In Hessen wird die »gelbe Karte« für Jugendliche eingeführt

Bloß nicht zu viel Scheiße bauen, Jungs!

Die Einführung der »gelben Karte« für Jugendliche in Hessen gibt einen Vorgeschmack auf das, was hierzulande für zeitgemäße Sozialpädagogik gehalten wird.

Das amtliche Schreiben, das der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) in der vergangenen Woche mit dem Grinsen eines jugendfreundlichen Gymnasiumsdirektors in die Kameras hielt, enthält keine Belobigung, sondern eine Verwarnung. Es nennt sich »gelbe Karte« und soll jungen Menschen, die in Wiesbaden künftig durch unmäßigen Alkoholkonsum, Behinderung des Verkehrs oder Randale auffallen, Angst machen. Zu diesem Zweck droht es eine Maßnahme an, die für ortsansässige Jugendliche, die sich Tag für Tag der geleckten Ödnis der hessischen Landeshauptstadt und der Borniertheit ihrer Bewohner ausgesetzt sehen, wohl tatsächlich dem Verlust der Identität nahekommt: die Verweigerung des Führerscheins.
Die städtische Führerscheinstelle teilt den Betroffenen in dem gelben Brief mit, eine Wiederholung der ihnen zur Last gelegten »Auffälligkeiten« könne »den Erwerb der Fahrerlaubnis wesentlich erschweren oder gar ausschließen«. Wer bereits einen Führerschein hat, dem kann dieser entzogen werden. In Baden-Württemberg, Niedersachsen und Bayern wurde die »gelbe Karte« bereits erfolgreich getestet. Wiesbaden übernimmt als erste hessische Kommune das Programm, im Juni soll der Stadt- und Landkreis Fulda folgen.

Bouffier sieht in der »gelben Karte« ein Zusatzinstrument der Jugendgerichtsbarkeit und spricht ihr eine »Warnfunktion« zu. Juristisch abgesichert sei die präventive Maßnahme durch das Straßenverkehrsgesetz und die Fahrerlaubnisverordnung (FeV), in der festgelegt ist, dass Anwärter auf eine Fahrerlaubnis »nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze« verstoßen haben dürfen.
Dass im Falle von noch minderjährigen Jugendlichen die Daten über Trunkenheit oder sonstige Verstöße von der Fahrerlaubnisstelle möglicherweise über Jahre gespeichert werden, ist in den Augen der Verantwortlichen rechtlich unbedenklich. Auch dass das Delikt selbst dann registriert werden soll, wenn es lediglich polizeilich unterstellt, aber nicht gerichtlich festgestellt worden ist, bereitet den hessischen Landespolitikern keine Probleme. Sogar die Kritik der Grünen an Bouffiers Vorhaben beschränkte sich auf den routinierten Hinweis, seine Initiative bringe »nichts Neues«. Gerade das ist aber alles andere als ausgemacht.

Neu ist es nämlich schon, wenn juristische und sozialpädagogische Disziplinierungsformen in einer Maßnahme verschränkt werden, von der sich gar nicht mehr ohne weiteres sagen lässt, ob es sich nun um die Ahndung eines Rechtsverstoßes oder um eine staatliche Erziehungsmaßnahme handelt. Neu ist auch die populistische Metaphorik, mit der die Initiative von der Landesregierung beworben wird. »Gelbe Karten« haben im Fußball bekanntlich die Funktion, rüpelhaften Spielern zu signalisieren, sie mögen ihre Brutalität doch bitte ein wenig zügeln, wenn sie weiterhin Bestandteil des Teams bleiben wollen. In ähnlicher Weise legt die »gelbe Karte« den Jugendlichen, denen sie von ihrem Landesvater gezeigt wird, in paternalistischer Manier nahe, nicht mehr ganz so viel Scheiße zu bauen, wenn sie auch künftig zum Team Deutschland – Landesverband Hessen, Ortsverein Wiesbaden – gehören wollen. Die Ermahnung zur Mäßigung verbindet sich mit der kumpaneihaften Insinuation, dass Saufen und Prügeln zum Lebensalltag eines ordentlich pubertierenden Deutschen in der gleichen Weise gehören wie Blutgrätschen und Wadenkniffe zu einem unterhaltsamen Spiel. Man darf es nur nicht übertreiben und muss volksschädliche Asozialität von gemeinschaftsstiftender Rüpelei zu unterscheiden wissen. Mit dieser Verschränkung von Populismus und Disziplinierung ähnelt die »gelbe Karte« anderen aktuellen Volksgesundheitsprojekten wie der Initiative »Kenn dein Limit«, mit der die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Bürger überreden möchte, sich künftig nur noch in ihrer Eigenschaft als Volksgenossen zu betrinken, auf ungeregelte individuelle Exzesse aber zu verzichten.

Es wäre daher naiv, Initiativen wie der »gelben Karte« lediglich mit dem Hinweis auf den repressiven Staat zu begegnen, der den Bürgern hier einmal mehr seine gewaltsame Seite zeige. Vielmehr folgt die der »gelben Karte« zugrunde liegende Präventivpädagogik einer kalkulierten Mischung aus autoritärer Strafe und Komplizenschaft. Sie bedeutet den jungen Menschen, dass Vater Staat, der große Schiedsrichter, niemanden leichtfertig verloren gibt, solange nicht über die Stränge geschlagen wird. Ganz wie im Fußball ist die »gelbe Karte« in der Jugendpolitik Drohung und Schutzversprechen zugleich. Sie fordert diejenigen, die dabei sein wollen, unmissverständlich auf, ihre Kräfte nicht für Keilereien zu vergeuden, sondern mit ihnen zu haushalten wie der Geschäftsmann mit seinen Rücklagen. Blasse Schwächlinge, die sich nicht trauen zuzuschlagen, bekommen sie gar nicht erst gezeigt.