Ostermarsch von Rechts. Nazis trauern um »Opfer ausländischer Gewalt«

Nationale Pilgerfahrt

Auch dieses Jahr marschierten Neonazis zu Ostern bei Aachen auf, um der »Opfer ausländischer Gewalt« zu gedenken. Der »Trauermarsch« soll fester Bestandteil im Jahreskalender der Rechten werden.

Eine »Show« zögen die Neonazis ab, empört sich der Vater eines Berufsschülers, der vor zwei Jahren in Stolberg bei Aachen von einem Migranten erstochen wurde. »Es ist eine bodenlose Frechheit, was diese Unmenschen sich herausnehmen! Auf den Plakaten und den Aufklebern ist das Gesicht meines Kindes abgebildet«, schreibt er über die Neonaziaufmärsche, die seit dem Tod seines Sohnes regelmäßig in der Kleinstadt stattfinden. Die Neonazis würden seiner Familie dem ohnehin erlittenen »Schmerz immer wieder neues Leid« hinzufügen.
Auch am Osterwochenende war die Kleinstadt im Westen Deutschlands einmal mehr Ziel einer Pilgerfahrt von Neonazis aus ganz Deutschland und den Nachbarländern. Am Karfreitag versammelten sich rund 230 Neonazis zu einem »Fackelmarsch« in der Innenstadt. Tags darauf erschienen knapp 500 und marschierten von einem abgelegenen Stadtteilbahnhof aus zu dem am Innenstadtrand gelegenen Tatort. Dort hielten sie abermals »Andacht« mit Ritualen, die teils an das nationalsozialistische »Heldengedenken« erinnerten. Verhindern konnte man den Neonaziaufmarsch erneut nicht, auch wenn an beiden Tagen Hunderte Menschen dagegen demonstrierten, darunter Bürgermeister Ferdi Gatzweiler (SPD), Städteregionsrat Helmut Etschenberg (CDU) sowie Vertreter von Parteien, Vereinen, Kirchen, Jugendverbänden und der Antifa. Die »Datenantifa« hatte zudem die rechte »Trauermarsch«-Homepage gehackt und deren Inhalte ersetzt. Sie wies dabei darauf hin, dass die Neonazis die Gefühle der Angehörigen »vergewaltigen« würden.
Der Mythos vom »Märtyrer der Bewegung« entstand schon wenige Stunden, nachdem der Berufsschüler aus dem benachbarten Eschweiler in der Nacht des 4. April 2008 im Zuge eines eskalierenden Streits unter Jugendlichen von einem 18jährigen Migranten erstochen worden war. Neonazis und NPD-Leute aus der Region – darunter der Organisator der Aufmärsche und Chef des NPD-Kreisverbandes Düren, Ingo Haller – hatten das Opfer über Telefon- und Mailketten fälschlich zum »Kameraden« ernannt. Diese Mär geistert zum Teil bis heute durch die Szene, was auch die Anziehungskraft der »Trauermärsche« sowie die europaweite Emotionalisierung und Mobilisierung erklärt.
Bereits rund 15 Stunden nach der Tat waren 170 Neonazis aufmarschiert. Noch im selben Monat pilgerten einmal 800 und einmal 450 Neonazis (darunter NPD-Chef Udo Voigt) nach Stolberg. Am 3. April und 4. April 2009 waren es etwa 80 bzw. 530. Die Redebeiträge und Sprechchöre sind dabei stets von aggressivem, bisweilen mörderischem Hass auf alles Fremde und die Demokratie geprägt. Der Mitorganisator und Pulheimer Neonazi Axel Reitz etwa rief am Karfreitag den »lieben Kameradinnen und Kameraden« zu, eines Tages werde man einen »Flächenbrand« entzünden, der »all das Kranke, all das Zersetzende, all das Dekadente aus unserem Volk« herausbrennen werde.

Sie wüssten manchmal nicht, ob sie wütender auf den Täter oder auf die NPD seien, hatten im Juni 2009 die Eltern des Erstochenen dem ARD-Magazin »Report Mainz« gesagt. Die NPD habe der Familie, den Freunden mit Migrationshintergrund und erst recht dem Opfer »die Würde und alles genommen«, sie habe der Familie das Leben »zur Hölle gemacht«. Reitz hatte sich daraufhin zu einer Stellungnahme an die Szene genötigt gesehen: »In typischer Gutmenschenmanier des Systems wird auf Einzelschicksale wie das der bedauerlichen Eltern (…) verwiesen.« Sicherlich könnten diese einem leidtun, so Reitz, aber das »sollte uns keinesfalls zu der irrigen Ansicht verleiten, dass das Gedenken (…) diskutabel wäre!«
Schon 2009 hatte ein Neonazi in einem Szeneforum prophezeit, »ähnlich wie Dresden« werde Stolberg »zum festen Termin« im rechten Aufmarsch-Kalender. Der NPD-Kader und »Trauer­marsch«-Organisator Haller, so stellt die Antifa Düren fest, habe damit eine Gelegenheit gefunden, »seinen Geltungsdrang in der NS-Szene auszuleben«. Hallers NPD-Verband schrieb in einem Aufruf gar, es sei »die Pflicht eines jeden Deutschen«, an »einem der bedeutendsten Protest- und Trauermärsche« teilzunehmen. Nur kurze Zeit nach dem diesjährigen Aufmarsch postete ein Neonazi in einem Webforum: »Stolberg ist dabei, in die Bundesliga der nationalen Demonstrationen aufzusteigen (neben Dresden, Bad Nenndorf und dem 1. Mai).«

Von dem als »Kamerad« titulierten Opfer selbst ist mittlerweile seltener die Rede. Heute wolle man des »abgeschlachteten, toten Volksgenossen« und »Gefallenen« stellvertretend für alle anderen Deutschen gedenken, die durch »antideutsches Gesindel« ums Leben gekommen seien, verkündete Reitz den Neonazis am Ostersamstag. Auch in den kommenden Jahren solle das in der »von Immigranten besetzten Stadt« geschehen, wie Haller die Kleinstadt in seiner Rede am gleichen Tag umschrieb. Das Mitglied im NPD-Landesvorstand NRW nannte dabei die Gegendemons­tranten »Kreaturen«.
Deutschland, forderte Haller außerdem, müsse wieder werden, was es einmal gewesen sei: »Ein Volk, ein Reich, eine Einheit!« Dieter Riefling, Altneonazi und Mitinitiator der rechten Bürgerini­tiative für Zivilcourage (BfZ) in Hildesheim, sagte am Sonnabend in seiner Stolberg-Rede, der »na­tionale Widerstand« sei die »letzte Bastion des deutschen Volkes« und werde so lange kämpfen, »bis der Sieg unser ist«. Man trete den »Ausländerhorden« entgegen, indem man vor der »eigenen Haustür« kehre. »Und wenn uns die Möglichkeit gegeben wird, werden wir den ganz groben Besen aus der Ecke holen«, so Riefling. Die 500 »Kameraden« stimmten schließlich die Parole »Nie wieder Krieg nach unserem Sieg« an.
Auch wenn Haller als Anmelder fungiert und der NPD-Landeschef Claus Cremer am Samstag als Redner an Ort und Stelle war – es sind eher die radikalen, militanten Kräfte, die die Szenerie bestimmen. So sehr auch diese Neonazis und »Autonomen Nationalisten« (AN) subkulturell oder popmodern wirken wollen, gedanklich hängen sie dem historischen Vorbild an. So stimmten die AN am Ostersamstag, kurz bevor sie – fremdenfeindliche Parolen skandierend – an Migrantenhäusern vorbeizogen, Zeilen aus dem Pflichtlied der Hitlerjugend, »Ein junges Volk steht auf«, an. Gut 40 Minuten später wird derselbe »NS-Block« den Polizisten, die versuchen, einige Antifaschisten abzudrängen, zubrüllen: »Schlagt den Roten die Schädeldecke ein!«