Das neue Album von Gil Scott-Heron, dem Urvater des Rap

Der Rapper, der nie einer war

Gil Scott-Heron hat sich mit seiner Mischung aus Soul, Funk, Blues und Sprechgesang in den siebziger Jahren einen Namen gemacht. Von ihm stammt der Song »The Revolution will not be televised«. Dann kamen die Drogen. Jetzt ist er wieder da.

Der Mann befand sich immer wieder mal am Abgrund. Er sah tief in den düsteren Schlund, sah die Sklavenschiffe, die Plantagen, den Rassismus, das Elend der Schwarzen in God’s own Country. Gil Scott-Heron sang die Wahrheit, wenn er seine Stimme erhob, um die fortwährende Ungerechtigkeit anzuprangern: »Ten years from now I’ll be payin’ still / while Whitey’s on the moon / The man just upped my rent last night / cause Whitey’s on the moon / No hot water, no toilets, no lights / but Whitey’s on the moon.« Er ließ das Elend um sich herum ungefiltert auf sich wirken und gab es an seine Hörer weiter. Und tut das nach einigen Gefängnisaufenthalten in den letzten zehn Jahren nun endlich wieder.
Zu verdanken ist das Richard Russell. Dem Produzenten gehört das Label XL Records, das bisher durch Acts wie die White Stripes, The Prodigy, Dizzie Razcal oder MIA aufgefallen ist. 2006 trafen sich Gil Scott-Heron und der Labelbetreiber im berüchtigten Gefängnis Rikers ­Island. Scott-Heron saß hier, weil er mit Drogen erwischt worden war. Dem US-Magazin Fader antwortete er auf die Frage, ob er nicht Zweifel gehabt habe, dass der Brite Russell überhaupt zu ihm ins Gefängnis kommen dürfe: »Wir sind ein freies Land. Die lassen dich rein, egal wieso.«
Diese Lakonie ist es, die die Songs auch auf dem nun erschienenen Album »I’m New Here« auszeichnet. Kein anderer als Scott-Heron kann den Frust über das Leben so bittersüß und schlicht verpacken. Russell hat ihm Beats gezimmert, die absolut zeitgemäß klingen. Die Bässe hämmern, während synthetische Snares im Hintergrund knarzen. Im Booklet der CD wendet sich der Sänger dann an seine Hörer und warnt, dass man das Album beim ersten Hören nicht in einem tragbaren Player spielen und alles, was blinkt und piept, auf jeden Fall ausschalten solle. Ganz nach dem Motto: »Ruhe bitte! Der Maestro spielt jetzt.«
Dass Gil Scott-Heron mit einem Album von nur 28 Minuten Spiellänge sogar den sonst sehr einsilbigen Besitzer eines kleinen Plattenladens im Hamburger Schanzenviertel zu einer für seine Verhältnisse hysterischen Reaktion animiert, muss schon was heißen. Der Plattenverkäufer tippt auf das Album und sagt: »Sehr gut. Sehr gutes Album. Sehr gut.«
Schon bei seinem Debüt im Jahr 1970 war Scott-Heron sehr gut. Er war 21 Jahre alt, als das Lied »Whitey on the Moon« auf seinem ersten Album »Small Talk at 125th & Lenox Ave« erschien. Auf dieser Platte fand sich auch der Klassiker »The Revolution will not be televised«. Er sicherte dem Mann mit der eingängigen, hartnäckigen Stimme eine Vorbildfunktion in der schwarzen Community, die er noch heute innehat. »The black Bob Dylan« oder »Godfather of Hip Hop« nennt man ihn immer noch.
Als Scott-Herons Vater, ein Fußballspieler, 1951 einen Vertrag beim schottischen Verein Celtic Glasgow unterschrieb, gab man den zweijährigen Gil bei seiner Großmutter in Tennessee ab: im Ku-Kux-Klan-Land. In »I’m New Here«, das überwiegend von persönlichen Erinnerungen bestimmt wird, gibt Scott-Heron im zweiteiligen Song »Broken Home« erstaunlich tiefe Einblicke in die Zeit bei Grandma Lilly Scott: »She had more than the 5 senses / she knew more than books could teach / and raised everyone she touched / just a little bit higher.« In Tennessee lernte der spätere Dichter auch die Bedeutung der Sklaverei kennen, der Spuren sich immer noch in der Rassentrennung niederschlugen.
Nach dem Tod der Großmutter zog Scott-­Heron nach New York. Im Appartement seiner Mutter, einer ehemaligen Sängerin und Bibliothekarin, kam er mit Büchern, Lyrik und der Beatgeneration in Kontakt. Hier schrieb er auch einen Roman, der seine Karriere beförderte, obwohl er ihn nur schrieb, um endlich mal eines der vielen angefangenen Projekte fertig zu stellen. Dass er dafür die Schule kurz vor dem Abschluss schmiss, ist wieder eine dieser Paradoxien, die sein Leben prägen.
Dann das Jahr 1994. Das Studioalbum »Spirits« erschien, und das Koks lähmte vorerst Scott-Herons Schaffenskraft. Vielleicht hatte er auch zu viel von den Ghettos gesehen. Er brauchte wahrscheinlich eine umfassende Betäubung.
All die Jahre, die zwischen dem nun erschienen Album und dem letzten liegen, überließ Scott-Heron seinen Epigonen: Rappern aus Harlem, der Bronx, Brooklyn, South Central L.A. Der Wu-Tang Clan inszenierte sich als asiatische Kampfkunstsekte, und auch der New Yorker Jeru the Damaja ließ sich von den Mythen Asiens inspieren: Er konvertierte vom Christentum zum Taoismus. Diese Rapper der sogenannten Newschool wollten andere Wege gehen als ihre Vorläufer und sich erstmal von der Geschichte ihrer Community distanzieren. »I’m not your average Nigger«, rappte denn auch Jeru the Damaja, um sich von seinen Altersgenossen in Brooklyn abzugrenzen. Dann überschwemmten den Hip Hop die Millionen aus den Plattenverkäufen, und plötzlich war die Message nicht mehr ganz so wichtig wie bei Gil Scott-Heron. Es kamen die Hustler, die Gangster. »Dollar, Dollar, Billion«, rappte der Wu-Tang Clan. Und die Gespräche über Gil Scott-Heron waren meist kurz: »Ist der nicht schon tot?«
Während der Großvater des Hip Hop also in den Jahren des schrecklichen Trios Cheney, Rumsfeld, Bush im Gefängnis die Zeit fand, auf die vergangenen Jahre zurückzublicken, durften die jungen Rapper zeigen, ob sie es mit dem Alten aufnehmen können. Scott-Herons Nachfolger gingen gegen den Irak-Krieg jedoch kaum noch auf die Straße. Nein, sie gingen zu MTV, machten riesige Festivals und konnten die Wiederwahl George W. Bushs nicht verhindern. Heute ist Hip Hop – mit wenigen Ausnahmen – endgültig so politisch wie eine Packung Taschentücher. Gil Scott-Heron ist jedoch wieder da und sagt uns: Das war aber auch einmal anders.

Gil Scott-Heron: I’m New Here (XL)