Die Debatte über Polizeigewalt

Die Polizei hat immer Recht

Gewalttätige Polizisten müssen kaum mit juristischen Konsequenzen rechnen. Das zeigt auch das Ergebnis einer Anfrage der Linkspartei in der Hamburger Bürgerschaft.

Das Thema Polizeigewalt hat vor einschlägigen Daten wie dem 1. Mai in den Medien alljährlich Konjunktur. Selbstverständlich konzentriert sich die Debatte auf die Gewalt gegen Polizeibeamte. Entsprechend werden die Effektivität von Überwachungsmaßnahmen oder die Möglichkeit von Schnellverfahren und verschärften Strafandrohungen diskutiert. So plant Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) derzeit die Erhöhung des Strafrahmens des § 113 StGB bei Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte. Sie sollen zukünftig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren statt bisher zwei Jahren geahndet werden können. Zudem soll die Strafandrohung für tätliche Angriffe auf Polizisten von zwei auf fünf Jahre Freiheitsstrafe heraufgesetzt werden.
Die Wortführer bei solchen Debatten sind die Innenexperten der CDU, SPD und FDP sowie Vertreter der Polizeigewerkschaften. In Zusammenarbeit mit den Medien spielt man sich wechselseitig markige Stichworte zu. Sobald unter dem Begriff Polizeigewalt jedoch Übergriffe von Polizeibeamten auf Demonstrationsteilnehmer gefasst werden, wird die Anzahl der beteiligten Diskutanten stets überschaubar. Zu den üblichen Verdäch­tigen gehören Sprecher von Amnesty International, linksliberale Rechtsanwaltsorganisationen und einzelne Abgeordnete der Grünen oder der Linkspartei, die bereit sind, Polizeigewalt als Gewalt der Polizei zu problematisieren. Dazu kommen noch Aktivisten von linken Antirepressionsgruppen und schließlich Betroffene, wobei deren Engagement gegen Polizeigewalt jedoch häufig durch die Staatsgewalt massiv behindert wird.

Im schwarz-grün regierten Hamburg gehen die Strafverfolgungsbehörden sogar noch einen Schritt weiter. Hier werden Menschen, die sich gegen Polizeigewalt wehren, mit Ermittlungen überzogen. Diese Erfahrung machte Franca L., die im Dezember 2007 ausgerechnet auf einer Demonstration gegen Repression in Hamburg von den Beamten einer Berliner Polizeieinheit wegen des Verdachts der Gefangenenbefreiung festgenommen wurde. Bei der Festnahme erhielt sie, nach Angabe ihres Anwalts ohne jede Vorwarnung, zwei gezielte Faustschläge ins Gesicht, die ihr das Nasenbein brachen. »Meine Mandantin hat sich zu keinem Zeitpunkt bei der für sie völlig unvermittelten Festnahme gewehrt und somit keinerlei Anlass für den unverhältnismäßigen Einsatz körperlicher Gewalt durch die Polizeibeamten gegeben«, erklärt ihr Verteidiger Marc Meyer. Für den Rechtsanwalt steht fest, dass den geschulten Festnahmebeamten gegenüber seiner 1,62 Meter großen und eher zierlichen Mandantin mildere Mittel zu Verfügung gestanden hätten als rüde Faustschläge ins Gesicht. Dass das daraus resultierende Verfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt gegen die beteiligten Polizisten nach eher lustlosen Ermittlungen der zuständigen Staatsanwaltschaft im Sommer 2009 endgültig eingestellt wurde, mag der traurigen Routine in solchen Fällen entsprechen. Auch das Verfahren gegen Franca L. wegen angeblicher Gefangenenbefreiung wurde eingestellt.
Im Dezember 2009 jedoch erhielt sie plötzlich einen Strafbefehl über 1 000 Euro wegen des Erhebens falscher Anschuldigungen in der von ihrem Anwalt gestellten Strafanzeige. Es stellte sich heraus, dass die eigentlich für Polizeidelikte zuständige Abteilung der Staatsanwaltschaft, nach der Übernahme des Verfahrens gegen die Berliner Beamten, parallel auch Ermittlungen gegen Franca L. eingeleitet hatte. Rechtsanwalt Meyer wertet dieses Vorgehen als skandalös. Einerseits verhindere die Staatsanwaltschaft im Falle der Polizei ein gerichtliches Verfahren zur Überprüfung eines hinreichenden Tatverdachts. Doch ausgerechnet seiner Mandantin, die mit ihrer Strafanzeige polizeiliches Handeln rechtsstaatlich kontrolliert wissen wollte, wurden niedere Beweggründe unterstellt. Auch der zuständige Richter bezeichnete diesen Vorgang als »skurril« und »eigentümlich«, das Verfahren gegen Franca L. wurde schließlich eingestellt.
Es bleibt abzuwarten, ob diese richterliche Entscheidung der Praxis entgegenwirken kann, mit der in Hamburg diejenigen, die Anzeige gegen gewalttätige Polizisten erstatten, gezielt Ermittlungen ausgesetzt werden. Unbefriedigend ist in jedem Fall die Auseinandersetzung mit und die juristische Aufarbeitung von Polizeigewalt. Eine Anfrage der Fraktion von »Die Linke« in der Bürgerschaft ergab, dass in der Hansestadt zwischen 2003 und 2008 etwa 2 000 Anzeigen wegen des Verdachts der Körperverletzung durch Polizeibeamte bei der zuständigen Staatsanwaltschaft bearbeitet wurden. 98 Prozent dieser Verfahren wurden bereits während der Ermittlungen eingestellt, weitere Verfahren sind wegen angeblicher Geringfügigkeit nicht weiterverfolgt worden. Es kam also nur bei ganz wenigen Fällen überhaupt zu einer Anklage.
Die Zahlen aus Hamburg spiegeln dabei den bundesweiten Trend wider. Folgerichtig stellte Wolfgang Grenz von Amnesty International bereits im Jahr 2009 fest: »Das normale Ermittlungsverfahren wirkt bei den Fällen von behaupteten Polizeiübergriffen nicht. Das liegt zum Teil daran, dass die Polizei ja in ihren eigenen Reihen ermitteln muss, das ist eben schwierig, in der Regel funktioniert das nicht.« Die Hamburger Justiz konnte beispielsweise bis heute einen Polizeiübergriff vom August 2008 nicht aufklären, weil das polizeiliche Dezernat für interne Ermittlung einen prügelnden Beamten trotz eindeutigen Videomaterials angeblich nicht identifizieren konnte.

Die Einführung von unabhängigen Polizeikommissionen, wie sie der Europarat bereits in der Vergangenheit von der Bundesrepublik gefordert hat, wird von den zuständigen Politikern als Ins­titutionalisierung eines ungerechtfertigten Misstrauens gegenüber den Polizeibeamten abgelehnt. Nicht nur unmittelbar Betroffene, die sich gegen polizeiliche Übergriffe zur Wehr setzen, müssen mit Repressalien rechnen. Offenbar reicht schon eine kritische öffentliche Diskussion über Polizeigewalt aus, um behördlichen Schikanen ausgesetzt zu sein.

Diese Erfahrung machte der in Karlsruhe gegründete »Arbeitskreis Polizeigewalt«. Eine Veranstaltung mit dem Thema »Polizeigewalt im Fußball« in den Räumlichkeiten des Fußballfanprojekts Karlsruhe, das auch von der Kommune gefördert wird, wurde von dem zuständigen Sozialbürgermeister Martin Lenz (SPD) zunächst verboten. Die Polizei hatte auf das Fanprojekt und den städtischen Trägerverein massiven Druck ausgeübt, die Veranstaltung abzusagen. Diese Entscheidung wurde zwar später revidiert, doch zu Recht argwöhnte der Arbeitskreis: »Die Karlsruher Polizei scheint große Angst vor einer kritischen Beleuchtung ihrer Arbeit zu haben.« Der Arbeitskreis bemüht sich auch darum, die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen polizeilichen Aktionsfeldern aufzuzeigen.
Gerade das Vorgehen gegen Fußballfangruppen erweist sich zunehmend als Erprobungsfeld po­lizeilicher Repressionstechniken, die später auch gegen Linke angewendet werden könnten. Auch Initiativen, die sich in der Vergangenheit schon erfolgreich gegen das Verschweigen von Polizeigewalt engagierten, stoßen an Grenzen. Im Fall des in Dessau in Polizeigewahrsam ums Leben gekommenen Oury Jalloh konnte zwar die geräuschlose Mechanik des Einstellungskartells von Polizei und Staatsanwaltschaft behindert werden. Aber für den mutmaßlich polizeilich zu verantwortenden Tod ist bis heute niemand zur Rechenschaft gezogen worden.