Redbull Leipzig. Ein Retorten-Verein aus der Dose

Die Gnade der späten Geburt

Wer in Leipzig ohne politisches Bekenntnis, ohne DDR-Nostalgie und ohne Nazi-Stress einfach nur ein paar Leuten in kurzen Hosen dabei zuschauen möchte, wie sie aufs Tor kicken, der kann zum Retortenverein aus der Dose gehen.

Schön ist es nicht, aber realistisch betrachtet, besteht die einzige Hoffnung, dass Leipzig in absehbarer Zeit einen Bundesliga-Verein stellen kann, in rosa Brause. Natürlich nicht in irgendeiner komisch gefärbten, kohlesäurehaltigen Limo, sondern in der rosa Brause schlechthin: Red Bull.
Das Zeug, das damit wirbt, Flügel zu verleihen, ist mittlerweile aus dem Sport nicht mehr wegzudenken, denn neben – eigentlich sehr naheliegend – Flugtagen leistet man sich nicht nur zwei Formel-1-Teams, sondern sponsert neben Extremsportlern auch Fußballvereine. Stopp, das ist nicht ganz richtig, denn vom traditionellen Sponsoring unterscheidet sich das, was der Getränkehersteller tut, eklatant. Denn man kauft sich nicht etwa Trikotwerbung oder Reklamebanden, sondern übernimmt gleich ganze Vereine.
Genau das hat der österreichische Getränkehersteller auch in Leipzig getan. Das Getränk Red Bull ist dabei allerdings keine österreichische Erfindung, sondern eine Lizenzproduktion der thailändischen Marke Krating Daeng, deren Name übersetzt »roter Stier« bedeutet.

So hipp wie in Europa wurde die Limonade in ihrem Herkunftsland allerdings nie verpackt, dort wird sie in kleinen braunen Flaschen angeboten. Und auch in der Rezeptur wurde das Original an den internationalen Geschmack angepasst und zum Beispiel mit Kohlensäure versetzt. Zwei ursprüngliche Zutaten sind jedoch auch weiterhin ganz wichtig, eine davon gab dem Getränk seinen Namen: Die mittlerweile synthetisch hergestellte Amonosulfonsäure Taurin wurde früher aus Stiergalle gewonnen.
Auf der Dopingliste steht Taurin nicht. Und auch Koffein gilt nicht mehr als ungebührlich leistungsförderndes Mittel, obwohl noch im Jahr 2000 der spanische Profifahrer Óscar Sevilla koffein-positiv getestet und von der Teilnahme an der Rad-WM ausgeschlossen worden war. Zum 1. Januar 2004 wurde das Alkaloid durch die Welt-Anti-Dopingagentur Wada endgültig von der Liste der verbotenen Substanzen gestrichen – eine längst überfällige Entscheidung, wie Kritiker meinten, da der leistungssteigernde Effekt des Koffeins nie nachgewiesen wurde und der zulässige Höchstwert, 12 µg/ml im Urin, vollkommen willkürlich gewesen sei. Und so ist es moralisch sicher nicht bedenklicher, für den Energy-Drink zu werben als für Jägermeister, wie es Eintracht Braunschweig in den Siebzigern tat.

Der Leipziger Verein, der Red Bull gehört, präsentiert sich auf seiner Webseite als moderner Club, der den Fans jede Menge Komfort bietet: Die Jacken, Hoodies und Shirts mit dem roten Bullen werden nicht in den üblichen maximal vier Formaten (XL, L, M, S) angeboten, sondern auch in kleineren und größeren Größen, in einem eigenen Wiki werden alle möglichen Stichworte rund um RB gesammelt.
Wirft man dort einen Blick auf die »Historie«, stellt man gleich fest, was einer der am häufigsten genannten Kritikpunkte am neuen Verein ist: RB ist geschichtslos, die Einträge beginnen im Juni 2009, also praktisch mit der Neugründung des Clubs. Vielen Leipzigern und auch vielen auswärtigen Fans war besonders sauer aufgestoßen, dass der Verein sich nicht einfach umbenannt hatte, sondern neu gegründet wurde und so nicht an die bisherige Vereinshistorie anknüpfte. Denn eine Vereinshistorie gäbe es durchaus zu erzählen.
Die Geschichte des SSV Markranstädt ist lang. 1947 ging aus den zwangsaufgelösten Clubs FC Sportfreunde 1912 und ATV die ZSG Glück Auf Markranstädt hervor. 1990 wurde aus deren Nachfolgerinnen BSG Motor und Turbine Markranstädt der SSV – wenn man diese vielen Namen verwirrend findet, sollte man übrigens froh sein, nicht in Leipzig zu wohnen, denn wie wir im weiteren Verlauf sehen werden: Es geht immer alles noch viel verwirrender. Dieser SSV nun gab sein Recht, in der Oberliga zu spielen, an RB Leipzig ab. In Deutschland darf der Verein aufgrund des geltenden Vereinsrechts nicht Red Bull heißen, man nennt sich offiziell »RasenBallsport Leipzig e.V.«.

»Keine Kompromisse. Das ist ein neuer Klub. Es gibt keine Tradition, es gibt keine Geschichte, es gibt kein Archiv«, hatte es schon am 3. Juni 2005 auf der konstituierenden Generalversammlung geheißen, bei der der FC Red Bull Salzburg neu gegründet worden war. Der Verein, aus dem der Energy-Drink-Hersteller einen neuen Club gemacht hatte, hatte SV Austria Salzburg geheißen, und zu den erfolgreichsten österreichischen Fußball-Vereinen gehört. Drei Mal war man Meister geworden, hatte es 1994 sogar ins Finale des Uefa-Cups geschafft, konnte international bekannte Stars wie Oliver Bierhoff und Thomas Häßler verpflichten – und dann war die Geschichte nach 61 Jahren plötzlich zu Ende.
Allerdings nicht ohne Widerstand, denn im Gegensatz zu den Vereinen, aus denen RB Leipzig werden sollte, verfügte der Wiener Club über eine breite und solide Fanbasis. Und die wollte sich nicht damit abfinden, dass Austria einfach so verschwand. Die »Initiative Violett-Weiß« wollte zunächst nur erreichen, dass wenigstens die Vereinsfarben bestehen blieben, auch wenn man die Austria-Übernahme generell sehr kritisch sah. Nach mehreren Verhandlungsrunden und verschiedenen Aktionen wie einer Platzbesetzung stand allerdings schnell fest, dass trotz des großen Medienechos im In- und Ausland das einzige Zugeständnis des nunmehr in Weiß-Rot auflaufenden Vereins eine violette Kapitänsbinde und violette Torhüter-Stutzen bleiben würde.
Ein Teil der Fans hatte genug und ließ im Oktober 2005 einen Verein namens Sportverein Aus­tria Salzburg ins Vereinsregister eintragen. Der Club spielt mittlerweile in der vierthöchsten österreichischen Liga. Red Bull wurde dagegen im Jahr 2009 zum zweiten Mal Meister, interessanterweise gingen die Zuschauerzahlen trotzdem zurück.

In Leipzig war man von einer derart vehementen Opposition weit entfernt, obwohl es auch dort zu einigen Protesten kam, wie Anfang Juni 2009, als der Rasen im Stadion am Park mittels eines Unkraut-Bekämpfungssmittels zerstört wurde und am Gebäude gegen Red Bull gerichtete Parolen auftauchten. Dass sich kein breites Fanbündnis gegen die Übernahme des Vereins organisierte, lag wohl auch daran, dass Fußballinteressierte in Leipzig genug Auswahl haben. Wobei das Namens-Hin-und-Her bei den Hauptvereinen der Stadt Ortsfremden die Orientierung schwer macht.
Die Stadt, in der im Jahr 1900 der DFB gegründet worden war, hatte 1903 mit dem VfB Leipzig auch gleich den ersten Deutschen Meister gestellt. Als 1. FC Lokomotive Leipzig wurde der von den Sowjets nach dem Krieg aufgelöste Club 1966 wieder gegründet und vier Mal DDR-Pokalsieger sowie drei Mal DDR-Vizemeister. 1991 benannte man den Club in VfB um, nach Insolvenz 2004 heißt er nun wieder Lok. Und hat mit dem FC Sachsen Leipzig einen großen Rivalen. Dieser FC wiederum hieß zu DDR-Zeiten Betriebssportgemeinschaft Chemie Leipzig, wurde damals zweimal Meister und am 30. Mai 1990 in FC Grün-Weiß 1990 Leipzig umbenannt. Das stellte sich rasch als nicht besonders clever heraus, denn nach den Regelungen für die Eingliederungen von DDR-Mannschaften hätten die Grün-Weißen in der 3. Liga spielen müssen, weswegen man nur wenige Monate später, im August, mit dem von der Pleite bedrohten Oberligisten SV Chemie Böhlen (vormals BSG Chemie Böhlen) fusionierte und sich fortan FC Sachsen Leipzig nannte.
Leipziger interessiert es aber gewohnheitsmäßig nicht, wie ihre Fußballvereine auf dem Papier heißen, und so, wie Jahre später niemand den Rasenball-Club beim eingetragenen Namen nennen würde, bezeichnet man den FC Sachsen bis heute als Chemie Leipzig.
Nun hätte es in einer derart fußballverrückten Stadt eigentlich nahe gelegen, aus zwei erfolglosen Clubs einen zu machen und mit gebündelten Sponsorenmitteln und doppelten Zuschauerzahlen den Aufstieg in die Bundesliga anzugehen, vielleicht sogar unter dem schönen Namen Chemie-Lokomotive. Was theoretisch eine gute Idee wäre, ist praktisch unmöglich, denn die Fangruppen beider Vereine sind tief verfeindet.
2009 griffen beispielsweise Neonazis aus dem Umfeld von Lokomotive nach einem Spiel Chemie-Fans an, dabei wurde ein Anhänger des eigentlich FC Sachsen heißenden Clubs gezielt mit dem Auto angefahren. Einige Monate zuvor waren Fans, darunter Familien mit Kindern, die zu einem Hallenturnier wollten, überfallen worden. Ein Chemie-Anhänger wurde damals schwer verletzt.
Und so könnte der geschichtslose Verein der roten Bullen der lachende Dritte sein. Wer einfach nur frei von ostalgischer Identitätshuberei Fußball gucken und dabei nicht belästigt werden und sich nicht vor Übergriffen fürchten möchte, kann im Zweifelsfall zu Red Bull gehen – das Ziel von RB ist zudem der Aufstieg in die Bundesliga, was für den Durchschnitts-Fan allemal attraktiver klingen muss als ewig nur Auswärtsspiele gegen Dorfvereine.
Red Bull nimmt die Sache mit dem Bundesliga-Aufstieg jedenfalls ernst. Und hat schon erste Schritte in Richtung höchste Spielklasse unternommen: Am 15. März gab RB die Zulassungsunterlagen für die Regionalliga beim DFB ab. »Mit dem Zentralstadion und dem Stadion am Bad haben wir zwei mögliche Spielorte für die Regional­liga angemeldet«, berichtete Geschäftsführer Dr. Dieter Gudel.