In Hamburg wird über die Zukunft des Gängeviertels verhandelt

Besetzer mit Marketingkompetenz

Das Hamburger Gängeviertel soll zu einem Kunst- und Kulturquartier umgebaut werden. Die Initiative »Komm in die Gänge« und die Stadt haben sich nun auf eine aktive Zusammenarbeit geeinigt.

»Synergien nutzen« – »Ehrenamtliche Arbeit als Kostenersparnis« – »Wir bieten der Stadt ein Geschenk.« Derartige Sätze fielen auffallend häufig während der Power-Point-Präsentation der Ini­tiative »Komm in die Gänge«. In schönster Marketingsprache stellten Vertreter und Vertreterinnen der Initiative am Samstag ihr Nutzungskonzept für die zwölf Häuser in innenstadtnaher Lage vor.
Die eigenen Belange, wie die mangelnde Bereitstellung von Räumen für Künstler durch die Stadt, oder das Desinteresse an hamburgischen Kunstproduktionen, sind mittlerweile kein Thema mehr. Denn die Stadt Hamburg hat den kreativen Wert des im August besetzten Gängeviertels erkannt und schätzt das Engagement. Und auch, wie wenig es im Vergleich zu den Prestigeprojekten Elbphilharmonie oder Hafencity kostet.

Bei der Besetzung des Viertels ging es darum, Abrisspläne und Luxussanierungen zu verhindern. Mit ihren kulturellen Veranstaltungen konnte die Initiative möglichen Investoren Konkurrenz machen und kam medial und politisch so in Gang, dass sie ihr Nutzungskonzept »Komm in die Zukunft« nennen konnte. Denn eine Zukunft hat sie jetzt. Bereits im Dezember kaufte die Stadt Hamburg die an den holländischen Investor Hanzevast übertragene Fläche für 2,8 Millionen Euro zurück. Am Freitag voriger Woche legte die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) erstmals ein Papier über »Eckpunkte und Überlegungen zur Nutzung« vor, das auf den ersten Blick den Vorstellungen der Künstler und Künstlerinnen entgegenzukommen scheint.
Für Wohnraum, Werkstätten und Ateliers stehen 70 Prozent, für künstlerisch passende Gewerbetreibende 20 Prozent der Fläche zur Verfügung. Auf den restlichen zehn Prozent soll ein soziokulturelles Zentrum entstehen. Beide Seiten sind sich darüber einig, dass das Grundstück in städtischer Hand verbleiben soll. Durch Fördermittel der EU, des Bundes und der Wohnungsbaukreditanstalt sollen die Häuser denkmalgerecht saniert werden. Ein Architekt der Initiative erhielt schon Anfragen von Ausbildungsträgern, die helfen wollen, die Fassaden instand zu setzen; auf dieses Angebot möchte die Initiative gerne zurückgreifen.
Das Gängeviertel besitze nun Modellcharakter und habe ein großes Umdenken ausgelöst, beurteilt Till Wolfer den erreichten Forschritt. Seit Monaten bemüht er sich mit anderen in der Verhandlungsgruppe der Initiative, bei der Stadt für ihre Interessen zu werben. Christine Ebeling, die Pressesprecherin, sieht das Gängeviertel mittlerweile als Quelle für Motivation und für Mut zum Handeln. Und gehandelt werden musste aus Sicht der Künstler, viele drohten, nach Berlin oder Leipzig abzuwandern, wo es bessere Arbeitsbedingungen für sie gibt.

»Kreative Milieus und offene Räume in Hamburg« heißt nun die Formel, die auch in einer im Janu­ar von der BSU herausgegebenen Studie übernommen wurde. In Anlehnung an die Schriften des US-amerikanischen Stadttheoretikers Richard Florida soll die Entwicklung einer »kreativen Klasse« ermöglicht werden, ein Aushängeschild, das neben anderen Faktoren, wie einer offenen Schwulenszene, die Attraktivität einer Großstadt steigere. Bunt und lebendig soll die Marke Hamburg sein, in die sogar die Hafenstraße und die Rote Flora passen. Die wesentlich handzahmeren Künstler werden noch schneller und mit eigenem Zutun für die Stadtbelebung eingespannt. Ein kulturelles Erlebnisviertel und kreativer Freiraum sollen in Selbstverwaltung entstehen. »Wer wen instrumentalisiert, wird sich auf lange Sicht zeigen«, meint Wolfer. »Auf keinen Fall sollen hier, wie in Berlin, die zweiten Hackeschen Höfe hochgezogen werden«, sagt er und betont, dass das Gängeviertel auch ein Ort für soziale und poli­tische Bewegungen sein soll.
Ein hohes Maß an Offenheit garantiert der Pressesprecher der BSU, Enno Isermann, der Initia­tive. Dementsprechend sind die vorgelegten »Eckpunkte« ein roter Faden für die Sanierung und Bespielung des Viertels, der viel Raum lässt für Nachverhandlungen und Auseinandersetzungen. Und die werden kommen, sollte die Initiative an ihrem Wunsch nach einer Selbstverwaltung des Gängeviertels festhalten. »Es besteht eine Notwendigkeit, feste Strukturen zu suchen, die langfristig tragen, auch unabhängig von der Struktur, die aktuell da läuft«, sagt Isermann, der nur einer teilweisen Selbstverwaltung zustimmt. Gewerbeflächen zu den marktüblichen Preisen und sozialer Wohnungsbau sollen entstehen.

Wie soziale Projekte diese Gewerbemieten tragen sollen, bleibt offen. Geklärt ist hingegen die Vergabepraxis der Ateliers von Seiten der Initiative. Gremien, die nicht nur mit Bewohnern und Mitgliedern der Initiative, sondern auch mit Vertretern externer Stellen, wie Stiftungen, besetzt werden sollen, entscheiden anhand von eingereichten Bewerbungsmappen über eine Zusammenarbeit. Das einzige und sehr vage formulierte Kriterium dafür soll die Verschiedenartigkeit sein. Angetreten ist die Initiative »Komm in die Gänge« gegen eine Durchökonomisierung der Städte, angekommen ist sie nun bei Überlegungen zu Wirtschaftlichkeit und einem ansprechenden Kulturbetrieb zur Stadtverschönerung. Schade eigentlich.