Über den Dokumentarfilm »When the Mountain meets its Shadow«

Der Cup und die Stadt

Der Dokumentarfilm »When the Mountain meets its Shadow« porträtiert vier Menschen, die in den Armenvierteln Kapstadts um ihre Existenz kämpfen.

Die Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika gilt als wirtschafts- und entwicklungsfördernd, als vielfach gepriesene Chance – kurz: als ein Segen fürs ganze Land. Diesem Klischee halten die Filmemacher Alexander Kleider und Daniela Michel eine ganz andere Sichtweise entgegen. In ihrer Dokumentation »When the Mountain meets its Shadow« geht es um Menschen, die das südafrikanische Establishment vor Beginn des Turniers durch Umsiedlungen zu verbergen sucht. Es geht um diejenigen, die in illegalen Siedlungen unter schwierigsten Bedingungen leben – oft ohne fließendes Wasser, Elektrizität und ohne jede Perspektive. Daneben zeigt der Film jedoch auch Menschen, die dafür sorgen, dass die Armut bekämpft und nicht einfach nur vertuscht wird.
Einer der Protagonisten ist Ashraf Cassiem. Er ist Vorsitzender der Western Cape Anti-Eviction Campaign (AEC), einer Graswurzelbewegung, die sich aus einer Vielzahl kleinerer Organisationen zusammensetzt, die für eine Verbesserung der Lebenssituation in den Townships kämpfen. So begleitet man Ashraf und seinen Mitstreiter Mne bei einem Workshop zum illegalen Wiederanschluss von Wasser und bei der Planung von Kampagnen gegen die zahlreichen Zwangsräumungen, von denen viele der so genannten shackdwellers (Hüttenbewohner) seit den Vorbereitungen zur WM bedroht sind. Denn die Armut soll nicht sichtbar sein. Deshalb räumt Südafrika vorzugsweise Gebiete in der Nähe des Kapstadter Flughafens und am Rande des Highways N2, über den die Touristen im Sommer fahren werden. Die Stimmung während der WM soll schließlich nicht beeinträchtigt werden.
Für viele Südafrikaner wäre das bereits die zweite Zwangsräumung. Der von der Apartheid-Regierung 1950 verabschiedete Group Areas Act bildete die juristische Grundlage für die räumliche Trennung der Wohngebiete von Weißen und Nicht-Weißen. Bekannt ist vor allem die Vertreibung von 60 000 Menschen aus District Six, einem Stadtteil Kapstadts, der 1966 zu einem »Whites-Only«-Gebiet erklärt wurde, in die sandigen Cape-Flats am Stadtrand. Eine Parabel auf diese Geschehnisse konnte man sich im vergangenen Jahr mit dem Alienfilm »District 9« anschauen. Nun droht vielen Menschen erneut die Vertreibung. Kommentarlos zeigt der Film eine Großmutter, wie sie neben ihren Enkeln sitzt und ihnen Bilder aus ihrer Kindheit aus dem ursprünglichen District Six zeigt. Auf die Frage ihrer Enkelin, was denn aus ihnen werden soll, wenn sie ihre Wohnung verlassen müssen, weiß die Frau keine Antwort. »Die Geschichte wiederholt sich«, sagt Ashraf an anderer Stelle.
Neben Ashrafs und Mnes Engagement gegen Privatisierung und Zwangsräumungen geht es um den ganz alltäglichen Kampf ums Überleben im Township. Der 25jährige Arnold arbeitet für einen Monatslohn von umgerechnet 185 Euro von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens als Wachmann in einer der zahlreichen gated communities der reichen Südafrikaner. Die 36jährige Zoliswa hingegen muss nicht nur für sich, sondern auch für ihre Kinder sorgen. Um ihnen eine Zukunft zu ermöglichen, sucht sie dringend nach einer Stelle als Haushälterin.
Alexander Kleider und Daniela Michel gelingen eindrucksvolle und in ihrer Drastik manchmal groteske Momentaufnahmen. Regelrecht brutal wirkt die Gegenüberstellung von Arm und Reich. Gerade noch sitzt Zoliswa in ihrer Wellblechbaracke und spricht von ihrer Angst um die Zukunft der Kinder, kurz darauf steht sie vor ihrer neuen weißen Arbeitgeberin in einem Haus mit Glasveranda und Swimmingpool und wird gefragt, ob sie weiß, wie man das Silberbesteck putzt. Auch ein Gespräch zwischen Arnold und einem Freund über den Alltag des Nachtwächters wirkt eindringlich. Es geht darum, wie man nachts am besten seine Taschenlampe trägt – um nicht erschossen zu werden. Es sind diese Momente, in denen der Film besonders eindeutig ist, in denen klar wird, was ein Leben in Südafrika in Armut bedeutet.
Die Apartheid hat bei Ashraf und Mne Spuren hinterlassen. Sie berichten von ihrer Kindheit und Jugend in den siebziger Jahren – einer Zeit von Aufständen und blutigen Straßenkämpfen. Um zu verhindern, dass die Kämpfer sofort erschossen werden, schickten sie die Kinder an die vorderste Front. »Doch es funktionierte nicht«, sagt Ashraf, »viele starben.« Sein Freund Mne berichtet davon, wie er gefoltert wurde, und davon, was die eigenen Leute denjenigen antaten, die unter der Folter zu »Verrätern« wurden: So genannte informer wurden von der damaligen Widerstandsbewegung und der heutigen Regierungspartei, dem African National Congress (ANC), bei lebendigem Leibe mit Autoreifen verbrannt. »Niemand spricht heute darüber«, sagt er.
Es sind zum Teil harte Szenen, die die Regisseure dem Zuschauer präsentieren. Dennoch geht es hier nicht darum, nur Betroffenheit zu produzieren. Die Protagonisten sind jederzeit Akteure, die trotz widrigster Umstände für ein besseres Leben kämpfen. Der Film ist ein beeindruckendes Plädoyer dafür, nicht aufzugeben. Man erfährt, dass es im Township Solidarität gibt, man sieht spielende Kinder und entdeckt in poetischen Bildern auch die Schönheit der südafrikanischen Natur.
Dennoch lässt der Film einige Fragen offen. Kleider und Michel haben in ihrem Film gänzlich auf einen erklärenden Kommentar aus dem Off verzichtet. Der Zuschauer wird daher regelrecht in die Handlung hineingeworfen. Er muss sich innerhalb der Erzählstränge den Kontext selbst zusammenreimen und sich irgendwie zurechtfinden. Über die Hintergründe erfährt man oft verwirrend wenig. Was präsentiert wird, sind in erster Linie Realitätsfragmente – einzelne Schnipsel, die eine weitere Beschäftigung mit den Themen erfordern. Doch das scheint intendiert. Bei einigen Vorführungen werden Ashraf und Mne von der AEC anwesend sein und von ihrer Arbeit berichten. Zudem soll zwischen den Zuschauern, den Filmemachern und den Protagonisten des Films mittels einer Facebook-Group und eines Filmblogs eine Interaktion gefördert werden. Die Regisseure erhoffen sich dadurch »fruchtbare Kontroversen« und wollen durch diese Vernetzung »das Kino als einen Raum sozialer Interaktion stärken«.
»When the Mountain meets its Shadow« beleuchtet die Schattenseite der Rainbow Nation. Die Apartheid hat nicht nur mentale Spuren hinterlassen, die die einzelnen Communities – auch die der Schwarzen und Farbigen – weiterhin voneinander trennen. Der Film zeigt: Die Trennung findet durch die dem Kapitalismus innewohnenden Ungleichheiten eine gewisse Fortsetzung. Die gesellschaftliche Spaltung schreibt sich unter neuen Bedingungen fort.

»When the Mountain meets its Shadow«. Dokumentarfilm von Alexander Kleider und Daniela Michel. Ab März im Kino. Termine unter