Über die Rezeption von Frida Kahlo

Fridomanía

Sie ist eine Ikone der Frauenbewegung, eine Heldin der Linken. Warum übt das Martyrium der Frida Kahlo noch immer eine solche Faszination aus?

Auch sie hatte ihre unangenehmen Seiten: Auf dem von der Band Café Tacuba ins Netz gestellten Musikvideo mit Originalaufnahmen sieht man beispielsweise, wie Frida Kahlo ihren Ehemann Diego Rivera vorführt; ihm, der ganz offensichtlich nicht geküsst werden will, ihre Küsse aufdrängt und dann triumphierend in die Kamera schaut. Sie war eitel, besitzergreifend, nörglerisch – und was sollte dieses alberne Gebaren, sich als Angehörige der mestizischen Oberschicht in indianische Trachten zu hüllen, während das indianische Mädchen unterbezahlt in der Küche schuftete?
Dennoch haben sich Millionen Menschen in aller Welt, die meisten von ihnen Frauen, mit ihr identifiziert. Die Malerin Frida Kahlo gilt als Symbol Mexikos, als Emblem des Landes, obwohl sie es zu Lebzeiten nur zu einer Einzelausstellung gebracht hat und nicht einmal zu sagen wusste, in welchem Stil sie eigentlich malte. Mittlerweile ist jedes Wort, das sie geschrieben, jede Zeichnung, die sie begonnen, jedes Foto, auf dem sie posiert hat, gewinnbringend veröffentlicht und reproduziert worden. Es gibt zahlreiche Frida-Kahlo-Biografien, Frida-Kahlo-Kochbücher und einen Hollywoodfilm mit Selma Hayak in der Hauptrolle. Es gibt Frida-Kahlo-Tequila, -Parfüm und -Schmuck und seit einigen Jahren auch Frida-Kahlo-Stoffpüppchen, die ihre geschäftstüchtige Nichte Isolda auf den Markt geworfen hat. Das Stück kostet 200 Dollar. Dem Päckchen beigelegt ist das von Isolda Kahlo verfasste Buch »Frida Intim« sowie eine CD mit mexikanischen Liedern, die die Malerin angeblich gemocht hat.
Mehr noch, als der Subcomandante Marcos dies in jüngerer Zeit vermocht hat, trägt die Legende der 1954 verstorbenen Kahlo zum Tourismusboom in Mexiko bei, einem Land, dessen zahlreichen Problemen die 1907 in Coyoacan bei Mexiko-Stadt geborene Gefühlskommunistin seit Beginn der zwanziger Jahre mit recht unbedarften Lösungen begegnen wollte. Sie gehörte zur Boheme von Mexiko-Stadt, die sich von den künstlerischen Einflüssen Europas abwandte und sich für das Alltagsleben der sogenannten einfachen Leute begeisterte, für ihre Kleidung, ihre Töpferwaren und Votivtafeln, ihre Kneipen und Pulquerias. Dazu gehörte auch, dass man Kommunist wurde. »Die große revolutionäre Neuheit«, kritisierte der mexikanische Schriftsteller Octavio Paz rückblickend, »bestand in der Wiederentdeckung des Vaterlandes und seiner volkstümlichen Künste und Gebräuche.«
Aber wer möchte diese Frau schon kritisieren? Am wenigsten die Linken aus Europa und insbesondere aus Deutschland, die auf ihren Mexiko-Reisen auf dem Weg nach Chiapas immer auch im Blauen Haus, dem Frida-Kahlo-Museum in Mexiko-Stadt, Station machen. Kein Wunder, dass die linksliberale Tageszeitung La Jornada von einer »Fridomanía« spricht, einer Manie, die mehr über diejenigen aussagt, die ihr huldigen, als über Kahlo selbst, die ihr Leiden öffentlich inszenierte: das Leiden an ihrem Körper, nachdem sie eine Kinderlähmung und einen schweren Unfall überstanden hatte, der zahlreiche Folgeerkrankungen und Operationen nach sich zog. Dazu kamen mehrere Fehlgeburten und ein Alkoholproblem, viele Jahre musste sie ein Korsett tragen, war immer wieder ans Bett gefesselt und in den letzten Jahren an den Rollstuhl. Bis heute kann nicht ausgeschlossen werden, dass Frida Kahlo ihrem Leben am 13. Juli 1954 selbst ein Ende gesetzt hat.
Sie kultivierte ihre Eifersucht und ihr Leiden an ihrem notorisch untreuen Ehemann, dem Maler Diego Rivera, den sie im Alter von 22 Jahren heiratete. Nicht nur die Ehe mit dem um 22 Jahre älteren, einflussreichen Maler, auch zahlreiche Affären, unter anderem mit Trotzki, begründeten den Mythos der Frida Kahlo, die freilich den politischen Vorgaben des Ehemanns stets folgte. Wenn Diego Rivera Kommunist war, war sie es auch. Als er Trotzkist wurde, zog sie mit und kehrte später – wie auch Rivera – wieder in den Schoß der stalinistisch geprägten kommunistischen Bewegung zurück.
Mehr als ein Drittel ihrer Bilder sind Selbstporträts, Bilder, die, wenn man sie im Original sieht, tatsächlich einen morbiden und groß­artigen Reiz ausüben. Großflächig, bunt und bisweilen schockierend. Sie hat ihren Unterleib gemalt, sich selbst als Leiche, die von Blattwerk verschlungen wird, in einer Blutlache liegend und als verletzten Hirsch. Andere Bilder haben die Opferrolle anderer Frauen zum Inhalt, so das 1935 entstandene Bild »Ein paar kleine Dolchstiche«, das eine zerfetzte Frauenleiche zeigt.
Aber erklärt das die »Fridomanía«? Was fasziniert Frauen gerade an Frauen, die leiden und ihr Leiden ikonisieren? Die, wie Kahlo, nicht nur die Bürde ihrer chronischen Krankheit ausstellen, sondern auch das selbst gewählte Schicksal, an der Seite eines untreuen Ehemanns zu leben?
Die mexikanische Schriftstellerin Elena Poniatowska hat mit ihrem 1978 erschienenen Buch »Querido Diego« (Lieber Diego) versucht, den nationalen Mythos des Malers Diego Rivera zu entzaubern. Das Buch wirft zugleich auch ein anderes Licht auf Frida Kahlo. In fiktiven Briefen rekonstruiert die Autorin, wie Rivera seine erste Ehefrau, die russische Malerin Angelina Beloff, in Paris mit dem Versprechen zurückließ, sie bald nach Mexiko zu holen. Das versprochene Geld kam nie an, der gemeinsame Sohn starb an einer durch Ernährungsmängel verursachten Krankheit. Als auch die Briefe ausblieben, wusste Beloff, dass Rivera die Ehe als beendet ansah. Aber sie schaffte es, aus eigener Kraft nach Mexiko zu reisen, die mexikanische Staatsbürgerschaft zu erlangen und sich als Malerin zu etablieren. Tatsächlich hat Mexiko weitere, künstlerisch womöglich sogar bedeutendere Malerinnen als Kahlo hervorgebracht, wie beispielsweise die gebürtige Spanierin und naturalisierte Mexikanerin Remedios Varo oder die herausragende Maria Izquierdo, die sich eher zur Ikone unterdrückter Weiblichkeit eignen würde. Denn Izquierdo, die im Alter von 13 oder 14 Jahren heiratete, kämpfte sich nicht nur aus dieser Ehe wieder heraus, sondern wurde – obwohl sie seit 1934 als wichtigste Malerin Mexikos galt – im Jahr 1945 von Diego Rivera und einem weiteren maßgeblichen Maler, Alfaro Siqueiros, mit der Begründung, dass sie über keinerlei Erfahrung verfüge, daran gehindert, ein Wandbild am Regierungspalast von Mexiko-Stadt anzubringen. Es ist aber Frida Kahlo, der jetzt im Berliner Martin-Gropius-Bau eine Retrospektive gewidmet sein wird, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Massen anziehen wird. Sicherlich nicht zu Unrecht. Denn die Ausstellung ist die umfangreichste Kahlo-Ausstellung, die es jemals in Deutschland gegeben hat. Sie umfasst neben den bekannteren Werken, insbesondere den Selbstbildnissen, zahlreiche bisher unveröffentlichte Zeichnungen und Fotomaterial sowie ein Autoporträt – Frida als Sonnenblume – das bis vor kurzem noch als zerstört galt.
Auch wenn man in Mexiko in Sachen Kahlo-Verehrung einiges gewöhnt ist, berichtet die mexikanische Tageszeitung La Jornada doch mit einigem Erstaunen über diesen neuerlichen Höhepunkt der Fridomanía. So staffierte der Modedesigner Karl Lagerfeld Claudia Schiffer als Frida Kahlo aus, ließ ihr die typischen ausgeprägten Augenbrauen aufmalen und fotografierte sie in einem Tango-Club in Buenos Aires. Das Resultat ist in der Märzausgabe der Illus­trierten Vogue zu besichtigen. Doch selbst diese alberne Inszenierung wird die Fridomanía in Deutschland nicht ausbremsen können.

Frida Kahlo – Retrospektive. Martin-Gropius-Bau, Berlin. 30. April bis 9. August