Thomas Gurrath, ein Metalhead, erzählt, warum er Ethiklehrer werden will und das nicht darf

»Es bringt nichts, das zu erklären«

Würden Sie diesem jungen Mann Ihre Kinder anvertrauen? Thomas Gurrath, Frontmann der Band »Debauchery«, wollte in Baden-Württemberg Ethiklehrer werden. Doch die Schulleitung des Hegel-Gymnasiums Stuttgart-Vaihingen, an dem er sein Refendariat absolvierte, stieß auf seine Band und die dazugehörigen Death-Metal-Videos. Die Schuldirektion und das Regierungspräsidium Stuttgart zeigten sich schockiert und legten ihm die Kündigung nahe. Gibt es jetzt Berufsverbote wegen Geschmacksvergehen?

Dachten Sie wirklich, man könne in Schwaben Metalmusiker und gleichzeitig Ethikleher sein? Oder haben Sie damit gerechnet, dass Ihnen die Schulbehörden wegen Ihrer Musik Ärger machen werden?
Ich habe damit gerechnet, aber ich dachte nicht, dass die so schnell auf »Debauchery« stoßen. Früher oder später wäre das aber sowieso passiert.
Wenn man sich Stuttgarter Eltern vorstellt, sind die wahrscheinlich kaum begeistert, zu erfahren, dass der Lehrer ihrer Kinder in seiner Freizeit Konzerte spielt, in denen er Texte über Mord und Vergewaltigung ins Mikro röhrt und sich dabei mit Kunstblut vollschmiert. Was würden Sie denen denn sagen?
Das ist gar nicht so leicht, sie denken ja wirklich, dass man, wenn man solche Musik macht, irgendwie ein böser Mensch ist, aber das stimmt ja nicht. Ich ess’ ja noch nicht mal Tiere!
Was wirft Ihnen die Schulleitung konkret vor?
Gewaltverherrlichende Texte. Und dass ich mich nicht von »Debauchery« distanziere. Das wäre ja auch schwer, ich mache das ja. Distanzieren heißt in dem Fall wahrscheinlich, dass ich Scheiße finden soll, was ich selber mache.
Angeblich hat Sie die Schulleiterin auch als »psychisch krank« bezeichnet.
Sie hat gesagt, dass ich nicht ganz dicht bin oder so, den Wortlaut weiß ich nicht mehr genau.
Wenn man sich Konzertmitschnitte von Ihnen ansieht, hat man nicht den Eindruck, dass die Show authentisch wirken soll. Etwa der Song »Blood for the Blood God«, das ist doch Satire.
(lacht) Ja, klar! Das weiß auch jeder, der uns kennt. Wir sind ja auch total harmlos!
In einem Interview mit einem Musikmagazin sagen Sie, dass Sie »Debauchery« als Soloprojekt mit wechselnden Musikern betreiben, weil »die meisten Metalkollegen von früher Deppen waren. Faul, dumm, aggressiv oder einfach nur unfähig.« Sind die meisten Typen aus dieser Szene so?
Nein, gar nicht! Ich hab’ einfach immer nur Pech gehabt!
Heißt das, man könnte sogar so richtig harte Metaller, die das ganz humorlos betreiben, Lehrer werden lassen?
Ich bin ja auch überzeugter Metaller. Ich liebe Death Metal. Ich bin fasziniert von dieser Überspitztheit, und das ist ja eigentlich bei allen Death-Metallern so, die ich kenne, auch bei Bands wie »Six Feet Under« oder »Cannibal Corpse«. Das sind ja alles ganz normale Menschen, die ziehen ja nicht los und bringen irgendwelche Leute um, ich mein’, hallo, die machen halt Musik! Die spielen den ganzen Tag Gitarre!
Ihr Porn-Musik-Clip, bei dem allerdings nur Ihr starrer Blick zu sehen ist, während zwei Frauen recht explizite Sachen machen – ist der irgendwie kritisch gemeint? Oder ist das einfach ein stinknormaler Porno mit Kunstblutfetisch?
Das mit dem Kunstblut machen wir, weil »Debauchery« sonst wegen der wechselnden Musiker keinen Wiedererkennungswert hat. Und wir wollten eben irgendwie extremer aussehen, weil wir ja so schuljungenmäßig angefangen haben. Die anderen Typen in der Szene waren voll groß, tätowiert, lauter krasse Typen, und wir kommen so schmächtig daher, da dachten wir, wir müssen irgendwie extremer werden. Deswegen hantieren auch die Frauen in dem Porno mit Kunstblut.
Und warum das mit dem Porno?
Ich wollte so etwas machen, das find ich cool.
Man könnte auch sagen, dass ist sexistischer Quatsch.
Ich weiß nicht genau, was an einem Lesbenporno sexistisch sein soll. Weil sich die Frauen da gegenseitig diskriminieren? Das ist halt ein Porno.
Andererseits ist Ihr Provo-Porno ja noch nicht mal Hardcore. Auch der Song ist ja eher harmloser Rock. Haben Stuttgarter Schuldirektorinnen eigentlich eine Ahnung, was so im Internet und in Jugendkulturen los ist?
Die sind wirklich überhaupt nicht informiert, die haben sich auch nicht informiert, als sie im Internet auf »Debauchery« gestoßen sind. Die können das nicht einordnen.
Wie würden Sie denn eine Ethikstunde zum Thema »gewaltverherrlichender Death-Metal« und »Pornografie« aufziehen?
Ich würde erstmal festellen, dass Gewalt ja zum Menschen dazugehört, genauso wie die Liebe, und diese Themen haben eben, wenn man sie überspitzt, auch einen gewissen Unterhaltungswert. Das Kino ist ja voll von Morden, es gibt ja kaum einen Film, in dem nicht mindestens eine Person stirbt. Wenn man den Fernseher anmacht, ist das genauso, Gewalt hat eben einen hohen Unterhaltungswert. Bei »Debauchery« ist das auch so, das ist Entertainment.
In einem Artikel in der Welt, der sich Ihrem Fall nicht ohne Sympathie widmet, wird Winnenden angesprochen. Was haben Sie denn damit zu tun?
Eigentlich nichts, das ist nur hier in der Nähe.
Bisher fürchtete ja niemand, dass auch Lehrer Amok laufen könnten. Aber auf Ihrer Homepage steht »Berufsverbot wegen Debauchery«. Und darunter steht dann über die ganze Seite: »KILL*KILL*KILL*KILL*KILL*KILL*KILL*KILL*KILL KILL*KILL*KILL*KILL*KILL*KILL*KILL*«. Müssen wir uns nicht doch Sorgen um Sie machen?
(lacht) Das ist das Ding zwischendrin, das ist halt die trennende Zeile, darunter fängt ein neuer Artikel an! (lacht) Ich hätte da lieber ein Bild hingemacht, ich weiß aber nicht, wie das geht.
Es gab vor einiger Zeit schon einmal jemanden, der in Baden-Württemberg zunächst einmal nicht Lehrer werden durfte. Beim Lehramtsanwärter Michael Csaszkóczy meinten die Behörden, es beständen Zweifel an seiner Verfassungstreue, weil er in der Antifa aktiv war. Was soll denn in Ihrem Fall die Rechtsgrundlage für das Berufsverbot sein?
Bei mir ist das eher ein moralisches Urteil. Wenn es nach der Schuldirektion geht, bin ich für den Beruf nicht geeignet, weil ich meine eigene Musik nicht Scheiße finde, vielleicht auch, weil ich Rambo-Filme gut finde oder so.
Aber kann man jemanden wegen Verbrechen gegen den guten Geschmack aus dem Schuldienst entfernen?
Naja, da müssen wir abwarten, was sich die Anwälte einfallen lassen. Ich weiß nicht genau, was die Rechtsgrundlage ist. Denen passt eben nicht, was ich mache.
Sie haben ja selbst gekündigt.
Mir wurde nahegelegt, zu kündigen. Wenn ich nicht gekündigt hätte, dann wäre ich irgendwie anders gegangen worden, da darf man sich keine Illusionen machen. Das ist ein Ausbildungsverhältnis, wenn sich da fünf Leute, die einen bewerten sollen, einig sind, dass man an der Schule nichts verloren hat, kann man sich ja ausrechnen, dass man da nicht lange bleiben wird.
Warum haben Sie es nicht auf einen Rechtsstreit ankommen lassen?
Das nehme ich jetzt in Angriff. Ich kann mich ja noch damit abfinden, dass ich das Referendariat dort aufgeben muss – ich könnte ja sagen, dann fange ich eben anderswo nochmal an. Aber ich habe eine Auflage bekommen: Ich darf drei Jahre lang kein Death Metal mehr machen, ich muss mich von »Debauchery« distanzieren, und wenn ich Metal-abstinent bleibe, dann darf ich wieder das Refendariat anfangen.
Sie konnten die Verantwortlichen nicht überzeugen, dass Sie einfach nur ein Genre bedienen? Haben Sie versucht, das zu erklären?
Das geht nicht. Die haben mir etwa das vorletzte Cover von »Debauchery« vorgelegt, das ist das Cover von »Continue to kill«, ein Ölgemälde von einem britischen Künstler, da sind wunderbare Monster mit Kettensägen und Zombies drauf. Ich weiß nicht, wovor die da Angst haben – dass das gehörnte Monster plötzlich in der Schule vorbeikommt? Es bringt nichts, das zu erklären. In der Stuttgarter Zeitung heißt es etwa, in einem der ­Videos gehe es um die Vergewaltigung einer Schülerin im Schulgelände!
Und?
What the hell! Welches Video mit welcher Schülerin auf welchem Schulhof? Das ist Quatsch, es gibt kein solches Video. Irgendwie denken die, ich sei für alles verantwortlich, was es auf Youtube gibt.
Was machen Sie jetzt? Irgendwie müssen Sie ja Geld verdienen.
Ich war schon Berufsmusiker, und jetzt bin ich eben wieder Berufsmusiker, ich habe schon eineinhalb Jahre vom Musikmachen gelebt.
Jetzt haben schon alle möglichen Zeitungen über »Debauchery« geschrieben. Werden Sie jetzt Rockstar?
Mit bleibt ja nichts anderes übrig.