Die deutschen Häfen expandieren auf Kosten der Arbeiter

Verdi im Nacken

Die Krise des langjährigen Exportweltmeisters Deutschland ist vor allem in den Seehäfen sichtbar. In Hamburg und Bremerhaven regt sich Widerstand gegen die Abwälzung der Kosten auf die Beschäftigten.

Der Rückgang der globalen Handelsströme ermöglicht derzeit freie Sicht über riesige Stellflächen, auf denen zuvor haushoch Container gestapelt wurden. Denn die gesamte Logistikbranche leidet unter dem drastischen Einbruch der Frachtraten für Container bei gleichzeitig wachsenden Kapazitäten. Überdies stehen nicht nur die privaten, sondern auch die großen, mehrheitlich städ­tischen Hafenbetriebe zueinander in Konkurrenz. Unter dem vermeintlichen Zwang zur Expansion wird derzeit vor Wilhelmshafen gar ein gigan­tischer Tiefwasserhafen komplett neu gebaut, mit dem sich die Konkurrenz der Häfen um die immer größeren Riesenfrachter noch verschärfen wird. Niemand kann heute sagen, ob die dortigen Kapazitäten wirklich gebraucht werden, wenn der Hafen Ende 2011 in Betrieb geht. Vorige Woche rief Bremens Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD) bei der Eröffnung des Logistiktages in Bremerhaven dazu auf, am zügigen Aufbau des Jade-Weser-Port genannten Großprojekts festzuhalten, mit dem Häfen wie Rotterdam oder Antwerpen Konkurrenz gemacht werden soll: »Der Jade-Weser-Port ist und bleibt ein gemeinsames Zukunftsprojekt der Länder Bremen und Niedersachsen. Er soll eine richtige Erfolgsstory für den ganzen Nordwesten werden.« Krise hin oder her.
Mit einer Wassertiefe von 18 Metern soll der Hafen künftig auch für Frachtriesen zugänglich sein, die mehr als 10 000 Container laden können. An einem 1 725 Meter langen Terminal mit 16 Containerbrücken und vier Liegeplätzen sollen jährlich 2,7 Millionen Standardcontainer umgeschlagen werden. Die nationale Verzückung, in die nicht nur Böhrnsen angesichts der Möglichkeit gerät, endlich in Konkurrenz zum größten europäischen Hafen, Rotterdam, treten zu können, kann nicht verbergen, dass auch Bremerhaven und Hamburg vermutlich internationale Frachtlinien an den Jade-Weser-Port abtreten müssen. Der »nationale Hafenplan« Deutschlands setzt keineswegs auf eine ökologisch sinnvolle Arbeitsteilung zwischen den Häfen und auf eine Verteilung der Arbeit auf alle Hafenarbeiter, sondern betreibt Expansion zulasten der Nachbarländer. Die einzelnen Städte versuchen dabei jeweils im Alleingang, sich als Hafenstandorte zu optimieren. Selbst die kommunalen Hafenbetriebe setzen auf Expansion und kaufen Häfen im Ausland auf.

Am eifrigsten agiert die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), das größte Containerumschlagunternehmen im Hamburger Hafen. Im Januar wurde bekannt, dass die HHLA, die sich zu 66 Prozent im Besitz der Stadt Hamburg befindet, mit dem staatseigenen iranischen Hafenbetreiber Tidewater bei der Modernisierung des Hafens von Bandar Abbas kooperieren wollte. Interna­tional ins Gerede kam dieser Hafen im vergangenen Jahr, weil dort ein Schiff mit Waffen für die Hamas beladen wurde, das Israels Marine auf hoher See aufbrachte. Der Hamburger Senat ließ das Geschäft nach Protesten des Zentralrats der Juden sofort stoppen.
Ansonsten geht die Expansion der HHLA munter weiter. Und dies obwohl der Güterumschlag im Hamburger Hafen 2009 insgesamt um über 20 Prozent zurückging, der Containerumsatz um über 30 Prozent. Entsprechend ist auch die finanzielle Situation bei der HHLA, wie Gerd Müller, der dort Betriebsrat ist, erklärt: Die Umsatzerlöse seien um 24 Prozent auf 501 Millionen Euro zurückgegangen; rund 15 Prozent der insgesamt 3 600 Kollegen befänden sich derzeit in Kurz­arbeit, viele weitere in Qualifizierungsmaßnahmen und langfristigen Weiterbildungen. Niemand im Hafen mache sich Illusionen darüber, dass die Probleme in absehbarer Zeit gelöst werden könnten. Dazu sei die Krise viel zu tiefgreifend.
Bernt Kamin-Seggewies, Betriebsratsvorsitzender beim Gesamthafen-Betriebsverein (GHB) in Hamburg, weiß, wie sich diese eklatanten Einbrüche auf die Arbeitsplatzsituation auswirken. Der GHB wird als Verein von den Betrieben der Hafenwirtschaft und der Gewerkschaft Verdi getragen und deckt in Spitzenzeiten den Mehrbedarf an qualifizierten Hafenarbeitskräften. In schlechten Zeiten hingegen sichert er die nicht benötigten Arbeiter durch einen Rücklagefonds ab. Angesichts der anhaltenden Krise ist die Nachfrage nach GHB-Personal um die Hälfte zurückgegangen. Befristete Verträge wurden nicht verlängert und die verbliebenen 1 040 Kollegen in Kurzarbeit geschickt, was für sie finanzielle Einbußen bedeutet: Bis zu 60 000 Euro verdient ein Hafenarbeiter im Containerbereich durchschnittlich in guten Jahren, nun sind es etwa 30 000 Euro oder weniger.

Die Rekordumschläge bei Gütern und die zweistelligen Zuwachsraten im Containerverkehr katapultierten Hamburg bis 2008 in den Rang des zweitgrößten Handelszentrums Europas nach Rotterdam. Alle Betriebe im Hafen stellten in den vergangenen Jahren viel Personal ein. Kamin-Seggewies bringt es auf eine Formel: »Wenn die Weltwirtschaft um ein Prozent wächst, dann nimmt der Welthandel um das Doppelte zu, der Containerumschlag sogar um das Dreifache. In den vergangenen Jahren betrug das Wachstum im Hafen fast durchgängig über fünf, zum Teil über zehn Prozent. Und alle Experten meinten, das würde so noch einige Jahre weitergehen, vor allem, weil sich die Riesenmärkte Indien und China so rasant entwickelten. Das war ein Trugschluss, und leider gilt die Faustformel auch umgekehrt.«
Die enormen Gewinne der Hafenwirtschaft im vergangenen Jahrzehnt stehen nur zu einem Bruchteil zur Verfügung, um die Hafenarbeiter finanziell abzusichern, wenn sie nicht arbeiten. Lediglich die Kernbelegschaft – in Hamburg rund 5 000 Männer und Frauen im Umschlagsbereich des Hafens – konnte für sich eine verhältnismäßig gute Bezahlung und soziale Absicherung durchsetzen. »Diese Gruppe der Beschäftigten ist vergleichsweise gut gestellt und auch organisiert«, sagt Kamin-Seggewies. Hart dagegen treffe es die Leute bei den externen Dienstleistern, die im Auftrag der Betreiber der Containerterminals wie der HHLA das Be- und Entladen übernehmen. »Die weitaus größere Gruppe der Beschäftigten ist meist schlecht organisiert und besteht aus einer großen Anzahl von Leiharbeitern, die von Zeitarbeitsfirmen ausgeliehen werden.« Diese Kollegen arbeiteten oft zu Stundenlöhnen unter acht Euro. Häufig seien sie nicht direkt im Hafen, sondern bei Speditionen oder bei Lagerfirmen tätig. Ihre Lage war schon vor der Krise prekär. »Es wird geheuert und gefeuert«, so Kamin-Seggewies.

Während im Hamburger Hafen Betriebsräte und gewerkschaftliche Vertrauensleute bei der HHLA und dem GHB mit den Belegschaften darüber diskutieren, wie der Abwälzung der Krise auf die Beschäftigten entgegenzutreten sei, hat sich die Situation im zweitgrößten Hafen Norddeutschlands noch drastischer entwickelt. Auch in Bremerhaven gibt es einen Gesamthafen-Betriebsverein. Anders als in Hamburg wurde hier nicht erreicht, dass die immer knappere Arbeit auf alle Beschäftigten, auch auf die vom dortigen GHB, verteilt wurde. Die mehrheitlich im Besitz des Landes Bremen befindliche Bremer Lagerhaus-Gesellschaft (BLG) und ihr Tochterunternehmen Eurogate hatten entschieden, wegen der Krise weniger Arbeit an den GHB zu vergeben. Seit Anfang 2010 arbeitet die städtische Eurogate gar nicht mehr mit Beschäftigten des GHB.
Zu Beginn des Jahres 2008 waren dort 2 700 Hafenarbeiter beschäftigt. Im April dieses Jahres sind es nur noch knapp 1 100. Zuerst mussten Anfang 2009 die Aushilfskräfte gehen, darunter viele alleinerziehende Mütter. Vor einem Jahr wurden alle 800 befristeten Arbeitsverhältnisse beendet. Der betriebswirtschaftlichen Logik folgend, wonach der GHB durch Einsparungen schnell wieder schwarze Zahlen schreiben solle – ohne dass die Hafenwirtschaft dem GHB etwas von ­ihren Gewinnen abgibt –, stimmten Verdi und der Betriebsrat unter Federführung des Vorsitzenden Peter Frohn dem GHB-Geschaftsführer Hubertus Ritzke zu, dass es Entlassungen geben müsse. Ohne dass die Belegschaft informiert wurde, trat beim GHB der paritätisch mit Funktionären von Verdi und Managern der Hafenbetriebe besetzte »Ausschuss für Personal und Arbeit« zusammen. Harald Bethge, Fachsekretär bei Verdi Bremen für den Hafenbereich, erklärte in Pressegesprächen, dass zur Sicherung der Liquidität des GHB Entlassungen nötig seien und es auch nur 2 000 Euro Abfindung pro Person gebe – mehr könne sich der GHB einfach nicht leisten.

Einige Beschäftigte gründeten aus Protest das Komitee »Wir sind der GHB!«. Raphael Roß vom Komitee erklärte rückblickend: »Wir sind von dem Sanierungsplan, dem Sozialplan und der Sozialauswahl völlig überrascht worden.« Auch Roß wurde gekündigt. Zusammen mit 198 anderen Kollegen klagt er dagegen vor dem Arbeits­gericht. Neben den »normalen« Beendigungskündigungen gab es zahlreiche Änderungskündigungen, wonach die Betroffenen einen Arbeitsplatz in Bremen annehmen sollen – mit 60 Kilometer Anfahrtsweg und einer Lohnkürzung von bis zu 65 Prozent.
Das Komitee setzt auf Selbstorganisation, von ihrer Gewerkschaft Verdi und dem Betriebsrat sind sie enttäuscht. »Die mauern; das ist für uns keine Arbeitnehmervertretung, das ist eher eine Arbeitgebervertretung«, und »die Gewerkschaft muss auf der richtigen Seite und muss auch ihren Mitgliedern zur Seite stehen«, heißt es seitens einiger Aktivisten. Und weiter: »Wir vom GHB sind die ersten, an denen getestet wird, ob man das mit den Leuten machen kann.« In diesem Sinne rief das Komitee bereits mehrfach zu Demonstra­tionen auf, zuletzt Ende Januar. Ihr Motto: »Dumpinglöhne beim GHB – wir sind erst der Anfang!« Fahnen von Verdi sind auf den Demos des Komitees nie zu sehen, dafür ein Transparent: »Danke ver.di – für nix!«