Die Proteste der Oppositionsbewegung in Thailand

Aufstand in der Roten Zone

Weiterhin besetzen die Rothemden das Zentrum der thailändischen Hauptstadt. Einst gegründet zur Unterstützung des gestürzten Premierministers Thaksin, kämpft die Oppositionsbewegung nun gegen die royalistische Oligarchie.

Derzeit ist es ruhig in der Innenstad t Bangkoks, doch in dieser Woche werden weitere Proteste erwartet. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen in der thailändischen Hauptstadt waren am vorvergangenen Wochenende 25 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden. Im Ausland werden die Unruhen mit Sorge betrachtet. Außenminister Guido Westerwelle rät deutschen Touristen, Demonstrationen zu meiden. Man hofft auf die Beruhigung der Verhältnisse. Doch das Wichtigste geht in der Berichterstattung oft unter. Die »Rothemden« haben einen ungeheuren Sieg errungen.
Nach wochenlangen Demonstrationen der Rot­hemden von der Einheitsfront für Demokratie gegen Diktatur (UDD) hatte Premierminister Abhisit Vejjajiva, der die Proteste zunächst aussitzen wollte, seine Strategie gewechselt. Dass die Rot­hemden am 6. April das Parlament stürmten, nahm er zum Anlass, um den Ausnahmezustand zu erklären. Damit hatte er eine rechtliche Grundlage, die »roten« Medien (u.a. das People’s TV und viele unabhängige lokale Radiosender) sowie etliche Websites, auch die sehr kritische prachatai.com, zu schließen, Haftbefehle gegen führende Aktivisten zu erlassen und die Demons­trationen der Rothemden gewaltsam aufzulösen.

So rückten Tausende von Soldaten am 10. April vor, um die Kundgebung an der Phan-Fa-Brücke auseinanderzutreiben. Dafür setzten sie zunächst Tränengas und Gummigeschosse ein. Doch schon am Demokratiedenkmal in der Ratchadamnoen-Allee leisteten die Rothemden erbitterten Widerstand. Sie bewarfen die Truppen mit Wasserflaschen, Stöcken, Steinen, Stühlen und Molotow-Cocktails und blieben auch standhaft, als zuerst über ihre Köpfe und dann scharf in die Menge geschossen wurde.
Die Militanz der Rothemden war erstaunlich. Nicht nur, dass einzelne wohl auch bewaffnet waren und zurückgeschossen haben. Sie konnten etliche Polizeischutzschilder und sogar Waffen von den Soldaten beschlagnahmen und einige Panzer und Humvee-Geländewagen unschädlich machen. Die Armee zog sich wieder zurück.
Die Bilder, die durch diesen Sieg produziert wurden, sind in ihrer Symbolik kaum zu übertreffen. Am Demokratiedenkmal konnte man in den folgenden Tagen verlassene und mit Graffiti verschönerte Panzer bestaunen und beklettern. Das Denkmal selbst ist mit Hunderten von Sprüchen und Kunstwerken bemalt worden, die Bürger haben es sich gewissermaßen wieder angeeignet. In einem traurigen, aber sehr entschlossenen Siegeszug haben die Rothemden ihre Toten am Sonntag in roten Särgen durch die Stadt getragen. Sie zeigten damit, dass sie dem Demonstrationsverbot nach wie vor trotzen.
Dass die Rothemden in bürgerkriegsähnlichen Kämpfen das Militär besiegten, liegt aber nicht nur an ihrer Militanz, sondern auch an ihrem Rückhalt in der Bevölkerung und ihrem systematischen Bestreben, sich mit einfachen Soldaten und Polizisten zu verbrüdern. Bereits im März wurden die ankommenden Demonstranten mit Begeisterung empfangen, die Autokolonne am 21. März mit 10 000 Motorrädern und 6 500 Autos geriet zur Siegesparade. Überall säumten Menschen die Straßen, sie winkten und jubelten den Demonstranten zu. Damit wurde eindrucksvoll bewiesen, dass die Rothemden nicht nur in der Provinz den Ton angeben, sondern auch in der Hauptstadt vor allem bei der Arbeiterklasse eine breite Unterstützung haben.

Auch bei der Polizei gibt es viele Rothemden. Als Institution gehört sie tendenziell zum Lager des im Jahr 2006 gestürzten Premierministers Thaksin Shinawatra, eines ehemaligen Polizeikadetten. Nach erfolglosen Einsätzen mit Wasserwerfern und Tränengas wurde sie offiziell von ihrer Rolle als Knüppelgarde befreit und nur noch für Verkehrskontrollen und dergleichen eingesetzt. Die Rothemden glauben, dass auch 70 Prozent der einfachen Soldaten auf ihrer Seite stehen. Sie sprechen von »Wassermelonen-Soldaten«, die außen grün, aber innen rot seien. Die Oppositionellen suchten auf den Demonstrationen daher immer wieder den direkten Dialog mit ihnen – eine Strategie, die sich nach wochenlangem Einsatz bezahlt machte. Immer wieder konnten Rothemden Fahrzeuge und Panzer umzingeln und die Soldaten gewaltlos entwaffnen. Zu direkten Verbrüderungsaktionen soll es auch gekommen sein, das war sicher ein wichtiger Grund für den Rückzug der Armee.
Die Stärke der Rothemden zeigt sich auch in der »Roten Zone«. Seit den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua im Jahr 2001 wird darunter meist der von Demonstranten freigehaltene Raum um einen Konferenzort verstanden. Doch in Bangkok ist sie eine »befreite Zone« von Straßen um den Kundgebungsort Ratchaprasong, mitten im Geschäftsviertel der Hauptstadt. Die Zone wird von Autos und Rotgardisten (Ordnern) abgesperrt, drinnen sind die Straßen frei von Fahrzeugen und Polizisten. Menschen schlafen hier, kochen, unterhalten sich oder hören den vielen Reden zu. Dass die Zone tagsüber relativ leer bleibt und sich erst am Abend füllt, ist ein weiteres Zeichen dafür, dass die Proteste inzwischen maßgeblich von Menschen aus Bangkok selbst getragen werden. Dass die Rote Zone nach den Krawallen überhaupt noch besteht, zeigt die Stärke der Bewegung.
Während die Rothemden triumphieren, offenbart sich nach der Gewalttätigkeit nun auch die Schwäche des herrschenden Regimes. Premierminister Abhisit bestritt, dass Soldaten mit scharfer Munition geschossen hätten, und machte stattdessen »Terroristen« unter den Rothemden dafür verantwortlich. Damit keine Missverständnisse aufkommen, hat die Königin die Beerdigung des getöteten Oberst Romklao Thuwatham mit ihrer Präsenz gesegnet, während Mitglieder der königlichen Familie der Ehrung der gefallenen Rothemden am Demokratiedenkmal fernblieben.
Die Hauptforderung der Opposition ist die Auflösung des Parlaments. Das Problem Abhisits und des königlichen Netzwerks um den ehema­ligen General Prem Tinsulanonda ist, dass die Rot­hemden die dann folgenden Wahlen wohl gewinnen würden. Nach dem Putsch im Jahr 2006, der richterlichen Auflösung von zwei Nachfolgeregierungen Thaksins, der Verschärfung der Medienzensur, zahlreichen Verfahren gegen Kritiker wegen Majestätsbeleidigung und ähnlichen Maßnahmen ist die Oppositionsbewegung stärker denn je. Dem herrschenden Regime bleibt nur noch die Repression. Wenn diese nicht funktioniert oder gar zu einer Zersetzung der Armee führt, ist es am Ende. Deswegen werden die Töne, mit denen man offiziell gegen die Rothemden polemisiert, immer schriller.

Besonders unrühmlich ist dabei die Rolle der Volksallianz für Demokratie (PAD), in der ehemalige Demokratieaktivisten wie Suriyasai Katasila ursprünglich eine breite Bewegung gegen Thaksin anführten, bevor sie in den Royalismus abglitt. Suriyasai, nun Geschäftsführer der »gelben«, also royalistischen New Politics Party, erklärte, die Anführer der Rothemden seien »Terroristen«, die auch mit dem internationalen Terrorismus unter einer Decke stecken würden. Er fordert die Verhängung des Kriegsrechts und ein konsequentes Vorgehen gegen die Rothemden.
Es mehren sich die Anzeichen, dass Abhisit dieser Forderung folgen könnte, von der die Rot­hemden sich fragen, ob sie eine Anweisung »von oben« sei. Der Premierminister übertrug die Verantwortung für die Unterdrückung der Proteste inzwischen direkt dem Armeechef Anupong Paochinda, dessen Soldaten gerade das Businessviertel Silom gegen die Rothemden »verteidigen«. Dabei kann Abhisit nur verlieren. Wenn die Rothemden trotz der Militärpräsenz in der Stadt bleiben und weiter protestieren, zeigt dies, dass er den verhängten Ausnahmezustand nicht durchsetzen kann. Richtet das Militär hingegen ein Massaker an, ist der letzte Rest politischer Legitimation dahin. Es sind die Todeszuckungen eines Systems, in dem eine vom Militär gestützte königliche Oligarchie hinter den Kulissen die Fäden zog und sich auf Kosten der Bevölkerung bereicherte.
Doch was kommt dann? Die Forderung der Rot­hemden nach Neuwahlen scheint sich in der Wiederherstellung einer bürgerlichen Demokratie zu erschöpfen. Da sie zudem meist Anhänger Thaksins sind, bleibt die Frage, wie progressiv diese Bewegung sein kann. Die Aushöhlung der Demokratie in der Amtszeit des Milliardärs war ja gerade ein Grund für die Entstehung der Anti-Thaksin-Bewegung im Jahr 2006.
Anders gefragt: Wie rot sind die Rothemden? Während man vor einem Jahr eindeutig nicht von einer linken Bewegung sprechen konnte (Jungle World 15/09), muss man nun die ungeheure Entwicklung in der Opposition anerkennen. Erstens hat sich die Unterstützung Thakins zu einer prinzipiellen Verteidigung der Demokratie gewandelt. Zweitens ist aus der Befürwortung von Thaksins sozialen Programmen ein diffuses Klassenbewusstsein entstanden, das gegen die »Aristokratie« gerichtet ist. Die Kombination aus beidem lässt sich vielleicht als »republikanische Bewegung von unten« bezeichnen. Drittens sind aus passiven Wählern Thaksins streitbare Aktivisten geworden, die sich selbst durch ihre Taten und ihre Erfahrung mit Staatsmacht, Medien und königlichen Interventionen radikalisiert haben. Insgesamt ist es zu einer Politisierung und gesellschaftlichen Demokratisierung gekommen, die auch in einem postmonarchischen System eine progressive Wirkung entfalten könnte.