Antifaschismus ohne emanzipatorische Perspektive

Extrem statt radikal

Die antifaschistische Ideologie der gegenwärtigen deutschen Linken blockiert eine emanzipatorische Perspektive. Notwendig wäre ein Blick auf den permanenten Ausnahmezustand des Kapitalismus.

Es wäre schon suspekt, würde ein Staat seine Gegner nicht mit einem Bannfluch zu belegen versuchen. Grundmotiv der BRD und der gesamten westlichen Welt war in der Nachkriegszeit vor allem die Totalitarismusformel, die die Gegner der »transformierten Demokratie« (Johannes Agnoli) als radikal oder extremistisch brandmarkte, was diesen nicht nur den politischen Ausschluss, sondern häufig genug Berufsverbote, Gefängnis und gelegentlich die staatlich vollzogene oder zumindest billigend in Kauf genommene Ermordung einbrachte. Der Vorstoß von Familienministerin Kristina Schröder, die Programme gegen Rechtsextremismus auch gegenüber Linken zur Anwendung zu bringen, nimmt sich dagegen zwar zunächst recht harmlos aus, antizipiert aber schon die Kriminalisierung der außerparlamentarischen Linken mit Hilfe eines Revivals des Extremismusbegriffes.
Vor diesem Hintergrund mutet es zunächst absurd an, dass in einer Zeitung wie der Jungle World eine solche Debatte geführt wird. Man könnte sich Peter Nowaks in der Nummer 16/2010 geäußerten Ansicht getrost anschließen, dass, wer mit dem Totalitarismus- bzw. Extremismusbegriff hantiert, »keine Kritik an Staat, Nation und Kapital üben« könne. Jedoch würden damit zwei – gerade für die Rekonstruktion einer Kritik der herrschenden kapitalistischen Verhältnisse hierzulande und anderswo bedeutende – Probleme unter den Tisch fallen.
Zunächst sollte man entgegen dem von Sarah Uhlmann (15/2010) erhobenen Verdikt, »Extremismusformel und Totalitarismustheorie« dienten gleichermaßen lediglich dem »Bestreben, den Status quo abzusichern«, beide Begriffe säuberlich voneinander trennen. Noch steht eine Diskussion über den Totalitarismusbegriff in historischer Perspektive aus. Der Begriff ist ja weniger auf die ihn rein instrumentell gebrauchenden Friedrichs, Brzezinskis, Jesses, Brachers und anderen Apologeten der herrschenden kapitalistischen Zustände zurückzuführen, sondern wurde sowohl von linken Dissidenten der Arbeiterbewegung, wie etwa Victor Serge oder Otto Rühle, als auch geschassten kommunistischen Parteifunktionären genutzt, um den Stalinismus und seine mörderische Praxis begrifflich fassen zu können.
Ausgangspunkt müsste hier die Frage sein, ob das von Hannah Arendt als zentral für den von ihr herausgestellten Begriff des »totalen Staates« angesehene »eiserne Band des Terrors« um die Gesellschaft lediglich phänomenologische Analogien aufweist oder aber materialistisch in die sozialen Kämpfe in Deutschland und Russland eingeordnet werden kann. In aller gebotenen Kürze sei hier darauf verwiesen, dass diese sich in beiden Ländern und auch in Italien in der Abfolge von Revolution, reformistisch geführter Konterrevolution und schließlich gegen diese »Unordnung« gerichtete Formierung des totalen Staats abspielten. Dass man hier »Erklärungen über historische Prozesse und Dynamiken, soziale Träger, ökonomische und ideologische Triebkräfte« vergeblich suchen würde, wie Uhlmann schreibt, darf trotz gewaltiger Unterschiede zwischen den Regimes zumindest bezweifelt werden. Insbesondere eine sich emanzipatorisch wähnende Linke sollte Guy Debords Hinweis, dass die »revolutionäre Arbeiterbewegung zwischen den beiden Kriegen (…) vernichtet (wurde) durch das vereinte Wirken der stalinistischen Bürokratie und des faschistischen Totalitarismus«, aber immerhin ernst nehmen.

Im Gegensatz zu den möglichen historischen Erkenntnisgehalten durch die Totalitarismustheorie ist die Extremismusformel tatsächlich völlig inhaltsleer und lediglich ein beliebig anwendbares Mittel des Staats, seine vermeintlichen oder realen Gegner analog zum Gewaltmonopol auch definitorisch aus dem politischen Leben auszusondern. Damit ist ein Mittel geschaffen, das potentiell jeden treffen könnte, der nicht die Gewähr bietet, voll und ganz für die freiheitlich-demokratische Ordnung einzutreten.
Dies kenntlich zu machen, wie es Uhlmann in ihrem Beitrag getan hat, ist geboten. Allerdings geht sie genauso von einer qualitativen Bruchlinie innerhalb der Gesellschaft zwischen Zivilisation und Barbarei bzw. faschistischer und demokratischer Ideologie aus, wie sie sich auch in der Ex­tremismusformel findet. Lediglich die Grenzziehung, die Integration auch der Linken und eine klare Zuweisung zu politischen Lagern wollen sie und ihre Gruppe Inex nicht akzeptieren. Was sie fordert, ist eine »konsequente Auseinandersetzung mit den in weiten Teilen der Bevölkerung verbreiteten Ansichten und Ideologien wie Rassismus, Homophobie, völkische(m) Rassismus und autoritäre(n) Hierarchie- und Ordnungsvorstellungen«, also mit einem in seiner Entstehung nicht weiter thematisierten Extremismus. »Ziel ist«, so Uhlmann weiter, »eine antifaschistische Politik, die weder einen alleinigen Fokus auf die Nazis legt, noch diese als marginalisierte Gruppe abtut, sondern die Gesamtgesellschaft in ihre Analysen und Praxen einschließt.«

Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Konfliktlinie zwischen Inex und deren Antipoden Mario Möller und Sebastian Voigt als eine, die sich lediglich auf die konkrete Situationsanalyse der BRD bezieht. Während Mario Möller (13/2010) in einem im schlechtesten Sinne geschichtsphilosophischen Essay konstatiert, in Deutschland, und hier vor allem im Osten, sei seit den ersten Krisen­erscheinungen ein Neuauflage der »national­sozia­listische(n) Mobilmachung« zu beobachten, die der Linken die Verteidigung der Werte des freien Westens gegen die »Verherrlichung des Kollektivs gegen das Individuum und die Ablehnung der auf Vermittlung basierenden bürgerlichen Gesellschaft« abverlange, hat Sebastian Voigt ihm in der folgenden Ausgabe entgegengehalten, dass »eine funktionierende bürgerlich-parlamentarische Demokratie« existiere, deren erneutes Abdriften in die Barbarei aber genauestens zu beobachten sei.
Die Frage also, ob ein faschistischer Formierungsprozess zumindest in Teilen des Landes schon abgeschlossen sei (Möller), durch das Einsickern in die politische Mitte vorbereitet werde (Uhlmann) oder aber derzeit nicht zu erwarten stehe, trennt die drei Diskutanten. Gemeinsam ist ihnen allen, dass die politischen Ideologien Kern ihrer Gesellschaftsanalyse bleiben, die grob anhand der Dualität Nationalsozialismus/Demokratie geordnet werden. Wenn man die Tragödien des historischen Antifaschismus als Farce nachspielen lassen wollte, könnte Möller einen sowjetischen Vertreter der Anti-Hitler-Koalition geben, Uhlmann die Einheitsfront spielen und Voigt sich zwischen Volksfront und Alliiertem Kontrollrat entscheiden.

In jedem Falle wird eine für den Antifaschismus nicht untypische idealistische Umkehrung der bekannten Aussage Max Horkheimers, wonach vom Faschismus niemand reden solle, der vom Kapitalismus schweige, deutlich. An den herrschenden Zuständen wird vor allem kritisiert, dass in ihnen weiterhin das Undenkbare möglich sei. Die Momente einer grundsätzlichen, also radikalen und damit antiautoritären Kritik am Kapitalismus werden zugunsten der vermeintlichen Entscheidung zwischen bürgerlich-demokratischem Normalvollzug oder Abgleiten in die faschistische bzw. nationalsozialistische Barbarei erledigt.
In dieser Verteidigungslogik des Status quo gegen einen heraufziehenden Extremismus gefangen, liegen zuletzt auch die Nationalisierung und Integration in Kriegsbündnisse nahe. Diese Austreibung des Antimilitarismus aus der Linken war seit den neunziger Jahren bis hin zu den Scharmützeln auf Demos gegen den Irak-Krieg oder dem Nachspielen des Nahost-Konflikts auf Kreuzberger Hinterhöfen zu beobachten. Nowak hat in seinem Beitrag auf diese Prozesse innerhalb der bundesrepublikanischen und vor allem antideutschen Linken hingewiesen, leider ohne die Ideologie des Antifaschismus zu benennen.

Beide Extremismusformeln, die konservative wie die antifaschistische, haben sich dabei historisch ausgezeichnet geeignet, die sozialen Revolutionsversuche durch das gemeinsame Bündnis aller Verteidiger der alten Ordnung niederzuwerfen. Zuletzt im Weltrevolutionsjahr 1968 waren es die antifaschistischen Kommunistischen Parteien Italiens und Frankreichs, die, wie schon die Sozialdemokratie in der revolutionären Welle nach dem Ersten Weltkrieg und der Stalinismus im Spanischen Bürgerkrieg, die Volksfront nach links ­abschlossen und unter der Fahne des »Kampfes gegen den Extremismus« gemeinsam mit ihren Regierungen gegen die diversen Projekte der Emanzipation vorgingen.
Auch mit diesem antifaschistischen Extremismusbegriff, der zudem die vielfältigen politischen Ausgestaltungen der spektakulären Warengesellschaft überhaupt nicht analytisch wird fassen können, hätte die Bewegung zur »Selbstaufhebung des Proletariats« zu brechen. Sie könnte sich dabei an der Verallgemeinerung des Extremismusbegriffs als permanentem Ausnahmezustand in Walter Benjamins Geschichtsphilosophischen Thesen orientieren. »Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber«, so Benjamin, »dass der ›Ausnahmezustand‹, in dem wir leben, die Regel ist. Wir müssen zu einem Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht. Dann wird uns als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustandes vor Augen stehen; und dadurch wird unsere Position im Kampf gegen den Faschismus sich verbessern. Dessen Chance besteht nicht zuletzt darin, dass der Gegner ihm im Namen des Fortschritts als einer historischen Norm begegnet.« Vielleicht würde eine solche Umdeutung sogar dazu führen, dass der Kommunismus von seinen Gegnern wieder eher der »revolutionären Umtriebe« oder des Daseins »vaterlandsloser Gesellen« verdächtigt würde.