25.03.2010
Die schwierigen Beziehungen zwischen Frankreich und Algerien

Ein Gesetz gegen Kolonialismus

Algerien übt Druck aus, damit Frankreich seine früheren Kolonialverbrechen anerkennt. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind derzeit so angespannt wie noch nie. Die Gründe liegen nicht nur in der Kolonialgeschichte Frankreichs, sondern auch in der Migrations- und in der Wirtschaftspolitik.

Müssen französische Täter aus der Zeit der Kolonialkriege jetzt Strafe fürchten? Das wünscht sich jedenfalls der algerische Parlamentsabgeordnete Moussa Abdi.
Der Abgeordnete der Nationalen Befreiungsfront legte am 13. Januar der Nationalen Volksversammlung (APN) in Algier einen Gesetzentwurf vor, der eine »Kriminalisierung des Kolonialismus« vorsieht. 125 von insgesamt 389 Abgeordneten der APN unterstützen bislang diesen Entwurf. Er sieht die Einrichtung von Sondergerichten vor, die Urteile gegen damalige französische Verantwortliche in politischen oder militärischen Funktionen aussprechen könnten. Abdi versucht derzeit, Verbündete in anderen Ländern zu gewinnen, die früher von Frankreich kolonisiert wurden. Marokkanische und tune­sische Parlamentarier haben bereits Unterstützung zugesagt.

Unterstützt wird die Initiative auch von der algerischen Rechtsanwältin Fatma Benbraham, die am 13. Februar, dem Jahrestag des ersten französischen Atomwaffenversuchs im Jahr 1960, ankündigte, eine Klage gegen Frankreich vor internationalen Strafgerichtshöfen zu erheben. Auch wenn die juristische Bezeichnung »Genozid« für die Tests unhaltbar sein dürfte, so ist ihr Anliegen doch berechtigt. Französische Vertreter hatten im Jahr 1957, mitten im algerischen Entkolonia­lisierungskrieg, angekündigt, Nuklearwaffentests im Süden Algeriens durchzuführen, aber »nur in unbewohnten Gebieten«. Erwiesen ist jedoch, dass mindestens 40 000 Menschen, sowohl Nomaden als auch festansässige Einwohner, in den radioaktiv verseuchten Zonen lebten.
Frankreich hat zwar inzwischen ein Gesetz verabschiedet, das eine Entschädigung der Opfer seiner Atomwaffentests in der algerischen Wüste ebenso wie auf den Pazifikinseln rund um das Mururoa-Atoll vorsieht. Um einen Anspruch darauf geltend zu machen, müssen die Opfer nachweisen können, infolge eines Nuklearwaffentests an Krebs oder einer anderen von 18 aufgelisteten schweren Krankheiten erkrankt zu sein. Doch nach wie vor verweigert Frankreich, Algerien eine Liste der damals radioaktiv kontaminierten Gebiete vorzulegen. Deren genaue Grenzen durch Untersuchungen festzustellen, fällt schwer, da diese Zonen in der Sahara liegen. »Die französische Armee brauchte 45 Jahre, um unserem Land eine Liste der verminten Orte an den Grenzen zu Tunesien und Marokko zu übergeben«, sagt Abderrahmane Leksassi, der Sprecher einer Vereinigung algerischer Opfer von Atomwaffentests. »Wie viel Zeit wird vergehen, bis Frankreich uns auch mitteilt, wo es radioaktive Hinterlassenschaft vergraben hat?« Zwischen 1960 und 1966, also noch bis zu vier Jahre nach der Unabhängigkeit Algeriens, führte Frankreich insgesamt 17 Nukleartests in dem Land durch.
Das ist jedoch nicht der einzige Grund, warum Algerien ausgerechnet jetzt so sehr auf die Anerkennung früherer französischer Kolonialverbrechen drängt. Verschiedene andere Faktoren tragen dazu bei.

Die Beziehungen zwischen Frankreich und Algerien sind derzeit so angespannt wie noch nie. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die von beiden Seiten geplante Neuverhandlung des französisch-algerischen bilateralen Abkommens zum Umgang mit Einwanderern gescheitert. Das Abkommen wurde im Dezember 1968 ratifiziert und im Jahr 2001 überarbeitet. Für algerische Staatsbürger gelten in Frankreich die Bestimmungen des bilateralen Abkommens und nicht die des allgemeinen Ausländerrechts. Deswegen können Algerier nach nachgewiesenem zehnjährigen, auch »illegalen« Aufenthalt ihre Legalisierung und einen Aufenthaltstitel beantragen. Für Staatsangehörige anderer Länder wurde diese Rechtsgarantie unter der Präsidentschaft von Nicolas Sarkozy abgeschafft. Höchste Zeit, diese Vorschrift auch für Algerier zu streichen, meint nun die französische Regierung.
Premierminister François Fillon war der letzte führende französische Politiker, der im Juni 2008 Algier besuchte, um eine Visite seines Vorgesetzten Sarkozy vorzubereiten. Doch dieser Besuch des Staatspräsidenten hat nie stattgefunden.
Jüngster Anlass für Verstimmungen zwischen den beiden Ländern waren die Äußerungen des französischen Innenministers Brice Hortefeux, nachdem am Weihnachtstag das Attentat eines Nigerianers auf einen Linienflug Amsterdam-Detroit vereitelt worden war. Damals überraschte Hortefeux mit der Neuigkeit, schon seit April vergangenen Jahres würden die Angehörigen von sieben »Risikostaaten« auf französischen Flughäfen systematisch verstärkten Kontrollen unterzogen. Das einzige Kriterium dabei sei demnach die Staatsangehörigkeit. Zu den betroffenen Ländern zählen Algerien und sein Nachbarland Mali.
Vorausgegangen war dieser Ankündigung, die im Elysée-Palast und im französischen Außenministerium wegen ihres undiplomatischen Charakters für eine gewisse Verärgerung sorgte, die Debatte eines französischen Gesetzes aus dem Jahr 2005 über den Umgang mit der nationalen Kolonialgeschichte. Dieser Text war damals von Vertretern der alten Koloniallobby im Parlament durchgedrückt worden. Sein brisanter Charakter fiel den übrigen Abgeordneten jedoch erst Monate später auf. Die Sozialdemokraten hatten ihm zunächst sogar zugestimmt und stellten im November desselben Jahres vergeblich einen Antrag auf nochmalige Abstimmung.

Umstritten an diesem Gesetz war vor allem ein Artikel, der Lehrkräften und Wissenschaftlern vorschrieb, in Lehre und Forschung »die positive Rolle der französischen Präsenz in Übersee und insbesondere in Nordafrika« zu betonen. Erst Anfang 2006 ließ der damalige Präsident Jacques Chirac den Artikel streichen, nachdem er ihn aus formalen Gründen für verfassungswidrig hatte erklären lassen. Vor allem in Algerien, wo nach unterschiedlichen Angaben zwischen 300 000 und einer Million Menschen im Kolonialkrieg starben, hat man diese Episode nicht vergessen. Der jetzige Gesetzentwurf im algerischen Parlament ist auch als späte Antwort darauf zu verstehen.
Auch die ökonomischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind angespannt. Frankreich ist nach wie vor der erste Lieferant bei Algeriens Importen, wenngleich es seine Rolle als größter Kunde für algerische Exporte bereits 1990 an Italien verlor. Doch die ökonomische Position, die Frankreich in dem nordafrikanischen Land bisher innehatte, ist derzeit geschwächt. Ein Grund dafür ist, dass Frankreich zwar Algerien immer als Rohstofflieferanten und aufnahmefähigen Absatzmarkt betrachtete, aber nicht als Ort für Investitionen ernst nahm. Das lag sicher an der politischen Instabilität in den neunziger Jahre, doch diese Phase ist längst vorüber. Auch die stabilere politische Lage in Marokko und Tunesien, die, anders als Algerien, nach der Unabhängigkeit keine staatssozialistische Phase erlebten, und die Arroganz der Franzosen gerade gegenüber ihrer ehemaligen Kolonie Algerien trugen dazu bei. Ähnlich wie in anderen afrikanischen Ländern werden auch hier die Chinesen immer einfluss­reicher. Im Vorjahr war China bereits der zweitgrößte Lieferant Algeriens mit einem Marktanteil von zwölf Prozent, gegenüber 16 Prozent für Frankreich, das aber seit 1992 die Hälfte seines vorherigen Anteils eingebüßt hat.
Bald dürfte China nun Frankreich überholen, sofern die Franzosen nicht schnell ihre Orientierung ändern. Auch die politische Entwicklung in Frankreich dürfte dabei eine Rolle spielen.