Der Film »Sin Nombre« von Cary Joji Fukunaga

Bewaffnete Kindheit

Prekarität ist auf dem Weltmarkt durchaus ein üblicher Zustand. Und keine Arbeitsmarktstatistik dieser Tage vergisst zu erwähnen, dass insbesondere die Jugend von Armut bedroht ist. Wie das in Mexiko, am Rande der Großwirtschafts­zone USA, aussieht und wo genau die Armut weh tut, davon handelt Cary Joji ­Fukunagas erster Spielfim »Sin Nombre«.

Der 18jährige Willy (Edgar Flores), Kampfname El Casper, ist Mitglied einer üblen Gang. Er hat eine Freundin (Diana Garcia), und das ist gefährlich: Denn alles, was den Mitgliedern der Gang gehört, ist in dieser neofeudalen Gesellschaftsform praktisch Eigentum des Anführers. Als rauskommt, dass das Mädchen zu Willy gehört, passiert das Unvermeidliche. In einer unglaub­lichen Szene wird sie von Mago (Tenoch Huerta) getötet. Sie hatte sich gegen ihre Vergewaltigung gewehrt: Schnell, effektiv und beinahe beiläufig wird hier gemordet.
Wie die Menschen haben auch ihre Namen nur begrenzte Haltbarkeit. Das sieht auch El Casper so. Seinen Kriegsnamen versucht er wieder loszuwerden, nachdem er sich an Mago ebenso schnell und beiläufig gerächt hat. Nun wird er von der gut vernetzten Gang-Jugend Mexikos gejagt, sein Kampfname El Casper steht als Graffiti auf den Wänden der Favelas.
Um mal längerfristig Zeichen zu setzen, tätowieren sich weibliche wie männliche Gang-Mitglieder den Namen ihrer Gruppe großformatig ins Gesicht. Das Hautgemälde ist Stigma und Ehrabzeichen gleichermaßen.
Aber man wird auch wiedererkannt. Und so setzen die Verfolger auf die Fähigkeiten eines ganz besonderen Profi-Killers: Smiley (Kristian Ferrer) ist nicht nur rücksichtslos, sondern auch gerade mal zwölf Jahre alt. Skrupel sind ihm fremd, Tattoos aber auch. Waffen kennt er, seit er laufen kann, und zur Not tut es ein Eisenrohr.
»Sin Nombre« ist ein durchaus zynischer Film, der mit den Schau- und Schauerwerten der Peripherie spielt. Die Logik des Lebens am Rande eines guten Lebens wird durch intelligente wie drastische Regiekniffe geschildert.
Erzählt wird von einer Realität, in der Kindlichkeit eine militärische Qualität ist, und oft folgt auf die Kindheit nicht einmal eine prekäre Jugend, sondern gleich der Friedhof.
»Sin Nombre« (USA/Mexiko 2009). Regie: Cary Joji Fukunaga. Darsteller: Edgar Flores, Paulina Gaitan u.a. Start: 29. April 2010