Über »Common Wealth. Das Ende des Eigentums« von Antonio Negri und Michael Hardt

Die Philosophie der Sozialdemokratie

Antonio Negri und Michael Hardt haben nach »Empire« und »Multitude« einen weiteren Bestseller linker Befreiungsphantasien veröffentlicht:. In »Common Wealth« entwerfen sie das Bild einer »gerechteren Gesellschaft«, in der Ressourcen und Wissen als »Commons« geteilt werden.

Die Rede von den »Commons« verweist zurück auf die Zeit, als die kapitalistische Produktionsweise noch am Anfang ihres geschichtlichen Siegeszuges stand, dessen erste Voraussetzung die Beseitigung aller vorkapitalistischen Eigentumsformen, also nicht zuletzt des Gemeineigentums gewesen ist. Anders als heute, wo die Fluchtversuche zivilisationsmüder Aussteiger selbst in den hintersten Winkeln der Welt ausgehen wie der sprichwörtliche Wettlauf zwischen Hase und Igel, hatte sich die Herrschaft des Kapitals noch nicht zu einem fugenlosen Zwangsapparat geschlossen, musste seine politische Ökonomie erst noch gegen die moralische Ökonomie der Unterklassen durchgesetzt werden, die ein Naturrecht auf den gemeinschaftlichen Besitz der Erde geltend machten. Der Ausgang dieser Kämpfe ist bekannt.
Antonio Negri und Michael Hardt vertreten keine rückwärtsgewandte Utopie. Wenn sie der bürgerlichen »Republik des Eigentums« in ihrem neuen Buch »Common Wealth« das Kommune oder Gemeinsame entgegenstellen, haben sie weder vorkapitalistische Reste noch Landkommunen oder selbstverwaltete Kleinbetriebe im Sinn, sondern sind gut orthodox-marxistisch bemüht, Möglichkeiten einzufordern, die sich überhaupt erst auf dem Boden des voll entfalteten Kapitalverhältnisses eröffnen. Ihren Kommunismus grenzen sie vom Sozialismus ab, der nur die Herrschaft des Staatseigentums installierte. Das »Ende des Eigentums« kann nicht durch eine politische Machteroberung irgendwelcher Avantgarden herbeigeführt werden. Es muss aus der Bewegung der Ausgebeuteten hervorgehen, die Hardt und Negri Multitude nennen.

Die ungeheuren Schwierigkeiten, die einem solchen Vorhaben gegenüberstehen, lassen Hardt und Negri allerdings in einem dichten Nebel obskurantistischer Thesen verschwinden. Einmal mehr beschwören sie eine »biopolitische Produktion«, gekennzeichnet von »immaterieller Arbeit« und einer bereits hier und heute autonomen Kooperation der Produzenten. Wie man sich das vorzustellen hat, war bereits in »Empire« (2000) und in »Multitude« (2004) unklar geblieben und konnte bis heute von keinem Vertreter des so genannten Postoperaismus auch nur annähernd befriedigend dargelegt werden. So wenig wie die klassisch fordistischen Schwitzbuden des Südens sind die modernen Dienstleistungsjobs oder auch die High-Tech-Produktion geeignet, die These zu erhärten, dass »das Gemeinsame« in einem emphatischen Sinne bereits die Grundlage der heutigen Produktion sei und nicht etwa das Ziel einer revolutionären Bewegung. So wie auch die damit verbundene These, mit der »biopolitischen Produktion« der Multitude sei jede Unterscheidung von Arbeitszeit und sonstiger Lebenszeit ausgelöscht, sich verblüffenderweise nicht um die schnöden Klassenkonflikte der Gegenwart schert, die sich wie eh und je meist um Arbeitszeit und Löhne drehen. Für solche profanen Angelegenheiten ist im Himmel der postoperaistischen Theorie kein Platz, weshalb das irdische Geschehen in »Common Wealth« gegenüber philosophischen Abhandlungen das Nachsehen hat.

Indem Negri und Hardt ihr gesamtes Gedankengebäude auf morschen Thesen über die »biopolitische Produktion« errichten, scheitern sie daran, auch nur das Problem richtig zu fassen, das die Abschaffung des Eigentums aufwirft. Ihr Versuch, der Scheinalternative von Staats- und Privateigentum zu entgehen, bleibt über weite Strecken in vollkommener Unbestimmtheit stecken und führt dort, wo es konkret wird, schnurstracks in Sackgassen wie die Forderung nach einem Grundeinkommen und Geldpfuscherei: Auf die Frage, ob Geld und Finanzwesen möglicherweise »Instrumente darstellen, um aus den verschiedenen Formen flexibler, mobiler und prekärer Arbeit die Multitude zu erschaffen«, können Negri und Hardt zwar »noch keine zufrieden stellende Antwort geben, aber wir haben den Eindruck, dass Bestrebungen, sich das Geld auf diese Weise wieder anzueignen, die Richtung weisen, wie revolutionäre Aktivität heute aussehen könnte«. Alle treffende Kritik am Staatssozialismus bewahrt Negri und Hardt am Ende nicht davor, auf eine der abgeschmacktesten Vorstellungen der alten Arbeiterbewegung zurückzufallen, nämlich die eines alternativen Gebrauchs des Geldes.
In linksradikalen Debatten insbesondere seit 1968 war demgegenüber immerhin herausgearbeitet worden, dass die Abschaffung des Eigentums nur als Aufhebung der Warenproduktion überhaupt – und das heißt: jeder Form von Wertrechnung und Entlohnung – zu realisieren ist. Hinter solche noch völlig unzureichenden ersten Bestimmungen der sozialen Revolution fallen Negri und Hardt weit zurück. Der Wert, dem es Marx zufolge »auf die Stirn geschrieben« steht, dass er einer Gesellschaftsformation angehört, »worin der Produktionsprozess die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsprozess bemeistert«, verwandelt sich bei ihnen in eine positive Kategorie: Die Multitude bemeistert den Produktionsprozess, sie schafft Wert und verdient ein Grundeinkommen. So erschöpft sich das versprochene Ende des Eigentums in philosophisch verbrämter Sozialdemokratie.

Michael Hardt/Antonio Negri: Common Wealth. Das Ende des Eigentums. Aus dem Englischen von Thomas Atzert und Andreas Wirthensohn. Frankfurt/New York 2010.