Über die Kurzfilmtage in Oberhausen

Keine perfekte Welle

Das No Wave Cinema orientierte sich am Musik-Underground New Yorks. Die wichtigsten der Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger gedrehten Streifen sind auf den Kurzfilmtagen in Oberhausen zu sehen.

Sie griffen in die Gitarrensaiten, und wir griffen zur Kamera«, erklärte der Filmemacher Eric Mitchell lapidar die Do-it-Yourself-Mentalität von No Wave. Das »No« war entscheidend, bezeichnete es doch die radikale Geste der Negation der filmischen Post-Punk-Bewegung, das »Nein« zu Tradition und Professionalismus. Eigentlich ist No Wave auch ganz wörtlich zu verstehen: Während Punk sich anschickte, in die Geschichte einzugehen, wollten die Pro­tagonisten von No Wave keine Bewegung, keine neue Welle sein. »Arrghh! Nein! Ich verachte Bewegungen! Ich werde nie Teil irgendeiner Bewegung sein!« stöhnte James Chance, Sänger der Contortions, demonstrativ genervt.
Dennoch wurde No Wave als Bewegung wahrgenommen. Brian Eno hat mit dem von ihm produzierten Sampler »No New York« dieser kurzlebigen, aber einflussreichen Musikrichtung, die in der Zeit von 1977 bis 1982 in der Lower East Side ihr Zentrum hatte, ein Denkmal gesetzt. Weniger bekannt ist hingegen, dass im Umfeld von Musikern und Bands wie James Chance and the Contortions, Teenage Jesus & the Jerks oder DNA auch Filme entstanden.
Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen stellen in Kooperation mit dem Österreichischen Filmmuseum Wien dieses nahezu vergessene Kapitel in der Geschichte des amerikanischen Undergroundfilms vor. Die von Christian Höller kuratierte Reihe versammelt die wichtigsten Super 8- und Video-Arbeiten dieser Zeit, Filme, die nicht nur nachfolgende Undergroundbewegungen beeinflussten (wie das »Cinema of Transgression«), sondern auch dem mainstreamkompatiblen Independentkino von Jim Jarmusch den Weg bahnten.
Der »para-punk underground«, wie der Kritiker Jim Hoberman 1979 die heterogene Gruppe New Yorker Filmemacher in einem Artikel der Village Voice nannte, war eng mit den lokalen No-Wave-Bands verbunden. So gab es personelle Überschneidungen – Protagonisten der Musikszene traten in Filmen auf – sowie eine vergleichbare Herangehensweise, eine ähnliche Ener­gie, Ikonografie und Ästhetik. Offensichtlich machte es damals keinen großen Unterschied, ob man nun eine Gitarre hielt oder eine Kamera. Die Filme waren ebenso roh und rumpelig, direkt und agressiv, sprunghaft und improvisiert wie es die Musik des Underground war. Zur wichtigen Abspielstätte neben den Clubs wurde das 1979 von Eric Mitchell, James Nares und Becky Johnston gegründete »New Cinema«, ein kleiner Raum am St.Marks Place, in dem die neuen Undergroundfilme mit einem Video­beamer gezeigt wurden. Super-8mm-Kameras waren plötzlich günstig verfügbar geworden, man drehte schnell und mit minimalem Aufwand. Manchmal lagen zwischen der Idee zum Film und seiner Premiere nur wenige Tage. Die Arbeitsweise, das Improvisierte, Heruntergerotzte, stand natürlich im krassen Gegensatz zu den Produktionsbedingungen in der damaligen Kunst- und Galerieszene, die von seriösen post-konzeptuellen Ansätzen und geschliffener Videokunst dominiert wurde.
Vor allem richteten sich die Filmemacher gegen den akademischen Formalismus, der die filmische Avantgarde der siebziger Jahre prägte. Das von Jonas Mekas gegründete Anthology Film Archives galt noch immer als der heilige Ort der Avantgarde, war aber zur damaligen Zeit schon fest etabliert und vor allem eine Bühne des strukturalistischen Films. No Wave stand dagegen für die Rückkehr zu den Undergroundbewegungen der sechziger Jahre, zu Jack Smith, Andy Warhol und den Kuchar-Brüdern. Wie die Werke ihrer Vorgänger beschwören die Filme von Eric Mitchell, John Lurie, James Nares, Vivienne Dick, Beth and Scott B und Betty Gordon das Abseitige, von der Hochkultur Verworfene. Sie propagieren alternative Lifestyles und sexuelle Phantasien, wobei der verspielte, orgienhafte Transgender-Sex – etwa eines Jack Smith – von offensiven (post)feministischen Statements, sadomasochistischen Ritualen oder Bestrafungs-und Rachephantasien abgelöst wurde.
In »Black Box« (1978), einem eindringlichen Film des Künstlerpaares Beth und Scott B, wird ein junger Mann von einer dominaartigen Lydia Lunch gequält und schließlich in eine schwarze Kiste gesperrt; ein Verweis auf die von einer texanischen Firma produzierten und ins Ausland verkauften Folterkammer. Auch »Letters to Dad« (1979) beschreibt das Zusammenspiel von Gewalt und Macht. Abwesende Hauptfigur ist der Sektenführer Jim Jones, der Ende der siebziger Jahre über 900 Menschen zu einem Massenselbstmord anstiftete. Der Film reinszeniert Ausschnitte aus Abschiedsbriefen, die Angehörige der Sekte vor ihrem Tod geschrieben haben. In Vivienne Dicks »She Had Her Gun All Ready« (1978) sind die beiden Hauptdarstellerinnen (Lydia Lunch und Pat Place, Gitarristin der Contortions) zunächst in ein Psychodrama verwickelt, bis es zum gewaltsamen Showdown auf einer Achterbahn in Coney Island kommt. Sogar in Filmen, die auf den ersten Blick von Alltagserfahrungen handeln, ist die Bedrohung allgegenwärtig. Betty Gordon erzählt in »Empty Suitcases« (1980) von einer Frau, in deren Leben Arbeit und Liebe in Konflikt geraten. Die Rollen innerhalb der Beziehung werden ebenso gewechselt wie Kleider und Posen, was zu Entfremdung und Identitätsverlust führt und in einer Karriere als Terroristin mündet. Neben diesen narrativen Arbeiten entstanden Konzertfilme und Szeneporträts wie etwa Michael McClards »Alien Portrait« (1978), das in stilisierter Manier – Zeitlupe, grobkörniges Schwarzweißbild – ein Konzert von Teenage Jesus&The Jerks im CBGB’s dokumentiert. Jim Hoberman spricht in Zusammenhang mit der dokumentarischen Qualität der No-Wave-Filme von einer »on-the-street verité«. Tatsächlich zeigen die Filme eine urbane Realität, die in anderen Medien schlichtweg nicht vorkam. Die Lower East Side glich Mitte der siebziger Jahre einem Kriegsgebiet, ausgebrannte Häuser und vermüllte Baugrundstücke bestimmten das kaputte Straßenbild, das natürlich perfekt zum Geist von No Wave passte, zum Selbstverständnis, der Stunde Null beizuwohnen. So hält Coleen Fitzgibbons »L.E.S.« (1976) den Verfall des gleichnamigen Stadtteils mit der Kamera fest, kontrastiert diese Bilder jedoch mit einer Erzählung über die Entdeckung eines fiktiven Erdteils. Der Musiker und Schauspieler John Lurie setzt der gesellschaftlichen Wirklichkeit von Auflösung und Verfall seinen Wohnzimmer-Science-Fiction »Men in Orbit« (1978) entgegen. In einem primitiven Setting, das an die improvisierten Kulissen des B-Movie-Regisseurs Ed Wood erinnert, sieht man ihn mit Eric Mitchell in Astronautenkluft herumsitzen, Kette rauchen, trinken, sich rasieren, Hamburger essen, Zähne putzen, lachen. Diese eskapistische Phantasie hat sich von jedem utopischen Versprechen befreit, sie macht aus ihrem unvermeidlichen Scheitern eine anarchistische Feier.

56. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen. 29. April bis 4. Mai ()