Enjoy Communism

Danach gefragt, was gegenwärtig hierzulande die bei weitem tristeste und verstaubteste der Künste ist, müsste die Antwort wohl lauten: das Theater. Als gäbe es auf den Straßen Berlins nicht bereits genug albern gekleidete Menschen, die in affektierter Weise Texte deklamieren, hat man auch noch das Theater am Hals, wo sie das auf der Bühne tun.
Bei der Premiere einer neuen Inszenierung von Brechts Stück »Der kaukasische Kreidekreis«, die am Wochenende im Berliner Ensemble zu sehen war, konnte man einen hervorragenden Eindruck davon gewinnen, wie heute Walt Disneys Werk mit dem Bertolt Brechts versöhnt wird. Comicartige Figuren (Disney) hampeln übermotiviert (Disney) vor einem kargen Bühnenbild (Brecht), während ein Erzähler sich wiederholt in didaktischer Manier ins dramatische Geschehen mischt (Brecht). Am Ende kriegt die Magd ihren Märchenprinzen (Disney) und der Zuschauer seine Lektion: dass »gehören soll, was da ist, denen, die für es gut sind« (Brecht). Enjoy Communism.
Die eigentliche Groteske spielt sich hingegen im Zuschauerraum ab: Das Publikum setzt sich überwiegend zusammen aus blasierten Bürgern, die vor Beginn der Aufführung rasch auf einem dem Programmheft beigelegten Spickzettel verstohlen nachsehen, wer jetzt eigentlich noch mal genau dieser Bertolt Brecht war (»Der war doch Kommunist, nicht?«), und pfälzischen Touristen, denen es sichtlich wurscht ist, ob sie nun im Friedrichstadtpalast in einer bunten Revue mit Can-Can tanzenden Hupfdohlen oder in einem revolutionären Theaterstück gelandet sind. Mittendrin, in Reihe Sieben, sitzt, als Fürst vor der Guckkastenbühne, umgeben von seinen Schergen, der Bundespräsident mit seiner Frau. Dabei zuzusehen, wie ausgerechnet unser Bundeshorst im 21. Jahrhundert im einstigen Brecht-Theater eine Art Disney-Version eines von einem Kommunisten verfassten Bühnenstücks betrachtet, das ist Theater vom Feinsten.