Über die geplante Einführung von »Deutsch-Garantie-Klassen«

Die neue D-Klasse

Die Berliner Schulverwaltung plant die Einführung von Schulklassen, in denen ein überproportional hoher Anteil der Kinder einen deutschen Hintergrund hat. Die Stadt möchte sich mehr um die Mittelschicht bemühen. Die Vertretungslehrer an den Berliner Schulen gehören wohl nicht dazu, sie arbeiten für geringe Honorare.

»Mir macht das nichts aus«, sagt Paco Marquez* und bezieht sich mit diesen Worten auf die bisweilen recht aggressive Atmosphäre in seiner Wohngegend, dem Berliner Wedding, »aber meine Tochter lasse ich hier nicht einschulen. Ich schicke sie rüber zum Prenzlauer Berg.«
Marquez und seine Frau leben schon seit über 20 Jahren in Deutschland, stammen jedoch ursprünglich aus Peru, sie sind also Migranten. Der hohe Migrantenanteil an der Bevölkerung im Wedding behagt ihnen nicht. Das scheinbare Paradoxum erklärt sich durch ihren Wunsch, dass ihr Kind eine gute Zukunft haben soll. Und die ist ohne eine abgeschlossene Schulbildung und die souveräne Beherrschung der deutschen Sprache nicht zu haben, das sehen sie ganz realistisch.

Dass die Kleine in einer Weddinger Grundschule mit mehr als 85 Prozent Migrantenanteil und vielen Schulabbrechern sehr viel Deutsch sprechen wird und sich sprachlich gut entwickeln kann, bezweifelt nicht nur Paco Marquez. Seine Skepsis teilen mittlerweile so viele Eltern von Weddinger Schulanfängern, dass sich die Schulen im Bezirk Mitte, zu dem der Wedding gehört, nun etwas Neues ausgedacht haben, um die Abwanderung von Kindern aus sogenannten bildungsnahen Familien in andere Bezirke zu verhindern. Jede Grundschule in Berlin-Mitte soll in den nächsten Jahren, möglichst schon zu Beginn des kommenden Schuljahres, eine »Deutsch-Garantie- Klasse« einrichten, wo mehr als die Hälfte der Kinder Deutsch als Muttersprache haben soll.
Es soll auch eine Englisch-AG ab der ersten Klasse und zusätzlichen naturwissenschaftlichen Unterricht geben, so der Berliner CDU-Schulpolitiker Frank Knape im Tagesspiegel, der sich sicher ist, dass mit diesen Maßnahmen viele Eltern aus der deutschen Mittelschicht für das Experiment in Weddinger Grundschulen geworben werden können. In den »Deutsch-Garantie-Klassen« möchte man also alle noch verbliebenen Kinder mit deutschem Hintergrund versammeln, und die Kinder in den anderen Klassen können dann sehen, wo sie bleiben.

Jeder Versuch, der in den vergangenen Jahren von Berliner Schulen bzw. der Berliner Schulverwaltung initiiert wurde, um an der dort herrschenden Schulmisere etwas zu ändern, war derart unintelligent, dass man sich wundert, warum noch keine personellen Konsequenzen gefordert worden sind. Die Idee, alle deutschen Kinder innerhalb einer Grundschule in einer Art Eliteklasse zu sammeln, die der Reputationssteigerung dienen soll, während die Kinder in den anderen Klassen fast überhaupt kein Deutsch mehr hören, ist da nur das letzte Glied einer Kette, die fast ausschließlich aus Skandalen besteht.
So berichtete die Berliner Zeitung, einige Tage bevor einzelne Grundschulen mit »Deutsch-Garantie-Klassen« zu werben begannen, besorgniserregend, dass die Zahl der Berliner Drittklässler, die die Versetzung nicht schaffen und ein Schuljahr wiederholen müssen, gestiegen sei. Die Zeitung, die sich ansonsten sehr aufgeschlossen gegenüber vorgeblich linksliberalen oder grünen Experimenten gibt, vermutete, dass das sogenannte Jahrgangsübergreifende Lernen (JüL) für diese Entwicklung verantwortlich sein könnte. Dieses Unterrichtsmodell wurde vor vier Jahren eingeführt, und seitdem werden die meisten Berliner Grundschulkinder der ersten, zweiten und manchmal auch der dritten Klasse einfach gemeinsam unterrichtet.
Eltern vermuten hingegen, und auch Paco Marquez scheint ähnlicher Ansicht zu sein, dass das JüL, das ihnen als reformpädagogisches Konzept verkauft werden soll, weniger mit Reformpädagogik als vielmehr mit Sparzwang zu tun hat. Genauer gesagt, mit dem Unwillen der Berliner Senatsverwaltung, für jede Klassenstufe auch ausreichend Lehrkräfte einzustellen.
Von diesen wird seit einigen Jahren »Binnendifferenzierung« verlangt, das neue pädagogische Schlagwort angesichts knapper Kassen. Lehrer, die darauf hinweisen möchten, dass die Bedürfnisse eines neunjährigen Mädchens andere sein könnten als die eines sechsjährigen Jungen, tun gut daran, diese Ansicht für sich zu behalten, sofern sie nicht als hoffnungslos altmodisch, unaufgeschlossen und inkompetent gelten möchten.
Sie tun auch gut daran, ihre Lehrtätigkeit mit einem ausreichenden finanziellen Guthaben anzutreten, zumindest, wenn sie als Vertretungslehrer tätig sind. Denn viele von ihnen hätten Mitte März ihr Gehalt für den Januar noch immer nicht erhalten, so die Berliner Zeitung, die die schlechte Zahlungsmoral der Berliner Bildungsverwaltung beklagte, die zwar Englisch-AGs für Sechsjährige konzipiere, deren Leiter und Leiterinnen aber mehr als sechs Wochen auf ihr Gehalt warten müssten. Vielleicht geht man bei der Berliner Schulverwaltung davon aus, dass, wer sich Sorgen um seine Miete machen muss, ein ganz besonderes Verständnis für die Nöte und Ängste eines Großteils seines schulischen Klientels aufbringen kann. Denn nach dem Motto »Möglichst knapp halten!« handelt auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Es ist für die Finanzierung der Integrationskurse für Neueinwanderer zuständig, die seit dem 1. Januar 2005 obligatorisch sind. Auch das BAMF fordert von den Integrationslehrern die Fähigkeit zur »Binnendifferenzierung«, denn es ist billiger, einen Ägyptologen aus Griechenland gemeinsam mit traumatisierten und illiteraten Flüchtlingen aus einem Krisengebiet unterrichten zu lassen, als homogene Gruppen einzurichten, die den unterschiedlichen Bedürfnissen eher entgegenkämen.

Das BAMF hat im vergangenen Jahr als Mindesthonorar 15 Euro brutto für jede auf Honorarbasis geleistete Unterrichtsstunde (inklusive Vor- und Nachbereitung) empfohlen. Mit dem Resultat, dass sich seitdem die Honorare nicht nur in den Integrationskursen, sondern darüber hinaus in zahlreichen weiteren Zweigen der Erwachsenenbildung bei 16 Euro eingependelt haben: Nur 16 Euro pro Unterrichtseinheit in Deutsch als Fremdsprache zahlt mittlerweile sogar das renommierte Sprachinstitut DiD (Deutsch in Deutschland), zu dessen Klientel in erster Linie Doktoranden und Studienanwärter aus Europa und Amerika zählen und das Filialen in Frankfurt, München und Hamburg unterhält.
Dieses Honorar bedeutet, dass der oder die Unterrichtende täglich sieben Unterrichtsstunden geben muss, plus der unbezahlten Vor- und Nachbereitungszeit, um – 20 Arbeitstage vorausgesetzt – im Monat auf 2 240 Euro brutto zu kommen, wovon wiederum – bei Honorarkräften ist das so – rund die Hälfte an Steuern, Renten- und Krankenversicherungsbeiträgen abgeht. Urlaubs- und Krankheitszeiten werden auch nicht bezahlt.
Ein Studium der Erwachsenenpädagogik oder des Studiengangs Deutsch als Fremdsprache haben dadurch aufgehört, eine erwägenswerte Berufsperspektive zu sein. Ansonsten herrscht Lehrermangel, zumindest in Berlin. Und Paco Marquez ist es egal, »was die da oben sich gerade einfallen lassen«. Seine Tochter bringt er nach Prenzlauer Berg.

* Name von der Redaktion geändert