Streiks und soziale Proteste vor der WM

Streiks und soziale Proteste vor der WM

Die südafrikanischen Lohnabhängigen haben aus den Streiks auf den Stadionbaustellen im Sommer vergangenen Jahres gelernt: Kurz vor der Weltmeisterschaft ist das Druckpotential der Gewerkschaften groß. Nun fordern streikende Transport­arbeiter 15 Prozent mehr Lohn. Dass ihre Forderungen erfüllt werden, scheint nicht un­realistisch, denn die Streiks haben das Potential, das Land kurz vor der WM komplett lahmzulegen.

Es hätte alles so schön sein können. Die Fußballweltmeisterschaft, die vom 11. Juni bis 11. Juli in Südafrika stattfindet, hätte den Erfolg der »Regenbogennation« krönen können. 16 Jahre nach den ersten »gemischtrassischen« Wahlen am Kap hätte man, rückblickend, den Übergang in eine neue Ära feiern können. Das weiße Rassistenregime, das dort von 1948 bis 1994 mit seinen zeitweise 1 700 Gesetzen zur »Rassentrennung« existiert hatte, gehört der Vergangenheit an.
Doch nur wenige Wochen vor dem Anpfiff der Spiele zwischen Pretoria und Cap Town verhindern Streiks und soziale Protestbewegungen die Selbstinszenierung der südafrikanischen Post-Apartheidsgesellschaft, deren obere Schichten die immensen sozialen Unterschiede des Landes gern vergessen gemacht hätten. »Jetzt oder nie!« lautet die Devise der armen Verlierer des südafrikanischen »Wunders«, die ihren Teil an dem erwarteten Einnahmeschub und Prestigegewinn durch die WM einfordern.
Jetzt oder nie, denn die Monate, die auf die während des Südwinters stattfindende Weltmeisterschaft folgen wird, drohen unerfreulich zu werden. Das Versprechen des vor einem Jahr angetretenen populistischen Präsidenten Jacob Zuma, eine Million Jobs zu schaffen, wird Wahlkampflüge bleiben: Die weltweite Wirtschaftskrise hat auch Südafrika voll erfasst. Im vergangenen Jahr ist die offizielle Arbeitslosenquote von zuvor 23 auf 25 Prozent gestiegen, real wird der Erwerbslosenanteil auf rund 40 Prozent geschätzt. Dies sowie die ausgesprochen geringe und qualitativ schlechte Schulbildung, die ganzen Generationen von Schwarzen während der Apartheid-Ära erteilt wurde, drückt den Preis der Ware Arbeitskraft. Wenn eine Eintrittskarte zur WM zehn Wochenlöhne kostet und man als Township-Bewohner das Ereignis allenfalls im Fernsehen mitbekommen wird, fällt der Trost durch die Spiele gering aus. Warum also nicht versuchen, im Vorfeld der WM – und damit dann, wenn die Arbeitskraft der Armen und das Stillhalten der Übrigen dringend benötigt werden – endlich etwas einzufordern?

Am 14. April erklärte sich die Südafrikanische Wirtschafts- und Handelskammer (SACCI) besorgt über den massenhaften Ausstand von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, der, wie betont wurde, just »nur 56 Tage vor WM-Beginn« ausgebrochen war. Über 130 000 Kommunalbedienstete waren am Vortag einem Aufruf der Gewerkschaft SAMWU gefolgt und auf die Straße gegangen, um gegen schlechte Löhne und für ein besseres System der Bewertung ihrer Arbeit zu demonstrieren. In Städten wie Johannesburg, Cape Town oder Tshweni wurden wegen des Streiks spezielle Nottransportdienste eingerichtet, denn die Industrie- und Handelskammer erklärte sich besorgt, dass viele Geschäfte ihren für die WM vorgesehenen Warenvorrat nicht mehr rechtzeitig anlegen könnten. Die im Verband Salga zusammengeschlos­senen Kommunen nahmen alsbald die Verhandlungen mit den Gewerkschaften auf.
Ungefähr zeitgleich war die Regierungspartei ANC mit dem Kongress der südafrikanischen Gewerkschaften Cosatu zusammengetroffen. »Da war Blut auf dem Boden«, fasste der ANC-Sprecher Jackson Mthembu hinterher die Atmosphäre mit einem englischen Kraftausdruck zusammen. Während in den Jahren des gemeinsamen Kampfs gegen das Apartheid-Regime der Gewerkschaftsverband Cosatu, der ANC sowie die südafrikanische Kommunistische Partei (SACP) als kaum zertrennliches »Dreigestirn« zusammengehalten hatten, sind die Bindungen heute locker, denn inzwischen sind die sozialen Spannungen zwischen Armen und Reichen stärker als die zwischen Schwarzen und Weißen. Der Cosatu-Generalsekretär Zwelinzima Vazi, der stets die Korruption des ANC durch Reichtum und Priviliegien anprangert, sagt bereits »eine Implosion« des formell noch immer existierenden Bündnisses voraus. In Anbetracht dessen knüpft die Cosatu über ihr traditionelles Industrie- und Bergarbeiter-Klientel hinaus zunehmend enge Bindungen zu sozialen Bewegungen – etwa zu den Bewegungen für bessere Wohnbedingungen und sauberes Trinkwasser in den Townships.

Am Wochenende traten zudem 46 000 Transportbedienstete in den Streik, legten Züge lahm, aber auch den Schiffsverkehr in der Hafenstadt Durban. Bereits am Mittwoch der vergangenen Woche war ein Zug mit Benzin und Diesel zwischen Durban und Johannesburg entgleist – Beobachter vermuteten Sabotage. Denn angesichts der Pläne der Regierung, den Transportbetrieb Transnet zu privatisieren, sind viele Beschäftigte aufgebracht. Und die Cosatu ist fest entschlossen, die angestrebte Privatisierung zu blockieren, die der Gewerkschaft zufolge allein einer Clique aus den Reihen der Regierungspartei und dem Unternehmensvorstand zugute käme. Im anhaltenden Arbeitskampf fordert die Gewerkschaft nicht allein, die Privatisierungspläne zurückzunehmen, sondern auch eine Lohnerhöhung von 15 Prozent. Immerhin haben die streikenden Arbeitnehmer die nahende Weltmeisterschaft im Rücken – und sie sind viele: Rund 85 Prozent der Beschäftigten von Transnet streiken, der Güter- und der Personenverkehr stehen vielerorts still, weitere Gewerkschaften wollen sich den Streiks anschließen.

Das Modell für die aktuellen Streiks im Transportwesen lieferte der Ausstand der Bauarbeiter im Juli vergangenen Jahres, der zeitweise den Neubau von sechs Stadien für die Fußball-WM blockierte (Jungle World 29/2009). Damals hatten die Beschäftigten auf den Baustellen, die unter anderem vom französischen Betonkonzern Bouygues betrieben wurden, die Arbeit niedergelegt und 13 Prozent mehr Lohn eingefordert. 70 000 Lohnabhängige hatten am Ausstand teilgenommen. Am frühen Morgen des 14. Juli vergangenen Jahres wurde der Streik nach einer Woche und nächtelangen Verhandlungen durch ein Lohnabkommen beendet. Der hohe Zeitdruck, mit dem die Errichtung der Stadien erfolgen sollten, bescherte den Lohnabhängigen eine günstige Verhandlungsposition. Damit gaben sie anderen Teilen ihrer Klasse das Signal, das viele von ihnen in diesen Tagen nicht vergessen haben: Jetzt oder nie. Man muss nur zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle Druck ausüben.