»Es kam leider gar keine Holocaust-Stimmung auf«

Am 5. Mai wurde in Berlin das fünfjährige Bestehen des Holocaust-Mahnmals gefeiert. Neben prominenten Gratulanten wie Lea Rosh, Anne Will, Lala Süsskind, Klaus Wagenbach und Eberhard Diepgen kam auch der Autor Henryk M. Broder, der von Anfang an ein scharfer Kritiker des Mahnmals war, weil es eher der »kollektiven Entlastung« als der Erinnerung diene. Ihn hat aber kaum jemand entdeckt, denn er steckte in einer Pappmaché-Stele. Nur Kopf und Arme guckten raus. Jungle World sprach mit dem sonderbaren Denkmal.
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Wie fühlt man sich als eine von 2 712 Stelen? War man denn nett zu Ihnen, hat Ihnen jemand mal ’nen Kaffee oder ’ne Limo ausgegeben? Immerhin vertritt man so als Stele ja 2 213 tote Juden.
Nein, niemand hat mir etwas ausgegeben. Ich hätte gerne eine Portion Gefilte Fisch bekommen oder notfalls auch einen Bismarckhering. Immerhin kam ein junger Mann und hat mir geholfen, die Nase zu putzen, weil ich mit den Händen da nicht drankam. Ich habe ihm zum Abschied auch gesagt: »Gott segne Sie!«
Es wurde nur sehr vereinzelt über Ihre Aktion berichtet.
Ich habe mich, wie es sich für eine Stele gehört, ja auch gut benommen. Ich bin am Rande stehen geblieben und habe den Leuten zugewinkt, die zu mir rübergesehen haben. Ich hatte ja nicht vor, mich daneben zu benehmen, das ist nicht meine Art.
Und wie fanden Sie das Bürgerfest, das zu Ehren Ihrer Mitstelen gefeiert wurde? Hat’s Spaß gemacht?
Ich weiß nicht, was meine Mitstelen davon hielten, aber ich fand es etwas enttäuschend. Ich habe wirklich mit Massen von Berlinern gerechnet. Aber die Berliner gehen nur dahin, wo es Currywurst gibt. Und ausgerechnet an diesem Tag waren die ganzen kleinen Buden dort geschlossen. Es war deshalb gar kein richtiges Bürgerfest. Die Berliner Bevölkerung war netto mit zehn bis 20 Bürgern vertreten, alles andere waren Angehörige des Fördervereins, der sich selbst feierte. Das verlieh der ganzen Veranstaltung einen gewissen autistisch-redundanten Reiz: Die einen standen auf und lobten die anderen, dann standen die anderen auf und lobten die einen.
Es war ja auch ein sehr sonniger Frühlingstag. War das der Gedenkstimmung abträglich?
Es kam leider überhaupt keine echte Holocaust-Stimmung auf. Wirklich sehr schade! Immerhin spielte dann noch eine Klezmer-Band. Und es gab ja auch Konzentrationslager, wo die Häftlinge beim Eintreffen an der Rampe mit Musik empfangen wurden. Aber ich glaube, damals war es nicht Klezmer, sondern Wagners Götterdämmerung.