte Spruch noch stimmt.
Die besten Männerfußballvereine der Stadt kicken alle in der Oberliga: Das ist die fünfte Klasse! Und folglich ist die Hoffnung, einmal wieder ganz oben dabei zu sein, exakt vier Jahre entfernt. Hoffnungsträger, um mal ein Wort zu verwenden, das hier wirklich nicht hingehört, ist der Verein »RasenBallsport Leipzig-Markranstädt«. Dem merkt man schon am neckischen Binnen-B an, wem er gehört: dem Getränkekonzern Red Bull, dessen Produkte wie flüssige Gummibärchen schmecken. Der Konzern hat sich für den deutschen Fußballmarkt einen besonders neuralgischen Ort ausgeguckt: Leipzig.
Mit Leipzig, also mit den Menschen, die in Leipzig leben, hat das nichts zu tun. Die erleben den Aufstieg des RB Leipzig, wie sie hiesiges Wirtschaftswachstum erleben: passiv, aus der Zeitung und ohne Interesse.
Die »großen« Fußballklubs, für die man sich interessiert, sind andere: Lok Leipzig, das sich zwischendurch auch mal VfB Leipzig nannte, stand 1987 im Finale des Europapokals der Pokalsieger und verlor da nur 0:1 gegen Ajax Amsterdam. Ein Jahr lang spielte man in der Bundesliga – danach folgte der Totalabsturz. Chemie, mittlerweile Sachsen Leipzig, war zweimal DDR-Meister, 1951 und 1964, hat auch einen riesigen Fananhang, hat es aber in Nachwendezeiten, also nach 1990, nie höher als die dritte Liga geschafft.
Die Menschen, die zu Lok und Chemie gingen, gibt es heute immer noch. Die Vereine sind auch noch da. Und auch der Hass zwischen Lok- und Chemie-Fans findet sich. Aber auf der Grundlage von Fünftklassigkeit zu einer Macht werden zu wollen, die von Polizei, anderen Staatsgewalten und auch den Medien respektiert wird, ist lächerlich. Mittlerweile stehen in Leipziger Fußballstadien keine Fan-Gewalten mehr, sondern es gibt bloß sporadische Fan-Gewalt.
Was sich im Leipziger Fußball zeigt – und was der Fußball über die Leipziger Lebensverhältnisse aussagt –, ist: Von jeder Entwicklung, die Teilhabe am Wohlstand bedeuten könnte, wurden die Leute abgehängt. Das Versprechen auf Glück und Reichtum kommt einzig in Gestalt des nicht nur geschmacklich hoch unattraktiven Red-Bull-Konzerns daher.
Im Fußball lässt sich diese soziale Enteignung sogar architektonisch besichtigen: Das Zentralstadion fasste früher 100 000 Zuschauer. Das baufällige Areal zu modernisieren, schien niemandem profitabel, also tüftelten Investoren etwas Besonderes aus: Einem gelandeten Raumschiff gleich wurde ein neues, reines Fußballstadion in das alte Oval platziert. Die Zuschauerränge des alten Zentralstadions sind zwar noch da, aber von ihnen aus kann man nur die neue Stadionmauer anschauen. Das ist der überflüssige Platz, der Leuten wie den Fans von Chemie und Lok zugewiesen wurde: Gleichzeitig nahm und ließ man ihnen ihre Tradition; sie können zu ihren Fünftligisten gehen, sie können sich schlagen, sie können sich gut benehmen – es ist alles gleichgültig.
Immerhin, für den Juli 2011 hat sich Mario Barth ins Zentralstadion angemeldet. Aber statt den zu verkloppen, wird hier womöglich gelacht.