Rassismus im italienischen Fussball

Schwarz in der weißen Bruderschaft

Mario Balotelli hat die falsche Hautfarbe und kann deswegen kein richtiger Italiener sein, finden viele Fußballfans.

Mario Balotelli jubelt nicht nach Toren. Wenn er getroffen hat, geht er nie in die Kurve zu den Fans, um sich feiern zu lassen. Er läuft Richtung Spielfeldmitte und zeigt auf seine Mannschaftskameraden. Manchmal lacht er, manchmal schaut er ernst. Manchmal setzt er den Zeigefinger an die Lippen, als könne er so die gegnerischen Fans zum Schweigen bringen, die sein Spiel so häufig mit rassis­tischen Sprechchören und Affenlauten begleiten.
Denn Mario Balotelli ist schwarz. Und er ist Italiener.
Und damit ist er zum Hassobjekt vieler Fans geworden. Nicht nur während der Duelle mit Inter Mailand, Balotellis Club. Rassistische Anti-Balotelli-Gesänge ertönen an vielen Spieltagen überall in Italien und Europa. Juventus-Anhänger sangen sogar während der Champions-League-Spiele in Bordeaux und in München: »Non esistono negri italiani.« Es gibt keine schwarzen Italiener.
Rassismus ist im italienischen Fußball Alltag. Paolo Di Canio galt, da er seine Tore mit dem faschistischen »römischen Gruß« zu feiern gedachte, als Paradebeispiel, aber auch Ex-Nationalspieler wie Gianluigi Buffon und Christian Abbiati bekennen sich nach wie vor offen zum Rassismus. Die Ultra-Bewegung vieler Vereine ist gezielt von Neonazis unterwandert worden, in beschämender Regelmäßigkeit ertönen in den Stadien rassistische Sprechchöre.
Bisweilen erklärt der italienische Verband, man wolle dem Rassismus die Rote Karte zeigen, und sperrt hin und wieder mal eine Tribüne, Geldstrafen werden verhängt. Ohne Erfolg. Hin und wieder kocht die Diskussion darüber hoch, ob sofort das Spiel abgebrochen werden soll, sobald es zu rassistischen Äußerungen kommt, bisher aber ohne Ergebnis.
Schwarze sind im italienischen Fußball geduldet, solange sie Fremde bleiben. »Wenn du Millionär bist und für Milan spielst, bist du etwas weniger Neger«, sagte Ruud Gullit vor Jahren; aber »Neger« bleibt man immer.
Und die Bruderschaft Italiens ist weiß.
Die Palette der Reaktionen auf rassistische Provokationen gegenüber Balotelli reicht vom Abwiegeln bis zu unverhohlener Schadenfreude. Nachdem Balotelli in Verona während des Spiels mit Affenlauten verhöhnt worden war, sagte der Präsident des Clubs, Luca Campedelli, es seien »lediglich Pfiffe gegen einen Spieler gewesen. Das Problem ist nicht seine Hautfarbe, sondern sein Verhalten auf dem Platz.«
Und: »Gegen seinen Teamkollegen Sulley Muntari, der ist schließlich auch aus Ghana, gab es in Turin keine Schmähung. Nur Mario provoziert das mit seinem Verhalten.« Klar: Wer schwarz ist, gilt als Afrikaner.
Ähnlich äußerte sich auch Francesco Totti, der Balotelli »inakzeptables Verhalten« attestierte, nachdem Balotelli im Spiel gegen Rom seinem Widerpart Christian Panucci die Zunge gezeigt, einen Elfmeter geschunden und ihn, nachdem er den Strafstoß verwandeln konnte, mit »provokanten Gesten« gefeiert hatte. Provokante Gesten heißt: Er hat das Publikum zum Schweigen aufgefordert. Ihm hätte man für so etwas den »Arsch versohlt«, tobte Totti.
Balotelli ist kein Opfercharakter. Er provoziert gern und viel, er produziert Schwalben, nach jedem Foul beginnt er Palaver mit dem Schiedsrichter. Und er ist schockierend begabt: Mit seinen 19 Jahren ist er eines der größten Talente, die der italienische Fußball in seiner Geschichte hervorgebracht hat. Schnell, beidfüßig, gefährlich sowohl direkt vor dem Tor als auch aus der Distanz, ein intelligenter Spieler mit ein paar Schwächen im Kopfballspiel, jedoch jung genug, um diese auszugleichen.
Aber er gilt als »unreif«. Seine Formschwankungen sind jetzt schon legendär, die Tageszeitung Corriere della Sera nennt ihn »Meister der Episoden«. Italiens Nationaltrainer Marcello Lippi will ihn deswegen nicht mitnehmen nach Südafrika.
Dabei bestände Bedarf nach einem außergewöhnlichen Spieler vorne. »Wir brauchen einen Super-Stürmer«, schrie die Repubblica ins Land hinaus, nachdem Italien ein peinliches 0:0 gegen Kamerun nach Hause geschaukelt hatte. Das war im März. Tatsächlich, vom früheren Glanz eines Filippo Inzaghi, eines Roberto Baggio oder gar eines Paolo Rossi ist nicht viel geblieben: Alberto Gilardino wird wohl mitfahren zur WM, Vincenzo Iaquinta wohl auch, Giampaolo Pazzini vermutlich. Der mit 33 Jahren inzwischen etwas hüftsteife Luca Toni hat nicht viele Chancen, dafür vielleicht Marco Boriello oder Antonio di Natale.
Keiner dieser Spieler hat ein außergewöhn­liches Format, ausgenommen Gilardino, wenn er gute Laune hat. Derzeit hat er gute Laune, damit wäre ein Platz im Sturm fest besetzt. Auch wenn Balotelli mit seinen 19 Jahren nicht als Stammspieler bei einem Weltmeisterschaftsanwärter auflaufen würde, so wäre er doch ein ausgezeichneter Einwechselspieler. Da er schnell und ballsicher ist, eignet er sich hervorragend fürs Konterspiel. Und es wäre eine große Geste von Lippi, auch wenn sich Trainer Behauptungen verbitten, sie würden nach anderen Kriterien als der Leistung aufstellen.
Tatsächlich aber hat Balotelli überhaupt keine Fürsprecher mehr in Italien. Selbst die eigenen Fans, die Interista, haben sich gegen ihn gewendet. Es ist das Hinspiel im Champions-League-Halbfinale gegen Barcelona, der 20. April 2010. Inter führt 3:1, der Mann des Spiels, Diego Milito, wird ausgewechselt. Für ihn kommt Mario Balotelli. Seine erste Aktion: Er düpiert seinen Gegenspieler, indem er ihn mit der Hacke überlupft. Die Fans jubeln. Seine zweite Aktion: ein Fehlpass. Die Fans pfeifen. Seine dritte Aktion: noch ein Fehlpass. Die Fans buhen. Nach drei Aktionen haben sie die Geduld verloren. Sobald Balotelli in Ballnähe ist, ertönen Pfiffe. Er wird in den restlichen Minuten nicht mehr viel laufen, kaum Zweikämpfe mehr annehmen und noch zweimal den Ball vertändeln.
Am Ende des Spiels wird er sein Trikot zu Boden schmeißen. Er wird nicht mit seinen Mannschaftskollegen in die curva gehen und jubeln, sondern in der Kabine verschwinden und bald nach Hause gehen. Auf dem Weg zu seinem Auto wird er von Inter-Fans angesprochen und aufgehalten werden, sie werden ihn beschimpfen. Er wird zurückschimpfen.
Am nächsten Tag wird José Mourihno sagen, dass sich alle für Inter zerrissen hätten, außer einem. Er meint Balotelli. Mitspieler werden ihm vorwerfen, der Verein sei ihm egal, und er habe die Feierlichkeiten ruiniert. Am Ende wird er für zwei Tage suspendiert, wegen schädigenden Verhaltens.
Alle werden betonen, dass es nichts mit seiner Hautfarbe, nichts mit seinem Pass zu tun habe. Nur mit seiner Leistung. Niemand wird sich fragen, warum die Fans so unduldsam waren mit Balotelli. Er hat sein Trikot in den Dreck geschmissen, das wird reichen, ihn zu verurteilen. Die Foren werden voll sein mit Statements, dass er endlich gehen solle, dass man die Schnauze voll habe. Von allem. Und Balotelli wird bekunden, nach England wechseln zu wollen.
Früher hat Mario Balotelli anders gejubelt: Statt sich den Finger auf den Mund zu legen, hat er mit ihm auf die italienische Flagge auf seinem Trikot gezeigt. Sono italiano, ich bin Italiener. Jahrelang, sagte er einmal, habe er auf den 12. August 2008 gewartet, den Tag seines 18. Geburtstags: der Tag, an dem ihm die italienische Staatsbürgerschaft zustehen würde.
Jetzt kann er es kaum mehr erwarten, aus diesem Land wegzukommen. Dieses Land, in dem seine Gegner singen, es gebe keine schwarzen Italiener. Und seine ehemaligen Fürsprecher so tun, als gingen sie diese Gesänge nichts an.