Über die neue Platte der Band Die Sterne

Tanz das System!

Die Sterne aus Hamburg machen jetzt amtlichen Dance-Pop und sind dabei so gut wie lange nicht mehr.

Einer fehlt. Der wollte lieber nicht mitmachen, wollte das neue Soundkonzept der Sterne nicht mittragen. Es ist Richard von der Schulenburg, der bisherige Keyboarder der Sterne. Er ist offiziell raus und die Band damit zum Trio geschrumpft. Irgendwie stimmt das aber auch wieder nicht ganz, denn von der Schulenburg spielt ja doch mit auf der neuen Platte – Piano und Orgel auf vier von zehn Songs.
Es ist schön, dass die ehemalige Hamburger-Schule-Band Die Sterne nach gut drei Jahren Pause wieder da ist, und zwar richtig da. Schließlich ist »24/7« die beste Platte seit »In echt« (1994) und »Posen« (1996), also seit dem zweiten und dritten Album der Band. Ziemlich funky waren Die Sterne anfangs, nah dran an George Clinton und Sly And The Family Stone. Der Rhythmus der Sterne, dieser repetitive Groove, war nicht alles, aber eine Menge. Eine Tanzband, von der 92er-Single »Fickt das System« an. Geplant war das offensichtlich nicht. Band und Publikum sollen selbst ganz überrascht gewesen sein, als sie sich während eines frühen Konzerts beim Tanzen ertappten.
Damals sang Frank Spilker »Scheiß auf deutsche Texte«, »Universal Tellerwäscher« und »Was hat dich bloß so ruiniert«. Er sang Hymnen einer Textgattung, die es vor den Sternen so nicht gab. Spilker ist der Erfinder lässig-lakonischen Diskurspops. Er versteht sich auf prägnante Bilder und treffende Metaphern. Er erzählt kleine, ironisch-sarkastische Alltagsgeschichten, vorgetragen mit diesem einzigartigen Hang zum Schnoddrigen in seiner leicht zu identifizierenden, zärtlich abgehangenen Stimme. Dazu kommt gerne mal eine griffige Parole von links außen. In Spilkers Texten steckte von Anbeginn an ein Gefühl von Untröstlichkeit. Und eine starke Ratlosigkeit angesichts einer beschissenen Gegenwart, deren Zukunft keineswegs Besseres verspricht.
Kaum zu glauben – bald 20 Jahre ist das her, dass man das erste Mal die Sterne gehört hat. Man ist sozusagen alt geworden mit ihnen.
Es wird viel getanzt in den Clubs der Metropolen, in Berlin und Hamburg und München. Clubs gelten – das dürfte inzwischen auch der letzte Feuilleton-Leser mitbekommen haben – als Rundum-Sorglos-Wohnzimmer, als der Alltagswirklichkeit enthobene Refugien des Hedonismus. ­Arbeitswelt, bleib draußen! Drinnen arbeitet man freilich auch: an den Mythen der Nacht, an den Körpern. Aber das tut man gern. Auf dem zweiten Song des neuen Sterne-Albums, auf »Depressionen aus der Hölle«, verkrümelt sich der Erzähler mit seinen Depressionen genau dorthin, in den Club, in die Disco. Er »will da wohnen«. Natürlich meldet er gewisse Zweifel an: Zweifel an der scheinbaren Verfügbarkeit von allem, am Traum vom totalen Hier und Jetzt, an den Hippness-Codes und der damit zusammenhängenden tödlichen Langeweile: »Immer was Neues, kennt man schon.« Überdrussgesellschaft. Das Burnout-Syndrom tanzt mit, verloren ist auch hier, wie vormals auf den alten Platten, der Glaube an eine bessere Zukunft: »Weiß nicht mehr, was wirklich hilft.«
Für den Moment aber hilft wahrscheinlich doch: die Disco der Gegenwart, der Club. Und genau hier sind die Sterne nun auch musikalisch angekommen, gemeinsam mit ihrem neuen Produzenten und inoffiziellen vierten Bandmitglied Mathias Modica vom Munich-House-Project Munk. Man mag einwenden, dass der neue Sound der Sterne genau das nicht ist: neu. Tatsächlich halten sich die meisten Stücke recht penibel an die Errungenschaften von (Indie-)Dance-Pop. Hübsch verkettet wurden hier Patterns, Sounds und dramaturgische Elemente von New-York- und Chicago-House, Spät-Siebziger-Disco und dem Munich-Pop eines Giorgio Moroder. Zu hören sind unter anderem Flummibassläufe, ekstatisches Georgel, funky Gitarren, das typisch primitive Discoklavier, cheesy Stringteppiche und, na klar, gerade getaktete Beats.
Selbstverständlich verlieren sich die Sterne nicht in unendlich scheinenden Repetitionen, sondern erzeugen einen melodischen Überschuss, betten Grooves und Sounds in hymnische Refrains, die es freilich nicht gäbe, wenn da keine Strophen wären. Sie schaffen kurz gesagt diese für Dance-Pop typischen Hybriden aus Song und Track, die nicht zuletzt deshalb so unglaublich beliebt sind, weil der Indie-Hörer sich einbilden kann, eine Band oder etwas sehr Ähnliches sei hier zugange. Manchmal stimmt das sogar. Seit Acts wie das LCD Soundsystem und Hot Chip die internationale Bühne betreten haben, geht das so. Dass das eine kleine Pop­ewigkeit her ist, war den Sternen bekannt, nur gejuckt hat sie es nicht. Weshalb auch? Was wären denn die Alternativen gewesen? Neo-Kraut-Noise-Rock? Mutant-Disco? Post-Psychedelic-Freak-Folk? Indie-Afro-Pipapo-Dubstep? Gleich, ob man Spilker und seinen Bandkollegen nun vorwerfen möchte, sich dem allzu Hippen bzw. dem immer noch schwer Angesagten anzudienen – der Eindruck, dass die Band endlich wieder richtig wach ist und so viel leidenschaftlichen Spaß an ihrer Sache hat wie lange nicht mehr, wiegt hoffentlich schwerer.
Eine vernünftige, das heißt unbedingt kritische (Erzähl-)Haltung darf natürlich trotzdem nicht fehlen. Und wenn man Spilker so zuhört, meint man tatsächlich, die adäquatesten und wirkungsvollsten Textreaktionen auf Hartz IV, Neoliberalismus, Turbokapitalismus, Pest und Cholera seien entweder klare einfache Worte oder Ironie, Spott und Sarkasmus, dargereicht in dunklen, grellen, widersprüchlichen, immer kompakten Vergleichen und Metaphern. Spilker singt: »Nach langer harter Arbeit endlich den gerechten Lohn/und ficken ohne Kondom.« Oder: »Es liegen tausend Leichen in der Stadt der Reichen.« Und: »Von Menschen auserkoren, die anderen zu bedienen/Dienstleistungsmaschinen/Wie ein Schwein.« Das Schwein, ein genetisch naher Verwandter des Menschen, ist am Ende tot. Aufgefressen. Und bald wieder ausgeschieden. Spilker singt solche und andere Zeilen so irritierend freundlich wie noch nie. Man tanzt dazu und hat gleichzeitig das Gefühl, dass das vielleicht nicht in Ordnung ist. Dann guckt man ein bisschen blöd. Und tanzt weiter. Immer diese Widersprüche.

Die Sterne: 24/7 (Materie Records/Rough Trade)