Gentleman und die Homophobie im Reggae

Reggae am Runden Tisch

Die Debatte um homophobe Tendenzen im jamaikanischen Reggae und Dancehall ist nicht neu. Dank des deutschen Reggae-Stars Gentleman ist sie erneut entbrannt.

In Jamaika gibt es nicht wenige, die Homosexualität als »unafrikanisch« oder »unchristlich« ablehnen. Homophobe Lyrics jamaikanischer Raggae-Stars führen hierzulande immer wieder zu Protesten, während Fans die Problematik oft nicht erkennen. Doch nun kommt endlich wieder Bewegung in die festgefahrene Debatte um Homophobie im Reggae. Seit Jahren stehen sich hier Kulturrelativisten und die Verteidiger universeller Menschenrechte unversöhnlich gegenüber. Jetzt hat der deutsche Reggae-Musiker Gentleman in dem Online-Magazin laut.de einen Runden Tisch zum Austausch mit Homo-Aktivisten angeregt. Vorausgegangen waren Interviews, die der Musiker im April den Tageszeitungen Taz und Welt gegeben hatte. Darin hatte er sich von Homophobie distanziert, allerdings auch verlangt, man solle akzeptieren, »was der Rastamann nicht mit seinem Glauben vereinbaren möchte«. Man könne, so befindet Gentleman, anderen Kulturen nicht die eigene verordnen, Homophobie könne man in Jamaika genauso wenig anprangern wie im Vatikan Kondome verteilen oder im Iran gegen Kopftücher vorgehen.
Außerdem kritisierte Gentleman Aktionen, mit denen eine Einreise oder Auftritte homophober Reggae-Musiker in Deutschland verhindert werden sollten. Zwar habe sich aus Angst vor einer Stigmatisierung im Westen die Wortwahl in Texten von Musikern wie Sizzla, Bounty Killer oder Buju Banton spürbar geändert, unter der Oberfläche seien die homophoben Überzeugungen jedoch dieselben geblieben. Volker Beck, menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, widersprach umgehend. Es sei dem internationalen Druck zu verdanken, dass nun auch in Jamaika selbst ein Umdenken beginne. Als Beleg führt er den am 8. April im Touristenort Montego Bay abgehaltenen »Walk of Tolerance« an. Die unter anderem von der Organisation »Jamaica AIDS Support for Life« (JASL) organisierte Demonstration mit Regenbogenfahnen gilt als erster Christopher Street Day in Jamaika.
Beck sieht einen klaren Zusammenhang zwischen gesungenen Mordaufrufen und Hassmorden. Einreiseverbote in Deutschland seien daher Ausdruck praktischer Solidarität mit den von Homophobie Betroffenen in Jamaika. Alle rechtsstaatlichen Mittel seien erlaubt, um für das universelle Recht auf Leben und auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu kämpfen.
Der Journalist Klaus Walter brachte nun in der Taz die Klassenfrage ins Spiel: Das Beharren auf homophoben Attitüden sei auch eine Trotzreaktion der ökonomischen Verlierer dieser Wirtschaftsordnung – hier und weltweit. Wer diese Überlegung konsequent zu Ende denkt, muss zu dem Schluss kommen, dass ein Teil der Lösung die Abschaffung des Kapitalismus sei. Oder, für jene, die daran glauben, seine Zähmung. Vorerst scheint jedoch Pragmatismus gefragt – und Empathie. Die zynische Feststellung einiger, angesichts der hohen Gewaltrate in Jamaika sei der Anteil ermordeter Lesben und Schwuler gering, hilft denen nicht, die ihre Situation zu verbessern suchen.
Tatsächlich war es die Intervention der Betroffenen in Jamaika, die das Engagement euro­päischer Lesben- und Schwulenorganisationen gegen Hass-Lyrics im Reggae erst ausgelöst hat. Die deutsche Reggae-Szene (und für HipHop gilt das gleiche) hätte nicht erst darauf warten müssen, bis diese Lobby die brisanten Probleme anspricht. Schon lange hätte es genügend Anlässe gegeben, sich selbst mit homophober Diskriminierung auseinanderzusetzen.
Da Kultur nicht statisch ist, ist auch eine ihr vermeintlich innewohnende Homophobie keine Naturtatsache. Bis vor etwas mehr als 40 Jahren mussten in der damaligen BRD Schwule noch mit Zuchthaus rechnen. Dass Frauen problemlos Hosen tragen dürfen, ist auch noch nicht so lange her. Auch heute noch ist unsere Gesellschaft Lichtjahre entfernt von Gleichberechtigung und allseitiger Akzeptanz der Geschlechtervielfalt. An Ausschlussmechanismen mangelt es nicht: sozialer Status, Hautfarbe, körperliche Konstitution, Bildungsstand und Religion sind nur ein paar davon. Was für ein Glück, dass es Menschen gibt, die sich gegen diesen Zustand zur Wehr setzen.
Im Fall Uganda hatten Deutschland und Großbritannien unlängst Sanktionen angekündigt, sollte die homophobe Gesetzgebung noch bis zur Androhung der Todesstrafe ausgeweitet werden. Dem liegt der Gedanke zugrunde, imperiales Auftreten könne hier Leben retten. Fraglich ist allerdings die Wirkungsmöglichkeit solcher Maßnahmen – wen trifft es wirklich, wenn Entwicklungshilfe gestrichen werden sollte? Und was wäre die Alternative?
Natürlich besteht die Gefahr, dass der Menschenrechtsdiskurs zur Durchsetzung der eigenen außenpolitischen Agenda missbraucht wird. Drohende Repression gegen Frauen in Afghanistan wird schon mal zur Legitimierung eines Krieges genutzt. Statt im praktischen Schwarz-Weiß-Denken verhaftet zu bleiben, gilt es, sich den Widersprüchen zu stellen. Bündnisse gegen Unterdrückungsmechanismen können sinnvoll sein. Dass dies funktionieren kann, zeigte kürzlich die gemeinsame Reaktion vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) und dem türkischen Bund Berlin (TBB) auf die Zumutungen der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Ein von den Konservativen geladener Gutachter hatte behauptet, die explizite Aufnahme von »sexueller Identität« in den Anti-Diskriminierungsartikel des Grundgesetzes erschwere die Integration von Muslimen.
Auch wenn sie nicht politisch instrumentalisiert werden darf: Die Diskussion über die ökonomischen Ursachen von Hass und Diskriminierung ist genauso dringlich wie die überfällige Auseinandersetzung mit eigenen Männlichkeitsnormen. Damit die Debatte nicht allzu abgehoben bleibt, sollte Gentleman auch nicht versäumen, das »Jamaica Forum for Lesbians, All-­Sexuals and Gays« (J-Flag) einzuladen. Miteinander zu reden ist ein guter Anfang.